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"Da sind viele Pannen und Schlampereien passiert"

Das System, dass die Wirtschaft sich selbst kontrolliert, habe versagt, sagt Christian Meyer. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im niedersächsischen Landtag fordert mehr amtliche Kontrolle der Futtermittelindustrie und ein klares Reinheitsgebot für Futter.

Christian Meyer im Gespräch mit Gerd Breker |
    Gerd Breker: Die Agrar- und Verbraucherminister der Länder beraten derzeit auf einer Sondersitzung mit Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner über Konsequenzen aus dem Dioxin-Skandal. Aigner hatte einen 10-Punkte-Plan vorgelegt. Ihr Plan umfasste unter anderem eine Zulassungspflicht für Futtermittelbetriebe, eine strikte Trennung der Produktionsströme, die Ausweitung rechtlicher Vorgaben für die Futtermittelkontrolle und eine Meldepflicht für private Labors. Die von Aigner geforderte stärkere Mitwirkung des Bundes bei der Kontrolle stieß bei den Ländern indessen auf wenig Gegenliebe.
    Am Telefon begrüße ich nun Christian Meyer. Er ist der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im niedersächsischen Landtag und deren agrarpolitischer Sprecher. Guten Tag, Herr Meyer!

    Christian Meyer: Guten Tag!

    Breker: Sie wollen gleich vor dem Landwirtschaftsministerium in Hannover demonstrieren. Nur da ist niemand, kein Minister, kein Staatssekretär.

    Meyer: Das stimmt! Das ist ein herrenloses Haus und deshalb ist der Skandal, der ja von Niedersachsen ausging und in Niedersachsen die größten Ausmaße hat – hier sind die meisten Betriebe gesperrt und die letzten vier Wochen waren nicht gerade ruhmreich für dieses Ministerium, da sind viele Pannen und Schlampereien passiert -, deshalb wollen wir zumindest für den neuen Minister, der morgen vereidigt wird, ihm schon mal einen klaren Aufgabenkatalog für einen besseren Verbraucherschutz mitgeben.

    Breker: Dann lassen Sie uns, Herr Meyer, doch mal konkret werden. Wo liegen denn die Fehler, die in Niedersachsen gemacht wurden?

    Meyer: Die Fehler liegen zum einen im System, dass man immer zu sehr den Angaben der Futtermittelindustrie und der Agrarindustrie vertraut hat. Das Kontrollsystem läuft ja so, die Eigenkontrollen, dass die Wirtschaft sich quasi selbst kontrolliert, und dann war es ja eben so, dass einige negative Kontrollergebnisse, zu viel Dioxin im Fleisch, einfach unterdrückt worden sind, und das darf nicht sein. Wir brauchen eine stärkere amtliche Kontrolle. Niedersachsen hat gerade mal 14 Kontrolleure fürs ganze Land, für 2.000 Betriebe, da kommt man ziemlich selten dran und deshalb ist das Risiko, kriminell zu handeln, sehr hoch.

    Breker: Es ist ja inzwischen nicht nur Dioxin. Schon längst verbotene Hormone landen offenbar wieder im Futtermittel und auch Antibiotika. Offenbar ist da sehr viel kriminelle Energie im Spiel?

    Meyer: Ja. Es ist eben auch nicht nur ein Einzelfall, sondern es hat System. Wir haben gestern noch mal hoch gefährliches Antibiotika in Lebensmitteln gefunden, es ist das Dioxin zu finden, wir haben Skandale mit diesen Maschinenölen, mit Industriefetten, Penicillin-Medikamenten. Also das ist ein ganzer, sage ich mal, Giftmüll-Cocktail, der da in dieser industriellen Landwirtschaft verwendet wird und am Ende auch dann in den Mägen und Tellern der Verbraucher landet. Deshalb brauchen wir da ein klares Reinheitsgebot und man muss grundsätzlich, glaube ich, auch lernen, dass diese Art der Industrialisierung der Landwirtschaft ein Fehlweg ist, der auf dem Rücken der Verbraucher ist, und deshalb man zu regionalen Kreisläufen wieder stärker kommen muss und den Ökologie- und den Tierschutz dabei auch stärker beachtet.

    Breker: Sie haben es eben angedeutet, Herr Meyer: Die Produktionsströme zwischen Futterfetten und industriellen Fetten, sie sollen getrennt werden. Das irritiert normale Menschen natürlich völlig, denn wer hätte gedacht, dass es bislang nicht so war.

    Meyer: Richtig! Wenn man sich anschaut, was alles im Tierfutter landet? Es gibt ja so eine Positivliste von diesem QS-Siegel, und da taucht dann auf Blutplasma von Schweinen, Penicillin-Reste, und dann kommen eben solche Fette, die da hergestellt worden sind. Deshalb muss man schon darauf achten, was in die Tröge der Tiere hineingegeben wird, und wir brauchen da wieder wirkliche Agrarprodukte. Da muss wieder Getreide hinein, Soja und wirklich auch ordentliche Futtermittel, ohne solche Zusatzstoffe, Wachstumsverstärker und was es da alles an Medikamenten gibt. Deshalb brauchen wir ein klares Reinheitsgebot für das Futter.

    Breker: Sie haben gesagt, es muss mehr kontrolliert werden. In Berlin heute geht es ja auch darum, wer soll denn kontrollieren. Wer soll denn nach Ihrer Ansicht, Herr Meyer, kontrollieren?

