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"Da werden wirklich Leute verletzt"

Die Vorsitzende der Berliner Amadeu-Antonio-Stiftung, Anetta Kahane, hat auf das Problem rechter Gewalt hingewiesen und Ex-Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye unterstützt. "Bittere Wahrheiten beim Namen zu nennen, schaden immer den Rechtsextremen und nützen der zivilen Gesellschaft und der Demokratie", sagte Kahane.

Moderation: Rainer-Berthold Schossig |
    Rainer-Berthold Schossig: Schon seit geraumer Zeit warnt der internationale Reiseführer "Lonely Planet" Ausländer vor einem sorglosen Bereisen der Berliner Bezirke Marzahn und Lichtenberg, wo übrigens gestern ein aus der Türkei, aus Kurdistan, stammender Politiker der Linkspartei krankenhausreif geschlagen wurde. Ähnliches gilt auch für gewisse Stadtteile Magdeburgs, wie es heißt, und für Regionen der Insel Rügen. Menschen, die nicht deutsch aussehen, kurz, müssen hier mit rassistischen Übergriffen rechnen. Es hätte also vielleicht der plakativen Warnungen des ehemaligen Pressesprechers Uwe-Karsten Heye vor dem Betreten nicht unbedingt bedurft, die zurzeit für Aufregung sorgen. Die Vorfälle häufen sich. Erst am Ostersonntag war ein Deutsch-Äthiopier von Rechtsextremisten fast totgeschlagen worden. Frage an Anetta Kahane, sie ist Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin: Ihre Stiftung trägt den Namen eines Opfers, Amadeu Antonio, der Anfang der 90er Jahre einer rassistischen Gewalttat zum Opfer fiel. Sie dokumentieren ja damit, nicht wegschauen hilft, sondern hinschauen. Hat Uwe-Karsten Heye also Recht?

    Anetta Kahane: Ja, sicher hat er Recht. Wir haben gerade vor zwei Tagen eine Liste der Opfer rechter Gewalt, also Todesopfer rechter Gewalt, noch einmal herausgegeben. Die ist schon einmal recherchiert worden, vor einiger Zeit. Aber nur, um noch einmal in Erinnerung zu rufen, dass es 133 waren, bis zum heutigen Tage, die durch Rechtsextreme umgebracht wurden, aus rassistischen oder aus politischen Gründen. Und das ist ja nicht so wenig. Wir versuchen natürlich in allererster Linie, uns um die Opfer zu kümmern. Das ist das Anliegen der Stiftung, sozusagen von Anfang an. Deswegen tragen wir auch den Namen von Amadeu Antonio. Wir wollen auch sozusagen denjenigen ein Gesicht geben und Namen geben, die von den Rechten so drangsaliert werden.

    Schossig: Viele Politiker haben nun Heyes Äußerung als nicht nützlich und als einseitig, über das Ziel hinausschießend, bezeichnet. Aber wem schadet es, wem nützt es, bittere Wahrheiten beim Namen zu nennen?

    Kahane: Ja, bittere Wahrheiten beim Namen zu nennen, schadet immer den Rechtsextremen und nützt der zivilen Gesellschaft und der Demokratie. Und jeder, der sagt, es ist besser, wenn man über Sachen schweigt, den möchte ich bloß einmal daran erinnern, dass es noch nie geholfen hat, zu schweigen, und schon gar nicht in Deutschland. Und insofern bin ich immer sehr dafür, dass man die Sachen auf den Tisch legt und dass man dann wirklich überlegt, was man machen kann. Und nicht immer nur an das Ansehen von irgendwelchen bizarren Gebilden wie Städten oder Landregionen, oder Bundesländern denkt, sondern die Verantwortung für die Leute spürt, denn da werden wirklich Leute verletzt. Und da werden auch die Gefühle von Leuten verletzt, die in Deutschland leben und die massenhaft die Erfahrung gemacht haben, dass es nicht so gesund ist, in den Osten zu gehen. Fragen Sie doch einmal die Migranten im Westen, warum die nicht unbedingt in der Sächsischen Schweiz Urlaub machen wollen. Die wissen warum.

