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"Da geht die Glaubwürdigkeit verloren"

Professor Franz Nuscheler, Direktor des Instituts für Entwicklung und Frieden in Duisburg, hat kritisiert, dass die Konzentration auf die Reform des Sicherheitsrates die Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen in Sachen Entwicklung und Umwelt blockiert habe. Das Werk der USA sei die Abschwächung der Abschlusserklärung, sagte der Politologe.

    Durak: Es handelt sich um den größten UNO-Gipfel aller Zeiten. Knapp 180 Staats- und Regierungschefs sind in New York versammelt. Es gilt, die UNO zu feiern - 60 Jahre - und an die Zukunft zu denken. Beobachter sagen, die UNO befindet sich in der schwersten Krise seit ihrer Gründung. So schreibt die französische Zeitung Libération zum Beispiel, die UNO sei nichts weiter, als ein bescheidener Rettungswagen für die Miseren dieser Welt. Wenn das so stimmt, wo sind die Gründe? Guten Morgen, Professor Franz Nuscheler.

    Nuscheler: Guten Morgen, Frau Durak.

    Durak: Sie haben sich nicht nur als Direktor des Instituts für Entwicklung und Frieden in Duisburg, der Sie jetzt sind schon lange, mit solchen Fragen beschäftigt. Finden Sie auch, dass die UNO in ihrer schwersten Krise seit ihrer Gründung sich befindet?

    Nuscheler: Nicht gerade jetzt, sondern das hat sich schon abgezeichnet beim Irakkrieg. Aber dass nun überhaupt nichts dran gegangen ist, dass alle Reformenvorstellungen jetzt gescheitert sind, vor allem nicht so sehr die Reform des UN-Sicherheitsrates, sondern auch andere Organisationen - ECOSOC, Menschenrechtskommission - all das, also alle großen Reformideen, die seit langem in der Diskussion sind, sind jetzt gescheitert. Insofern kann man sagen, die UN befindet sich in der größten Existenzkrise, ja.

    Durak: Wie sehen Sie die Zukunft der UNO, wenn das jetzt so ist und vielleicht so weitergeht?

    Nuscheler: Ja, mein Gott, heute hat man ja die Hoffnung, dass aus Krisen etwas Neues entsteht. Es kann auch sein, dass jetzt zumindest, also was jetzt auf die lange Bank geschoben wurde, etwa die Reform des UN-Sicherheitsrates, dass sie jetzt mit etwas mehr Zeit angegangen wird. Aber was mich so wahnsinnig enttäuscht, ist nicht nur, dass diese Reform des UN-Sicherheitsrates nun gescheitert ist - ich fand das auch immer sehr verkürzt - sondern dass auch Reformen wie etwa die Handlungsfähigkeit der Vereinten Nationen in Sachen Entwicklung, in Sachen Umwelt, dass da nichts voran gegangen ist, das ist für mich die größte Enttäuschung. Also, diese Fixierung auf den neuen Sicherheitsrat hat auch das ganze Reformprojekt blockiert, weil klar war, dass die USA, dass Russland und China eine wirkliche durchgreifende Reform des Sicherheitsrates nicht hinnehmen werden.

    Durak: Stichwort Entwicklung, das ist auch Ihr Stichwort in Ihrem Lebenswerk. Die reichen Staaten haben sich in der Abschlusserklärung in dessen Entwurf - der Entwurf liegt ja vor - die reichen Staaten verpflichten sich nicht zu konkreten Maßnahmen. Welche Folgen wird das haben?

    Nuscheler: Ja, es wird die Folge haben, dass diese Millenniumsentwicklungsziele, die ja vor fünf Jahren verkündet wurden, nicht erreicht werden. Sie werden in einer Region erreicht, aber sie werden gerade dort, wo die Armut am größten ist, werden sie nicht erreicht, vor allem in Subsahara-Afrika. Und das Problem ist, dass dann, wenn solche großen Ziele verkündet werden, durch einen großen Aufmarsch aller Regierungschefs, wenn sie sichtbar jetzt schon nach fünf Jahren, wenn sie schon absehen, dass sie nicht erreicht werden, dass dann erstmal die Vereinten Nationen an Glaubwürdigkeit verlieren aber auch die Hoffnung, dass die Armut in der Welt überwunden werden kann, dass diese Hoffnung auch verloren geht.

    Durak: Herr Nuscheler, ich habe den Verdacht, dass die Staaten vor fünf Jahren, als sie sich diese Millenniumsziele gestellt haben, an der Wirklichkeit vorbei gedacht haben, an ihrer eigenen Wirklichkeit auch. Trifft das zu?

    Nuscheler: Es ist so. Und ich meine, man darf ja nicht vergessen, dass diese Ziele, die da verkündet wurden vor fünf Jahren in New York, auch schon in den 70er, 80er Jahren - auch damals hieß es, Erziehung für alle, Bildung für alle, Ernährung für alle, Arbeit für alle - und damals sollten sie bis zum Jahre 2000 erreicht werden. Jetzt wird wieder verschoben. Und Sie haben natürlich Recht, dass es jetzt schon danach aussieht, dass sie wieder nicht erreicht werden, dass wir in 15 Jahren, im Jahre 2015 dann diese selben Ziele wieder verkünden und kein Fortschritt zu erkennen ist.

    Durak: Vielleicht sollten wir das dann auch lassen, dass wir uns solche Ziele stellen?

