Donnerstag, 28. März 2024

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CSU-Vize Weber
"AfD-Wähler in das demokratische Spektrum zurückholen"

CSU-Vize Manfred Weber sieht in einer Jamaika-Koalition die Chance, die "ideologischen Kämpfe" in Deutschland zu überwinden. Er wolle dauerhaft keine rechtsradikale Partei im Bundestag sitzen haben, sagte Weber im Dlf. Deswegen sei es wichtig, den Menschen, die die AfD gewählt haben, zuzuhören und deren Sorgen aufzugreifen.

Manfred Weber im Gespräch mit Sandra Schulz | 02.10.2017
    Manfred Weber (CSU), Fraktionsvorsitzender der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament, aufgenommen am 19.05.2016 in Berlin. Foto: Michael Kappeler/dpa (zu dpa «Weber bedauert deutsche Enthaltung bei Glyphosat» vom 19.05.2016) | Verwendung weltweit
    "Die ideologischen Kämpfe, die wir teilweise im Land haben, könnten wir mit Jamaika überwinden und einen gemeinsamen Aufbruch fürs Land hinkriegen", sagte Manfred Weber, CSU. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Sandra Schulz: Speziell bei der Union wird ja nach wie vor um die Interpretationen gerungen, die die heftigen Verluste bei der Bundestagswahl erklären. Gab es eine offene rechte Flanke, wie CSU-Parteichef Horst Seehofer sagt? Oder war das ein "Weiter so" der Wähler? So scheint es ja Angela Merkel eher zu sehen. - Am Wochenende gab es Stimmen aus den ostdeutschen CDU-Verbänden, die eine Kurswende forderten, so zum Beispiel hier bei uns im "Interview der Woche" der sächsische Ministerpräsident Tillich. Die Diskussion, die wollen wir auch in den nächsten Minuten fortschreiben mit Blick auf die Partei, die jetzt um Jamaika verhandelt oder erst mal sondiert, die die stärksten Verluste zu verzeichnen hat: die CSU. Am Telefon ist Manfred Weber, stellvertretender CSU-Vorsitzender und im Europäischen Parlament Chef der EVP-Fraktion. Schönen guten Morgen!
    Manfred Weber: Guten Morgen, Frau Schulz.
    Enttäuscht von der SPD
    Schulz: Genau heute in einer Woche steht ja das erste Gespräche an. Ist die CSU nach dieser Wahlschlappe physisch und psychisch überhaupt schon dazu in der Lage?
    Weber: Ja natürlich! Wir haben einen Wählerauftrag bekommen. Wir sind in Bayern auch nach wie vor sehr stark gewählt worden, trotz der Rückschläge. Jetzt geht es darum, eine Regierungsverantwortung zu übernehmen. Das unterscheidet uns übrigens auch stark von der SPD. Ich bin nach wie vor enttäuscht, dass die deutschen Sozialdemokraten sich zunächst mal jedem Gespräch verweigern. Es kann Ergebnis einer Verhandlung sein, dass man in die Opposition geht, aber es sollte eigentlich nicht der Beginn sein.
    "Horst Seehofer ist nicht angeschlagen"
    Schulz: Das ist jetzt ja auch schon häufiger gesagt worden, Herr Weber. Jetzt würde ich bei der CSU doch gerne bleiben. - Horst Seehofer, den manche inzwischen ja schon als Parteichef auf Abruf sehen, wird in diese Verhandlungen ziehen. Hat er dafür denn, so angeschlagen wie er ist, auch das nötige Mandat?
