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"Da kann man nur die Daumen drücken"

Nach Einschätzung des ZDF-Terrorismusexperten Elmar Theveßen sind die Unterhändler in den Verhandlungen um die Freilassung des Deutschen Rudolf B. aus afghanischer Geiselhaft optimistisch. "Da ist die Hoffnung zurzeit sehr groß, dass man Rudolf B. heute freibekommt. Und da kann man nur die Daumen drücken, dass das auch klappt", sagte Theveßen.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Das Drama um die entführten südkoreanischen Christen, von denen schon zwei ermordet worden sind, es hat in den vergangenen Tagen die Welt in Atem gehalten. Etwas in den Hintergrund geriet dabei, dass sich immer noch auch der deutsche Bauingenieur Rudolf B. in der Hand seiner Entführer befindet und sich in höchster Gefahr befindet. Sein Kollege Rüdiger D. ist in der Geiselhaft ja bereits umgekommen. Gestern Nachmittag hat das Auswärtige Amt das Ergebnis der Obduktion mitgeteilt. Demnach hat der 44-Jährige zunächst einen Kreislaufzusammenbruch erlitten, anschließend wurde auf das Opfer mehrfach geschossen, sogar noch, als Rüdiger D. bereits tot war. Bei uns am Telefon ist jetzt der Terrorexperte Elmar Theveßen vom Zweiten Deutschen Fernsehen. Guten Morgen!

    Elmar Theveßen: Guten Morgen. Grüße Sie!

    Heckmann: Herr Theveßen, was sagt Ihnen das über die Entführer? Kann man daraus irgendwelche Rückschlüsse ziehen auf ihre Motive oder ihre Ziele?

    Theveßen: Ich glaube, das Wichtigste ist natürlich, dass ganz klar ist, diese Entführer sind absolut brutal, und sie nehmen keinen Nachteil in Kauf, wenn sie solch eine Aktion durchführen. Es gibt viele Hinweise darauf, dass es sich nicht um professionelle Terroristen von Beginn an handelte, sondern eher, dass in dieser Situation, in der ganz offenbar die Geisel einen Schwächeanfall erlitten hat, sie das Risiko nicht eingehen wollten, diese Geisel mitzunehmen. Und da ist ihnen das Leben der Geisel relativ egal. Und deswegen diese Schüsse. Sie haben diesen Deutschen ermordet sicherlich auch in dem Wissen, dass sie ja noch eine zweite Person in ihrer Hand hatten, und mit der wollten sie dann ihre Forderungen ganz offenbar durchsetzen.

    Heckmann: Ist es möglich, Herr Theveßen, darüber wird ja spekuliert, dass die Geiselnehmer die Debatte, die deutsche Debatte, die Debatte, die in Deutschland geführt wird um den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr zu beeinflussen zu versuchen?

    Theveßen: Also, wir hatten in den letzten Wochen verschiedene Fälle, von denen wir teilweise auch nichts erfahren haben hier in Deutschland, in denen wahrscheinlich eher auch politische Hintergründe eine Rolle gespielt haben. In diesem Fall hier deutet einiges darauf hin, dass der Auslöser der Entführungsaktion eigentlich eher Streitigkeiten, regionale Streitigkeiten waren, die mit dem Afghanistaneinsatz der Bundeswehr nicht unmittelbar was zu tun haben. Also, ganz platt gesagt, da hat sich möglicherweise jemand geärgert, dass er bei einem großen Geschäft, sprich der Restaurierung eines Staudamms oder Wiederherstellung eines Staudamms in dieser Region, nicht beteiligt worden ist und hat dann möglicherweise eine Gruppe eingeschaltet, die dann die Entführung durchgeführt hat. Das heißt aber im Umkehrschluss, dass nicht von vorneherein politische Forderungen auf der Agenda standen, dass es sich nicht um eine politische Entführung handelte, sondern dass man in den ersten Tagen vielleicht auch die Möglichkeit gehabt hätte, diese ganze Sache mit anderen Forderungen, also mit finanziellen Forderungen, zu einem guten Ende zu bringen.

    Heckmann: Aber das hat sich mittlerweile geändert?