    Nuscheler: Ja, wenn es um die Glaubwürdigkeit geht, dann sollten wir es lieber lassen. Wenn es um die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen, wenn schon zu erkennen ist, dass sie das nicht tun können, weil sie nicht besser sein können, als die Staaten. Man muss immer, man darf nicht vergessen, jetzt prügelt man die Vereinten Nationen, sie können nicht besser sein, als die Staaten, die das Sagen haben in dieser Organisation. Und es wäre vielleicht sogar besser, keine so hohen Ziele zu formulieren, wenn man schon absehen kann, dass sie nicht erreicht werden. Da geht die Glaubwürdigkeit verloren.

    Durak: Sind es allein die USA, die Schuld daran tragen, dass die UNO so ausgebremst wird?

    Nuscheler: Nein, aber sie sind natürlich jetzt - und John Bolton hatte jetzt nun seine Ouvertüre erlebt - es sind nicht die USA alleine. Aber sie sind die Haupttragenden, weil sie alles tun werden, die Vereinten Nationen zu schwächen, sie darf nicht, der Multilateralismus darf kein Erfolg sein. Insofern sind sie allein. Andere ziehen mit, Russland zieht mit, wenn es zum Beispiel um den UN-Strafgerichtshof geht, China zieht mit. Aber Vorrenner sind die Vereinigten Staaten.

    Durak: Der amerikanische Präsident wird zitiert gestern Abend in seiner Rede: "Wenn die Mitgliedsstaaten wollen, dass die Vereinten Nationen respektiert werden und effektiv sind, sollen sie anfangen dafür zu sorgen, dass sie diesen Respekt verdienen." Was ist daran falsch?

    Nuscheler: Ja, aber es ist eine zynische Bemerkung, weil er genau weiß, dass jetzt wie zum Beispiel diese Erklärung, die da verfasst wurde ohne großen Aufwand, dass sie vor allem nicht weitergehen konnten unter Einfluss. John Bolton hat in diesen ursprünglichen Entwurf mehrere hundert Verbesserungen reingebracht, aufgezwungen. Das sind solche Dinge, "respect for nature", Respekt für die Natur, Respekt für die Menschenrechte, alle diese weitergehenden Verpflichtungen sind einfach gestrichen worden von ihm. Oder eine Sache, die Kofi Annan so wichtig war, da steht drin oder sollte, im Entwurf stand drin, eine Verpflichtung Menschen zu schützen "responsibility to protect people", das ist abgeschwächt worden von einer "obligation", von einer Verpflichtung zu einer Verantwortung, zu einer für mich leeren Verantwortung. Und das war wirklich das Werk der Vereinigten Staaten.
    Durak: Vielleicht ist es aber besser angesichts diese Lage, Herr Nuscheler, dass man die UNO zu so einer Art internationalen Krisenreaktionszentrum-Instrument umfunktioniert?

    Nuscheler: Ja, das ist ja angedacht. Also eines der innovativen Elemente ist ja die Gründung dieser Peacebuiling Commission, also dieser Kommission für Friedenskonsolidierung, wobei noch ziemlich unklar ist, wie sie zusammengesetzt werden soll. Aber eigentlich war es auch die Idee von Kofi Annan, hier etwas Neues zu schaffen, Innovation. Und gerade bei Krisen, dass die Vereinten Nationen bei Krisen handlungsfähiger sind, dass ihre Kräfte und ihre Fähigkeiten gebündelt werden, dass ist etwas Neues. Aber was dahinten rauskommt, ist auch jetzt wieder unklar. In dem Papier ist es so vage formuliert, es ist nicht einmal klar, wer Mitglied in dieser neuen Kommission sein soll. Es sind schon neue Vorschläge da. Kofi Annan hat sich enorm reingehängt in die Verhandlungen. Aber außer jetzt dieser Umwandlung der Menschenrechtskommission in Menschenrechtsrat und ihre Gründung der Commission for Peacebuilding, ist nichts Neues herausgekommen.

    Durak: Vieles geschieht nur unter Druck. Wann erwarten Sie den Druck jener Staaten auf die UNO, dass sie sich ändert, die unter Hunger und Armut und Unterentwicklung leiden?


    Nuscheler: In den nächsten zehn Jahren aber nicht vorher. Und es sieht wohl so aus, dass eben Menschen eben nur aus Katastrophen und Krisen lernen, dass dann dieser Schub noch einmal kommt, wobei ich trotzdem, also jetzt ist schon genau zu erkennen, dass gerade in den Krisenregionen in Afrika diese Ziele bei weitem verfehlt werden. Dass jetzt das Verfehlen die Staatengemeinschaft doch noch dazu bewegen wird, etwas konkreter zu sein und mehr Anstrengungen zu machen. Man darf nicht vergessen, es gab ja diese berühmte, diesen Bericht von Professor Jeffrey Sachs, dem Harvard-Professor. Der hat ja gesagt, wenn die Ziele erreicht werden sollen, müssen die öffentlichen Entwicklungsleistungen verdreifacht werden. Es ist völlig ausgeschlossen, dass es so sein wird. Aber vielleicht wird sie verdoppelt und das wäre schon ein Erfolg.

    Durak: Professor Franz Nuscheler, der Direktor des Instituts für Entwicklung und Frieden in Duisburg. Herzlichen Dank, Herr Nuscheler, für das Gespräch.