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"Da fällt ein dunkler Schatten auf die Spiele"

Der Sportausschuss des Bundestags hat klarere Regeln für eventuelle Protestaktionen von Athleten bei den Olympischen Spielen gefordert. Sportler seien mündige Bürger und müssten von ihrem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch machen dürfen, sagte der Ausschuss-Vorsitzende Peter Danckert. Daher sollte das Internationale Olympische Komitee (IOC) deutlich machen, wann und in welcher Form Proteste erlaubt seien.

Moderation: Jochen Fischer |
    Jochen Fischer: In San Francisco ist die olympische Fackel unter starkem Polizeischutz und weitgehend abgeschirmt von Demonstranten durch die Stadt getragen worden. Aus Furcht vor Ausschreitungen wie in London und Paris hatten die Organisatoren kurzfristig die geplante Route geändert und auch verkürzt. Auch die Abschlussfeier wurde kurzerhand abgesagt. Beim Internationalen Olympischen Komitee in Peking herrschte danach Erleichterung.
    Wie wird in der deutschen Politik über die Olympischen Spiele und die Proteste dagegen diskutiert? Das möchte ich nun Peter Danckert fragen. Der SPD-Politiker ist auch Vorsitzender des Sportausschusses im Deutschen Bundestag. Guten Morgen Herr Danckert!

    Peter Danckert: Guten Morgen Herr Fischer!

    Fischer: Herr Danckert reicht es denn aus als Protest gegen die Menschenrechtsverstöße in China, wenn sich zum Beispiel deutsche Schwimmer bei den Wettbewerben aus Solidarität mit den unterdrückten Tibetern orangene Bademäntel anziehen?

    Danckert: Na ja, es gibt vielfältige Formen des Protestes. Ich will den Sportlern - das sind ja mündige Bürger, hoffentlich auch gute Botschafter unseres Landes dann in Peking - da keine Vorschriften machen, in welcher Form sie den Protest äußern. Aber das ist nun eine zentrale Frage im Moment. Niemand bestreitet das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das ist ja auch ein Menschenrecht. Darüber brauchen wir glaube ich gar nicht zu diskutieren. Es ist jetzt bloß die Frage, wann und bei welcher Gelegenheit dürfen sie von diesem Menschenrecht Gebrauch machen. Da sehe ich noch Handlungsbedarf. Wir haben ja gestern im Sportausschuss auch darüber diskutiert - mit Staatsminister Erler, mit Staatssekretär Bergner, Herrn von Richthofen und Herrn Sachs. Wir werden am 23. April mit Herrn Bach und Herrn Vesper, wenn die beide können, die Diskussion fortsetzen. Und es ist deutlich geworden, dass hier noch erheblicher Informationsbedarf für die Sportler gegeben ist. Das haben alle Mitglieder des Sportausschusses zum Ausdruck gebracht. Da muss Klarheit geschaffen werden, damit die Sportler dort nicht in eine Falle laufen, sich vier Jahre lang intensiv vorbereiten, eine Medaille möglicherweise oder hoffentlich gewinnen und dann sie wieder aberkannt bekommen.

    Fischer: Wäre es dann nicht besser zu sagen "Sport ist Sport - Politik ist Politik"?

    Danckert: Ich habe persönlich eine ganz andere Auffassung. Sport und Politik ist überhaupt nicht voneinander zu trennen. Wenn man am Sonntag ein Fußballspiel einer zweit- oder drittklassigen Mannschaft sieht, dann mag das vielleicht ein bisschen anders sein, aber im Übrigen ist Sport Teil unserer Gesellschaft: Sport und Gesundheit, Sport und Integration. Überall ist Sport gefragt und die Entscheidung für Peking war ja auch eine hoch politische Entscheidung. Ich erinnere daran, dass das Europäische Parlament acht Tage vor der Entscheidung in Moskau dringend davor abgeraten hat, weil die Menschenrechtssituation eben noch nicht ausreichend stabil ist.

    Der Sport hat sich anders entschieden, aber nun ist es sozusagen ein Thema von Sport und Politik. Das weltweite Echo auf die Ereignisse in Tibet macht das ja deutlich. Das was um den Fackellauf herum passiert, macht das ja auch klar. Die Veranstaltung gestern in San Francisco war doch echt makaber. Wie man das positiv bewerten kann, ist mir wirklich völlig schleierhaft. Da sind rechts und links Heerscharen von Polizisten oder Militär. Die Fackel wird versteckt. Da werden Umwege gefahren. Der feierliche Abschluss fällt aus. Wenn das positiv bewertet wird, dann kann ich mich nur sehr wundern.

    Fischer: Diese Proteste sind ja nun da, Herr Danckert. Sie haben sie gerade beschrieben. War es denn eigentlich ein Fehler, die Spiele an Peking zu vergeben, denn die Menschenrechtsverstöße gab es damals und konnte man denn erwarten, dass sich bis zu den Olympischen Spielen das Land in ein anderes Land verwandelt?