    Weber: Horst Seehofer ist nicht angeschlagen. Aber es gibt natürlich in der CSU eine Debatte übers Wahlergebnis. Das ist, glaube ich, ganz normal in einer demokratischen Partei, dass wir uns austauschen, wie es dazu kam. Und wir wollen, dass wir mit unseren Positionen uns durchsetzen in der Regierung. Deswegen war auch in dem Parteivorstand, auch in den Gremien klar, dass wir Horst Seehofer die Rückendeckung geben, mit Joachim Herrmann, mit Alexander Dobrindt, dass wir in Berlin die Themen, die wir den Menschen zugesagt haben, auch durchsetzen. Es ist jedem klar, dass Jamaika nicht einfach ist, aber wir sollten jetzt auch nicht mit roten Linien beginnen, sondern wir sollten damit beginnen, dass wir auch die Chance dieser Regierung für Deutschland sehen. Ich persönlich habe Lust auf Neubeginn, auf neue Akzente, die wir auch in der Bundespolitik setzen.
    "Die Idee eines starken Staates"
    Schulz: Wenn Sie jetzt sagen, er ist nicht angeschlagen, dann übersetze ich das richtig, dass dieses historisch schlechteste Ergebnis, das Horst Seehofer eingefahren hat für die CSU, dass das politisch überhaupt keine Relevanz hat in Ihrer Partei?
    Weber: Ich habe darauf verwiesen, dass wir diskutieren, wie es dazu kam. Aber wir haben gemeinsam die Strategie entwickelt, beispielsweise in der inhaltlichen Positionierung, auch mit dem Bayern-Plan, mit den Sonderakzenten, die wir aus unserer Parteisicht, aus der bayerischen Sicht heraus gesetzt haben, und wir haben gemeinsam zum Beispiel einen Spitzenkandidaten Joachim Herrmann nominiert. Wir sind zusammengestanden, haben gemeinsam Wahlkampf gemacht, und deswegen wäre es jetzt viel zu kurz gesprungen, das an einer Person festzumachen. Wir wollen, dass wir das, was wir den Menschen zugesagt haben, durchsetzen, und für die CSU, für meine Partei, ist zentral, dass wir die Glaubwürdigkeit erhalten. Das heißt die Zusagen, die wir gemacht haben, beispielsweise auch mit der Idee eines starken Staates, der auch in der Lage ist, Grenzen zu sichern, dass wir diese Ideen jetzt in der neuen Regierung auch umsetzen. Glaubwürdigkeit ist jetzt wichtig.
    AfD-Wähler "sind keine Rechtsradikale"
    Schulz: Zeichnet sich da in Ihrer Partei denn jetzt schon ab, welche Rolle der Punkt spielen wird, den die Analyse des Wahlergebnisses zeigt, dass die Union vor allem ja da schlecht abgeschnitten hat, wo die Kritik an der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin am lautesten war, nämlich in Bayern und in Ostdeutschland? Welche Rolle spielt das jetzt bei Ihren Überlegungen?
    Weber: Die Union insgesamt hat dort am meisten verloren, wo sie die Hochburgen hatte. Das ist Baden-Württemberg, das ist Sachsen, das ist Bayern. Deswegen muss die Union insgesamt analysieren, wie können wir diese Menschen zurückgewinnen. Es sind ja keine Rechtsradikalen, die dort die AfD gewählt haben, sondern es sind Bürger, die Sorgen äußern, die Sorgen eingebracht haben. Die gesamte Jamaika-Koalition muss doch das Ziel haben, dass es uns gelingt, die AfD zu einer Einmaligen-Ergebnis-Erfahrung zu machen, nämlich dass wir sie im nächsten Bundestag nicht mehr dabei haben. Wenn wir das erreichen wollen, dann müssen wir diesen Menschen zuhören und die Sorgen aufgreifen. Da geht es um die Fragestellung, schaffen wir jetzt Abschiebungen. Wir haben Hunderttausende von Menschen, die keinen Bleibestatus haben in Deutschland, wo die Verfahren abgeschlossen sind. Schaffen wir dort die Rückführung? Definieren wir die Maghreb-Staaten jetzt zu sicheren Drittstaaten, damit dorthin die Abschiebungen genauso gut funktionieren können, wie wir es jetzt am Balkan schon in der Realität haben.