    Schossig: Wenn man sich das einmal genauer ansieht, solche Kleinzonen von Klima der Angst. Das entsteht ja eben nicht durch Warnungen, wie die von Heye, sondern durch lokale Fronten, sage ich mal, von Gewalttätern, die plötzlich anscheinend gewissermaßen die Macht übernehmen, in einem Ort, in einer Provinz, in einer kleinen Region. Heyes Organisation heißt ja "Gesicht zeigen". Was tun Sie? Was tut Ihre Organisation, die Amadeu-Antonio-Stiftung?

    Kahane: Wir arbeiten in sehr unterschiedlichen Bereichen. Auf der einen Seite versuchen wir immer auch Öffentlichkeit herzustellen, das ist ähnlich wie bei "Gesicht zeigen", die sehr stark auf Kampagnen und Öffentlichkeitsarbeit ausgerichtet sind. Auf der anderen Seite führen wir selbst Projekte durch, wo wir das Gefühl haben, da gibt es noch nicht genug. Also ich bin ja selbst aus der Praxis und weiß daher ungefähr, was so gebraucht wird. Und zum Beispiel machen wir jetzt gerade ein interessantes Projekt zum Thema Geschichte des Antisemitismus in der DDR nach 1960, in neun ostdeutschen Städten. Und man tut immer so, als wäre der Antisemitismus - das hat sehr viel mit der Gegenwart zu tun, auch mit der Vergangenheit - man tut immer so, als wäre der Antisemitismus irgendwie 45 verschwunden - und überhaupt die ganze Haltung, die dazu führte - und qua Deklaration, der Antifaschismus ausgebrochen. Und die Leute brauchten dann auch überhaupt nicht mehr darüber nachzudenken, haben verdrängt, haben geschwiegen. So, nun ist aber während der Zeit der DDR auch sehr viel passiert, auch von staatlicher Seite. Und das versuchen wir jetzt zu recherchieren und es gibt unglaublichen Widerstand dagegen. In vielen Orten wollen die Leute das nicht. Sie wollen nicht darüber sprechen, sie wollen nicht über die Vergangenheit der Nazizeit, aber sie wollen auch nicht über die Zeit der DDR sprechen, wo es solche Dinge gegeben hat. Und die Nazis selbst, die in diesen Orten sind, die versuchen das mit allen Mitteln zu verhindern. Also selbst das Andenken an Juden, die in solchen Städten gelebt haben, das wollen sie unbedingt beschmutzen und da machen sie ganz viel Terror. Und da merkt man, dass es da in einigen dieser Städte so eine Front gibt, von den bürgerlichen Mittelschichten bis hin zu den Rechtsextremen, die alles abblocken und abwehren. Und das ist genau diese Haltung, die auch möglich macht, dass die sich wie die Fische im Wasser bewegen, in diesen Regionen, die Nazis. Und dass, wenn da Ausländer hinkommen oder Migranten oder schwarze Deutsche oder was auch immer, dass dann da so eine Stimmung der Abwehr kommt, bis zur Bedrohung. Und die kommen dann eben einfach nicht wieder hin.

    Schossig: Das heißt ja aber, dass man an diesen Orten eine Art Gegenöffentlichkeit erzeugen müsste. Sie sagen, das ist eine doppelte Verdrängung, ein doppeltes Schweigen. Das kommt noch aus der Nazizeit her; also über 60, 70 Jahre wird da geschwiegen, über alles Mögliche. Wie kann man da kurzfristig überhaupt reinkommen? Das dauert doch Generationen, ehe sich da etwas ändert. Was kann man da praktisch tun?

