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Cybathlon Symposium 2016
Mix aus Mensch und Maschine

In Zürich findet der Cybathlon statt. Die Teilnehmer werden Frühstückstische decken, Fahrradfahren und über Rampen steigen. Es werden Menschen ohne Arme sein, die die Frühstückstische decken, und Querschnittgelähmte werden Fahrradfahren und über die Rampen spazieren. Helfen werden ihnen dabei moderne, computergesteuerte Prothesen.

Piotr Heller im Gespräch mit Uli Blumenthal | 07.10.2016
    Er denkt im Alltag kaum noch darüber nach, dass er eine Prothese träge, sagt Bert Pot. Die Maschine ist Teil seines Körpers geworden. Jetzt fehlt ihm nur noch Fingerspitzengefühl
    Mensch und Maschine verschmelzen immer mehr miteinander. (Piotr Heller)
    Uli Blumenthal: Gestern haben in Zürich Prothesen-Experten aus der ganzen Welt bei einem Symposium über ihr Fachgebiet diskutiert. Piotr Heller, was waren da die interessanten Punkte?
    Piotr Heller: Ganz interessant war eine Podiumsdiskussion, bei der die Frage aufkam, was die Prothesen-Technik für Fortschritte gemacht hat in den letzten 20 Jahren. Und da gab es ganz offensichtliche Antworten: Computer und Sensoren sind kleiner geworden, Prothesen dadurch geschickter. Aber es gab auch Entwicklungen, die für den Außenstehenden vielleicht überraschender waren. Nämlich, dass jetzt die Menschen mit Behinderungen viel stärker in die Forschung eingebunden werden als früher und dass die Verbindung zwischen Mensch und Maschine immer besser wird.
    Blumenthal: Bleiben wir kurz bei diesem zweiten Punkt: Was gibt es bei der Verbindung zwischen Mensch und Maschine für Fortschritte?
    Heller: Ein Beispiel von Hugh Herr, der am MIT Professor für Biomechatronik ist und selbst zwei Beinprothesen trägt: Er hat erklärt, wie man heutzutage einen Schaft für eine Beinprothese herstellt, also praktisch das Verbindungsstück zwischen Stumpf und Prothese. Dieser Prozess ist heute noch so ein bisschen von Versuch und Irrtum geprägt. Man baut einen Schafft, probiert ihn aus, bessert nach: Das macht es langwierig und teuer. Und Hugh Herr hat jetzt eine Maschine entwickelt, die einen Stumpf genau vermessen kann. Dann simuliert ein Computersystem verschiedene Schaft-Formen und schaut welche die beste ist und dann druckt man diesen Schaft mit einem 3D-Drucker aus. Dieser Prozess soll die Kosten von Tausenden Euro auf etwa 300 Senken und anstatt wie bisher eines Monats nur einen Tag dauern.
    Blumenthal: Das ist jetzt aber nur ein Beispiel für eine verbesserte Verbindung zwischen Mensch und Maschine.
    Heller: Es gibt natürlich auch andere. Die Forscher sehen zwei große Entwicklungen auf die Branche zukommen. Erstens: Man verbindet Prothesen fest mit dem Knochen. Zweitens: Man schließt die Maschine direkt an Nerven an. Der Mensch kann die Prothese damit besser steuern und sogar mit ihr fühlen. Beim Cybathlon, also beim Wettbewerb morgen, ist ein Teilnehmer dabei, der eine solche fühlende Armprothese trägt.
    Blumenthal: Nun ist das aber nur einer, der eine solche fühlende Prothese trägt.
    Heller: Ja, das ist eben die neueste Forschung, die die Funktion einer Hand oder eines Beins am besten durch eine Maschine ersetzen will. Eine ganz wichtige Frage ist aber: Wie baut man Prothesen, die von den Menschen überhaupt akzeptiert werden? Denn Tatsache ist auch, dass über die Hälfte der Menschen, denen ein Arm fehlt, gar keine Prothese tragen.
    Blumenthal: Woran liegt das?
    Heller: Da gibt es viele Gründe, einer ist, dass die Maschinen immer noch eine Belastung sind. Sie sind zum Beispiel schwer. Und da haben Forscher der University New Brunswick ein spannendes Projekt vorgestellt. Sie wollten eine Armprothese bauen, die nur so viel wiegt, wie der Arm einer vergleichsweise kleinen und leichten Frau. Und dafür mussten sie leichte Motoren entwickeln, kleine Getriebe, aber im Endeffekt haben sie es geschafft. Nur: Die Maschine war relativ simpel. Sie konnte nur zugreifen und mehr nicht.
    Blumenthal: War das also ein Misserfolg?
    Heller: Wahrscheinlich war das kein Misserfolg. Weil die Prothesen müssen vielleicht gar nicht so viel können. Ein wichtiger Kritikpunkt auf dem Symposium war nämlich: Die Techniker geben ihren Maschinen die tollsten Funktionen. Sie können Schuhe binden oder eine Münze vom Boden aufheben. Aber im Alltag der Menschen ist das nicht wichtig – sie tragen Schuhe mit Klettverschlüssen und heben Münzen einfach mit der gesunden Hand auf. Und daher fordern die Wissenschaftler hier in Zürich, Menschen mit Behinderungen vom ersten Tag an, an der Prothesen-Entwicklung teilhaben zu lassen. Und das ist auch etwas, was der Wettbewerb morgen leisten soll: Hier kommen Anwender, Forscher und Firmen zusammen, kämpfen gegeneinander in alltäglichen Aufgaben und das soll die Forschung an den Prothesen ein Stückweit voranbringen.
    Blumenthal: Und wie wird das morgen konkret aussehen?
    Heller: Es gibt sechs Disziplinen. Die kann ich schnell durchgehen: Drei davon sind Hindernisparcours für Menschen mit Beinprothesen, für spezielle elektronische Rollstühle und für Exoskelette, also Maschinen, in denen Gelähmte laufen können. Dann gibt es ein Fahrradrennen mit Muskelstimulation für Gelähmte, einen Geschicklichkeitsparcours für Menschen mit Armprothesen und schließlich noch ein Computerspiel, das die Teilnehmer mit ihren Gedanken steuern. Insgesamt treten 74 – ich sage Mal – Maschinenmenschen an.
    Blumenthal: Und gibt es schon Favoriten?
    Heller: Schwer zu sagen, dafür sind die Konzepte hinter den Prothesen einfach zu unterschiedlich.
    Blumenthal: Bleibt also nur zu sagen: Möge der beste Mix aus Mensch und Maschine gewinnen. Und am Sonntag um 16.30 gibt es bei uns im Deutschlandfunk eine Reportage zu dem Thema. Piotr Heller hat drei Teilnehmer des Cybathlon bei ihrer Vorbereitung begleitet und wird auch noch die Ergebnisse des morgigen Wettkampfes zusammenfassen.