    Theveßen: Ja, da sind sich die Sicherheitsbehörden nicht ganz sicher. Also es gab die Spekulation, dass die Geisel weitergereicht worden sei von der einen an die andere Gruppe. Es gibt Informationen, die auch uns vorliegen, dass in den ersten Tagen tatsächlich eher eine finanzielle Forderung eine Rolle gespielt hat und dass man diese eigentlich hätte erfüllen können und dann die Geisel vielleicht schneller zurückbekommen können. Dann gab es das Video. Und auf einmal sieht alles danach aus, als wäre es eine politische Entführung. Ich persönlich glaube auch nach den Informationen, die uns vorliegen, es hat sich doch nicht so viel geändert. Es ist eine Bereitschaft offenbar auf der anderen Seite da, diese ganze Sache zu lösen, möglicherweise mit Hilfe von Geld oder mit der Erfüllung von anderen Forderungen. Und ich glaube, dass momentan auch den Unterhändlern auf deutscher Seite daran liegt, dies schnell zu tun, denn man hat die große Sorge, dass durch eine mögliche Militäraktion zur Befreiung der südkoreanischen Geiseln, gerade auch in dieser Region, das Schicksal des Deutschen höchst gefährdet ist in den nächsten Tagen.

    Heckmann: Worauf kommt es jetzt an, um dieses Ziel zu erreichen?

    Theveßen: Ja, es kommt darauf an, dass die Kontakte, die zwischenzeitlich einmal kurz abgebrochen waren, eben weiter gepflegt werden. Wir hören aus verschiedenen Quellen, dass man das tut und dass man eigentlich auf einem sehr guten Wege war. Gestern Abend, gestern Nachmittag war man sehr optimistisch, dass man den Deutschen heute oder man dachte zuerst auch gestern schon tatsächlich frei bekommt, dass es sich eigentlich nur noch um Details handelt bei diesen Verhandlungen. Das ist gestern nun nicht erfolgt, aber es zeichnet sich ab, dass es heute erfolgen könnte. Also, da ist die Hoffnung zurzeit sehr groß, dass man Rudolf B. heute freibekommt. Und da kann man nur die Daumen drücken, dass das auch klappt.

    Heckmann: Welche Rolle, Elmar Theveßen, spielen in diesem Zusammenhang die Medien? Kann man da von einem Medienkrieg sprechen? Kann man davon sprechen, dass die Medien benutzt werden von den Terroristen?

    Theveßen: Also die Terroristen haben schon seit längerer Zeit verstanden, wie wichtig es ist, diesen Krieg eben auch in den Medien zu führen. Das haben wir allerdings in allererster Linie in den letzten Jahren im Irak gesehen. Da haben die Anführer der El Kaida auch gesagt, was nützt es uns, wenn die Welt nicht von unserem Kampf erfährt?. Ich zitiere jetzt mal den Anführer der El Kaida im Irak, der mittlerweile auch getötet worden ist. Und der hat dann seine Terroristen ausgestattet mit Videokameras, die die Vorbereitung und Durchführung von Anschlägen dann eben gedreht und ins Internet gestellt haben. Diese Propaganda, diese Kampagne ist jetzt auch so ein bisschen auf Afghanistan übergegriffen. Das heißt, da werden, da gibt es so etwas wie ein Medienkomitee der Taliban, und auch kleinere Gruppen haben sich mittlerweile so eine Art Medienbeauftragten zugelegt, der den Kontakt dann auch pflegt, entweder einfach nur, indem Material ins Internet gestellt wird oder indem man Telefonnummern verteilt, so dass ganz offenbar die Medien auch direkt mit sogenannten Sprechern der Taliban telefonieren können.

    Ich halte das für sehr bedenklich. Die große Frage ist, ob man als Medium sich nicht entscheiden muss, solche Kontakte nicht zu pflegen, solche Anrufe nicht zu machen, weil natürlich diese Interviews, die da stattfinden, erheblich zum psychischen Druck auf die Öffentlichkeit der Länder des jeweiligen Entführten beitragen, aber natürlich auch auf die Bundesregierung und auf die Verhandlungen, die dann möglicherweise stattfinden sollen.

    Heckmann: Danke schön. Das war der Terrorexperte des Zweiten Deutschen Fernsehens, Elmar Theveßen.