    "Die Flüchtlingsfrage hat die Menschen umgetrieben"
    Schulz: Herr Weber, jetzt sind Sie gleich wieder bei der Flüchtlingspolitik. Das ist genau die Frage, die ich Ihnen auch stellen wollte, mit Blick auf die starken Einbrüche bei Ihnen in Bayern, aber auch der Blick nach Sachsen, wo die AfD ja sogar stärkste Partei geworden ist. Sie sehen da keinen Zusammenhang zwischen den Tönen, die es von der CSU gegeben hat, von einer Herrschaft des Unrechts, die Klagen, wie Sie ja immer wieder gesagt haben, über die angeblich massenhafte illegale Einwanderung. Dass das der AfD geholfen hat, das glauben Sie nicht?
    Weber: Definitiv ist nicht der, der das Problem beschreibt, schuld, sondern der, der die Probleme verursacht hat. Man kann doch nicht in einer Demokratie sagen, ich darf über Fragen, die die Menschen umtreiben, nicht reden, weil man damit vielleicht medial das Thema akzentuieren würde und dann noch mehr Menschen Angst machen würde. Wir müssen uns als Politiker den Aufgaben unserer Zeit stellen. Es ist doch vollkommen offensichtlich, dass die Flüchtlingsfrage eines der Themen war, das die Menschen umgetrieben hat. Auch Sie von den Journalisten her, wenn ich mich ans TV-Duell erinnere, haben ja einen Schwerpunkt auf die Flüchtlingspolitik gelegt, bei allen Fragen, die uns Politikern gestellt worden sind. Das ist eines der großen Themen, das die Menschen umtreibt, und da muss jetzt die neue Jamaika-Koalition eine Antwort geben, die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Das heißt für mich, wir brauchen auch eine bürgerliche Flanke dieser neuen Regierung, die auch für einen starken Staat steht, der die Kontrolle auch umsetzen kann.
    AfD ist eine "rechtsradikale Partei"
    Schulz: Da ist die Frage dann von meiner Seite in der Tat auch zu dem Thema noch mal obligatorisch. Entweder Sie bekommen die Obergrenze - ist das jetzt die Strategie oder die Herangehensweise für die Sondierungen -, oder das lässt die CSU dann platzen?
    Weber: Frau Schulz, jeder Koalitionspartner wird seine Punkte jetzt in den Verhandlungen auf den Tisch legen. Ich hatte vorher gesagt, dass wir nicht mit roten Linien beginnen sollten, sondern wir sollten schauen, dass sich jeder wiederfindet und dass der gemeinsame Ansatz auch Sinn macht. Ich wiederhole, dass alle Parteien, auch die Grünen, auch die Liberalen das gemeinsame Ziel hoffentlich haben, dass es uns gelingt, die AfD-Wähler in das demokratische Spektrum zurückzuholen. Das muss eine gemeinsame Aufgabe dieser neuen Regierung sein, weil ich nicht dauerhaft will, dass eine rechte, rechtspopulistische, rechtsradikale Partei im Deutschen Bundestag sitzt. Das ist mein und das ist das Ziel der CSU. Insofern hoffe ich, dass wir Konsens erzielen können. Eins ist klar: Die CSU hat die Begrenzung der Zuwanderung auf ein verträgliches Maß zugesagt, und das muss die neue Regierung auch umsetzen. Und wenn Sie mir erlauben: Es ist trotzdem so, dass Jamaika jenseits der Flüchtlingsfrage, weil wir jetzt auch wieder nur über die reden, beispielsweise bei Europa, oder wenn ich daran denke, bei der Fragestellung Verkehrspolitik Diesel mit Elektro zu verbinden, und auch zu sagen, bei der Agrarwende schaffen wir, dass wir das Tierwohl mit der normalen Produktion von unseren Landwirten verbinden, dass wir die ideologischen Kämpfe, die wir teilweise im Land haben, mit Jamaika überwinden könnten und einen gemeinsamen Aufbruch fürs Land hinkriegen, das muss jetzt im Mittelpunkt stehen. Und da hoffe ich, dass wir positiv und konstruktiv herangehen. Die CSU ist dazu bereit.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.