    Danckert: Ich sage mal das war ja mit dieser Hoffnung verbunden. Die chinesischen Verantwortlichen haben ja in der Bewerbung selber zum Ausdruck gebracht, dass sie eine Chance für die Menschenrechte sind. Wenn man das als Resultat im Moment ansieht, dann kann ich nicht erkennen, dass da wirklich Versprechungen eingelöst sind. Das liegt aber auch daran, dass das IOC in der vertraglichen Vereinbarung möglicherweise dieselben Maßstäbe angelegt hat wie bei der Vergabe nach Athen, Sydney und Atlanta. China ist ein anderes Land. Da hätte man wahrscheinlich viel konkreter darauf drängen müssen und die Geschäftsgrundlage klar formulieren müssen. Nun haben wir heute die Situation, dass doch niemand zufrieden sein kann mit dem, was in China passiert und wie das Thema Menschenrechte dort behandelt wird. Die Sportfunktionäre und Jacques Rogge haben das ja inzwischen auch erkannt und deutlich zum Ausdruck gebracht. Das kann man alles beschönigen, aber die Situation ist ernst, und ich finde, da fällt ein ganz dunkler Schatten auf die Spiele und ich kann nur hoffen, dass die chinesischen Verantwortlichen da noch einmal umdenken und sich Dinge ereignen, die auch für die Chinesen selbst vor Ort nicht mit der Gefahr verbunden sind, wenn Menschen von ihrer Redefreiheit "free speech" Gebrauch machen, dass sie dann gleich für Jahre eingebuchtet werden.

    Fischer: Wäre nicht der sportliche Boykott eine Antwort, um den Standpunkt des Westens klar zu machen?

    Danckert: Ich persönlich halte - das mag vielleicht überraschend erscheinen - von dem Boykott zunächst einmal gar nichts. Es hat sich gezeigt, dass der Boykott in Moskau und Los Angeles 1980 und 1984 eigentlich überhaupt nichts gebracht hat. Aber ich habe auch deutlich gesagt - und insofern halte ich auch nicht viel von voreiligen Festlegungen -, dass die Lage sich natürlich auch, was ich nicht hoffe, zuspitzen kann. Dann müssen wir uns das offenhalten. Ich denke jedenfalls die Politik muss sich das offenhalten. Ob der Sport dann sagt, wir fahren unter allen Umständen und wenn unsere Spiele dort unter Militärschutz stattfinden nach Peking, das ist dann seine Sache.

    Das Parlament wird sich aber darüber Gedanken machen. Wir bleiben an dem Thema dran. Ich hatte ja gesagt: am 23. April werden wir mit Thomas Bach und Michael Vesper voraussichtlich über diese Dinge das Gespräch fortsetzen. Die Sportler müssen aufgeklärt werden, wo die Grenzen ihrer Meinungsfreiheit sind, die der DOSB ja auch bestätigt hat. Aber hier gibt es eine Grauzone; die muss ausgefüllt werden. Es kann nicht am Ende des Tages sein, dass die Sportler, die sich intensiv auf dieses Ereignis vorbereitet haben, vielleicht Medaillen gewinnen, dann diese wieder aberkannt bekommen, weil die Rechtslage unklar ist.

    Fischer: Kann man eigentlich sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung sozusagen zivilvertraglich abtreten gegenüber dem IOC?

    Danckert: Ich habe da meine Bedenken, aber wenn das IOC da Forderungen aufmacht und die Sportler sich nicht nach dem richten, dann werden sie möglicherweise nicht nominiert. Das ist ja auch ein kompliziertes Verfahren. Da will ich niemand empfehlen, das als eine echte Nagelprobe anzusehen. Aber die Maßstäbe, die dort gelten müssen, die rechtstaatlichen Maßstäbe auch für Verträge oder Vereinbarungen oder Nominierungen, die haben wir schon im Blick. Da werden wir mal sehen, aber ich hoffe und erwarte eigentlich von unseren Verantwortlichen, dass sie da die Maßstäbe anlegen, die wir gewohnt sind und die vertretbar sind, und dort nicht für irgendetwas anderes Vorreiter sind. Da vertraue ich auf Herrn Bach und Herrn Vesper.

    Fischer: Der chinesische Menschenrechtler Hu Jia, der kürzlich verurteilt worden ist, weil er regimekritische Texte veröffentlicht hat, hat geschrieben, "Besucher der Olympischen Spiele werden große Straßen, moderne Stadien sehen, aber hinter dem Bild der Harmonie verbergen sich Tränen, Folter und Tod". Das hätte auch von den Olympischen Spielen 1936 in Deutschland geschrieben sein können?

    Danckert: So ist es! Die Situation hat sich leider, wenn man es in diesem Zeitabschnitt betrachtet, nicht wesentlich verändert. Hier sind die Verantwortlichen im IOC nach meiner Meinung manchmal etwas sehr von Entscheidungen, die mit Kommerz zusammenhängen, geprägt. Wir wissen ja alle, dass häufig die Frage ausschlaggebend ist, "was erwarten die Sponsoren, die Milliarden für die Spiele in den Topf tun". Deshalb hat ja auch Leipzig keine Chance gehabt, obwohl Rogge erklärt hat, wir müssen von der Gigantonomie weg. Aber das ist eben so, dass auch der Kommerz Eingang in den Sport gefunden hat. Das muss man bedauern. Ich hoffe nur, dass wir am Ende des Tages sagen, wenn wir auf Peking gucken, es ist das schlimmste vermieden worden und die Spiele sind letztlich erfolgreich gewesen - hoffentlich auch für unsere deutschen Mannschaften.

    Fischer: Peter Danckert, der Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag. Vielen Dank Herr Danckert!

    Danckert: Auf Wiederhören Herr Fischer!