    Kahane: Ja, irgendwann muss man anfangen, das ist ganz klar. Also man muss anfangen. Und Sie sehen ja, wenn wir solche Projekte machen und mit Jugendlichen arbeiten und mit Erwachsenen, dass wir doch - also ich könnte diese Arbeit nicht machen, wenn ich die Hoffnung nicht hätte, dass manchmal Jugendliche und auch Erwachsene drum herum "aha", "hm", "soso", sagen und irgendwie sich öffnen und neugierig werden. Und dann doch irgendwie so ein Gerechtigkeitsgefühl erwecken und sagen, "Das geht nicht, das kann man nicht machen, ja, darum müssen wir uns kümmern, da haben Sie ja Recht. Ja, das haben wir noch gar nicht gemerkt, wie konnten wir uns die ganze Zeit, wie konnten wir da bloß wegkucken? Ja, selbstverständlich." Also da entsteht etwas. Und dieses Entstehen, das muss man unterstützen, das muss man befördern, da muss man gute Leute haben, die das vermitteln. Und diejenigen, die dann in den Orten sind und sich dieser Sachen annehmen, die muss man unterstützen. Denen muss man mal Geld geben - also man kann auch bei uns Anträge stellen - da muss man auch mal mit Prominenten hinfahren, damit die auch mal eine Anerkennung erfahren. Also da gibt es einen ganzen Katalog von Dingen, die wir machen, um die Leute vor Ort stark zu machen, die das da machen. Weil, wenn wir das nicht tun, dann schaffen die das nicht, dann werden die so gedrückt und gemoppt und so weiter, dass die dann irgendwann aufgeben. Und das darf nicht sein.

    Schossig: Das beobachtet man ja auch schon in der Straßenbahn. Wenn jemand randaliert, wenn jemand jemanden schlägt, ist es immer sehr schwierig, dass Leute eingreifen. Die meisten kucken erst einmal weg und kucken erst einmal, wie sich das entwickelt. In so einem Fall, wo eine radikale Bande von Gewalttätern, von rassistischen Tätern, einem Dorf gegenüber tritt, was muss man denn tun, um diese Leute zu isolieren? Braucht man da auch die staatliche Gewalt? Arbeiten Sie mit den Polizeibehörden in den Orten zusammen? Was haben Sie da für Erfahrungen?

    Kahane: Ja, wir unterstützen zum Beispiel ein sehr interessantes Projekt, das nennt sich "Community Coaching", wo also sozusagen eine Kommune, ein Gemeinwesen, sich Rat holen kann, von der Polizei bis über die Bürgermeister bis über die Leute, die in der Zivilgesellschaft aktiv sind, die sich da hinwenden können. Es gibt auch die mobilen Beratungsdienste, die von uns auch unterstützt werden. Die werden zwar staatlich gefördert, bis zum Ende des Jahres muss ich dazu sagen, dann ist die Förderung vorbei. Das ist übrigens auch eine Sache, die mir völlig unbegreiflich ist, wie man jetzt gerade, nachdem die fünf Jahre erfolgreich gearbeitet haben, die abschafft. Und wir versuchen also auf diese Weise, Rat, Tat und Lebenshilfe zu geben. Manchmal ist es so, da gilt dann eher der Satz nicht, wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg, sondern umgekehrt, wo ein Weg sich zeigt, dann entwickeln die Leute auch einen Willen, was zu tun. Das ist eine sehr langfristige, eine sehr kleinteilige Aufgabe, die sehr arbeitsintensiv ist und die sehr viel Professionalität verlangt und Eingehen auf die Leute. Und nicht sofort sich zurückziehen, wenn da mal blöde Sprüche kommen, sondern wirklich versuchen, demokratische Kultur - also nicht die Demokratie als solche, die gibt es ja, es gibt ja das parlamentarische System und die Polizei und so weiter - aber die Kultur, die Alltagskultur wachsen zu sehen. Und dafür gibt es dieses "Community-Coaching"- Projekt. Wir unterstützen übrigens auch Exit, das ist ein Aussteigerprojekt für Leute, die die rechte Szene verlassen wollen, und noch einige andere Sachen, die bewirken, dass man in den Kommunen langsam eine Veränderung hinkriegt. Es gibt keinen großen Wurf. Also man muss demokratische Kultur in den Schulen, im Umfeld von Schulen, in den Jugendeinrichtungen, Ausstiegsorientierung, Arbeit mit Sozialpädagogen - das ist immer Arbeit mit Menschen - und in sehr kleinen Schritten versuchen, irgendwie so etwas wie eine Öffnung, wie eine Sensibilisierung oder eine Haltung zu erzeugen.

    Schossig: Kein großer Wurf, sondern viele kleine Schritte sind nötig. So weit Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin, zum praktischen Umgang mit rechter Gewalt, Rassismus und Fremdenhass.