    Meyer: Das System, dass die Wirtschaft sich selbst kontrolliert, das hat versagt. Dieses große Eigenkontrollsystem, das ist sehr missbrauchsanfällig. Deshalb muss man die Kontrolle aus den Händen der Wirtschaft nehmen, man muss sie in eine öffentliche Hand überführen, am besten sozusagen in eine staatlich kontrollierte oder auch unabhängig mit Verbraucherschutzverbänden, und es muss eine deutlich stärkere Zahl von Kontrollen geben, unangekündigt, auch in diesen Vorprodukten, also in diesen ganzen Fett- und Vitaminmischungen, die da stattfinden, nicht nur im Endprodukt. Niedersachsen hat im Jahr gerade mal 165 Dioxin-Proben, die sie zieht. Das ist natürlich bei Hunderttausenden von Produkten viel zu wenig. Da muss man ansetzen, aber man muss sicher auch diese ganzen Stoffströme verändern und stärker zu einer regionalen bodengebundenen Landwirtschaft kommen.

    Breker: Offenbar, Herr Meyer, gibt es ja auch Kommunikationsprobleme. Der Dioxin-Skandal wäre ja ohne Eingreifen der Bundeskanzlerin fast zu einem unions-internen Streit geworden, eben halt, weil es mit der Kommunikation nicht funktioniert hat. Muss da was kanalisiert werden, was automatisiert werden?

    Meyer: Es wäre schon sinnvoll, wenn man da auf Bundesebene einheitliche Richtlinien hat und eine bessere Kommunikation der Bundesländer untereinander. Es war ja so, dass Niedersachsen das Problem, was ja schon Ende Dezember auftauchte, zunächst am Anfang völlig unterschätzt hat, die Gefahren heruntergespielt hat, tagelang behauptet hat, in Eiern und Schweinen könne kein Dioxin sein. Das hat sich als falsch herausgestellt. Wir wissen, es ist belastetes Schweinefleisch und Eier auf dem Markt. Die Rückrufaktionen funktionierten nicht und Nordrhein-Westfalen zum Beispiel wollte ganz oft Informationen haben und bekam sie dann nicht aus Niedersachsen. Da muss es eine klare Verpflichtung geben, nicht nur unter den Ländern zu kommunizieren, sondern auch wirklich die Namen der betroffenen Firmen offenzulegen. Heute wissen wir immer noch nicht, wie die 25 Futtermittel-Mischwerke heißen, die sozusagen dieses dioxinbelastete Fett bekommen haben. Da wird eine große Geheimniskrämerei betrieben, und das darf zulasten der Verbraucher nicht sein.

    Breker: Ist das nicht irgendwie auch ein Kompetenzwirrwarr zwischen Bund und Ländern und irgendwo auch zwischen Bund, Ländern und der Europäischen Union? Die hat ja auch Zuständigkeiten.

    Meyer: Ja, ja. Jeder schiebt immer gerne die Verantwortung auf den anderen. Die EU gibt die Richtlinien vor, aber die Überwachung machen die Länder, und die haben da massiv auch eingespart. Gerade Niedersachsen hat die Futtermittelkontrollen deutlich zurückgeführt und die Möglichkeit, dann erwischt zu werden, ist äußerst gering. Der Bund hat da die koordinierende Funktion, die nimmt er auch nicht richtig wahr, was nun wirklich ins Futter darf. So eine Art Reinheitsgebot, Positivliste, das ist lange überfällig. Aber insgesamt glaube ich auch, wir müssen stärker darauf achten, dass man den Verbraucherschutz hier höher hängt als die wirtschaftlichen Interessen, und die sind auf Landesebene gerade in Niedersachsen immer sehr stark gewesen, dass man bei dieser großen Wirtschaftskraft im Agrarland Nummer 1 im Zweifel eben nicht für den Verbraucher agiert hat, sondern die Gefahren in Kauf genommen hat und die Betriebe geschützt, und das darf nicht sein.

    Breker: Wenn man sich heute auf etwas einigen würde, zumindest in Teilen auf den 10-Punkte-Plan, den Ilse Aigner vorgelegt hat, würden Sie das unterstützen?

    Meyer: Es muss sicher weiter gehen. Es reicht nicht aus, jetzt ein bisschen an den Kontrollen zu friemeln, da ein bisschen mehr, eine Trennung der Ströme technische Fette, pflanzliche Fette zu machen. Das ist sicher sinnvoll. Aber wir müssen grundlegend auch dieses risikoreiche System der Lebensmittelherstellung infrage stellen, also wie viel hat die Lobby an Einfluss, wie produzieren wir eigentlich und ist es nicht sinnvoller, vor drei Jahren war man ein landwirtschaftlicher Betrieb nur, wenn man sein Futter überwiegend selber erzeugte. Das ist von der Großen Koalition, von CDU und SPD aufgehoben worden. Wenn man zu dieser bodengebundenen Kreislaufwirtschaft zurückkommt, kann man nicht nur Dioxin-Skandale größer vermeiden, sondern man hätte sie auch stärker eingegrenzt als dieser weltweite Futtermittelhandel, wo man nicht weiß, was eigentlich für Müllstoffe, Restmüllstoffe da eigentlich oft drin sind.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Meinung von Christian Meyer. Er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im niedersächsischen Landtag. Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Meyer.

    Meyer: Bitte!