Donnerstag, 28. März 2024

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"Daemon" von Mayhem
Kalt und misanthropisch

Black Metal gehört zu den extremen Spielarten der Rockmusik, und die norwegische Band Mayhem zählt zu den Pionieren des Genres. Ein Vierteljahrhundert nach ihrem Debüt hat sie jetzt ein neues Album herausgebracht, das Tradition und Fortschritt gekonnt miteinander verbindet.

Jens Balzer im Kollegengespräch mit Anja Buchmann | 26.10.2019
Die Band Mayhem vor einem schwarzem Hintergrund, zu erkennen sind nur die Gesichter der Musiker.
Noch immer aktiv: Die Black Metal Band Mayhem. 25 Jahre nach ihrem Debüt erscheint nun ihr neues Album "Daemon". (Stefan Raduta)
Anja Buchmann: Die norwegische Band Mayhem gibt es jetzt seit 35 Jahren. Sie zählt zu den Pionieren und Legenden des Black Metal, und das nicht nur wegen ihrer Anfänge in der Satanisten- und Kirchenanzünder-Szene Ende der 80er-Jahre in Oslo und der Tatsache, dass es einen Mord und einen Selbstmord in der Band gab. Ihr Debütalbum "De Mysteriis Dom Sathanas" gilt wegen seiner Kälte, Kraft und Bosartigkeit als musikalischer Meilenstein des Black Metal, danach ist die Band mit wechselnden Besetzungen unterschiedliche musikalische Pfade gegangen, von einer Progressive-Rock inspirierten Phase Anfang der Nullerjahre, bis zu einem theatralischen aufgebauschten Okkult-Metal und Konzerten, die der Sänger der Band, Attila Csihar, in einem Bugs-Bunny-Kostüm bestritten hat. Jetzt ist mit "Daemon" zum ersten Mal seit fünf Jahren ein neues Mayhem-Album erschienen. Jens Balzer, unser Musikkritiker, was gibt es darauf zu hören? Und Entspannungsmusik ist es natürlich nicht, aber sollte man es dennoch hören?
Giftige Schwirrgeräusche
Jens Balzer: Ich hatte sehr großen Spaß mit der Platte. Ich kann mich da auch hervorragend entspannen zu. Es gibt erstmal alles zu hören, was das Herz des Black-Metal-Freundes begehrt, also finsteren Gitarrenkrach mit tobendem Doppelbasstrommelgetrete darunter. Ein wirklich kompetenter Extremgesang zwischen Grollen, Knurren, Winseln, Schreien und amtlichen Heldentenor-Einsätzen von einem, wie ich finde, immer noch besten Vertreter seiner Zunft. Die Gitarren, das ist ganz interessant, die erzeugen oft so giftige Schwirrgeräusche, die die Musik in so eine Art Schwebezustand versetzen und dann, zack, gibt es doch einen Bruch, einen Break, und das gesamte musikalische Arrangement bewegt sich in eine komplett andere Richtung. Also, das ist Musik von wirklich virtuos verstörender und Unbehagen erzeugender Qualität, wie man das von Mayhem eben gewöhnt ist.
Buchmann: Das Debütalbum von Mayhem erschien vor einem Vierteljahrhundert. Ist also schon eine ganze Weile her. Kann man denn nach all dieser Zeit immer noch so richtig böse sein?
Balzer: Ich glaube ja, dass musikalische Boshaftigkeit, dass die die Menschen ganz gut konserviert. Black-Metal-Musiker haben ja auch den Vorteil, dass man ihnen das Alter schon deswegen nicht ansieht, weil sie im Gesicht immer dicke Leichenschminke haben.
Buchmann: Ach wunderbar, da kann man da gut altern.
Ein schmerzgeplagter Priester
Balzer: Richtig. Das sogenannte Corpse Paint, wurde übrigens auch von Mayhem als Stilmittel eingeführt, populär gemacht, genauer gesagt, von ihrem ersten Sänger Dead, der allerdings, haben Sie eben schon gesagt, allerdings nicht lange dabei war, weil er passend zum Namen Selbstmord begangen hat. Gar nicht so einfach ist das hingegen in fortgeschrittenem Alter, auch noch dieses extrem hohe Schlagzeugtempo durchzuhalten, das das Genre erfordert. Da schlägt sich Mayhem-Drummer Hellhammer hervorragend. Und auch Attila Csihar, der seit 1994, mit einer längeren Unterbrechung Ende der 90er-Jahre, dabei ist, ist stimmlich gut gealtert. Besonders gut ist er dann, wenn er sich als schmerzgeplagter Priester oder Schamane geriert, wie in einem ganz wunderbaren Stück, etwa zur Hälfte des Albums, "Malum", vielleicht können wir da mal kurz reinhören.
Buchmann: Ein kleiner Ausschnitt aus dem Song "Malum" von der Band Mayhem aus ihrem neuen Album. Ok, jetzt ist gute Kondition im Alter das eine, beim Gesang oder auch beim Schlagzeugspielen, wie auch immer, das andere ist: Haben Mayhem nach all den Jahren denn noch irgendetwas zu sagen? Gibt es eine richtige künstliche Entwicklung ihrer Meinung nach?
Synthese ihrer unterschiedlichen Werkphasen
Balzer: Entwicklung ist nun vielleicht übertrieben. Ich glaube, man hört eine Art Synthese ihrer unterschiedlichen Werkphasen, die sie am Anfang schon erwähnt haben. Einerseits herrscht immer noch diese Kälte und Grobheit des Frühwerks, andererseits, aber auch diesmal gerade, unter der Zuhilfenahme einer ausgesprochen runden, ich finde raffinierten und auch sehr virtuos dunkelbunt ausgepinselten Produktion. Man hört jedes einzelne Instrument wirklich ganz klar, insbesondere auch den Bass von Necrobutcher, der bei Mayhem schon immer eine ganz Genre unübliche Leitfunktion hatte. Und man hört auch viele filigrane kleine Figuren, die die beiden Gitarristen Teloch und Ghul in die Arrangements flechten. Das nähert sich stellenweise schon dem experimentellen Spiel aus dieser, sagen wir mal, Progressive-Rock-Phase an, die geprägt war von einem damaligen Mayhem-Gitarristen, nämlich Blasphemer, der von Ende der 90er-Jahre bis zu dem Album "Ordo ad Chao" 2007 dabei und von vielen älteren Mayhem-Fans bis heute schmerzlich vermisst wird, weil die jetzt wiederum Teloch und Ghul zu flächig und einfallslos finden. Aber ich finde hier schließen sie durchaus an ihn an oder zu ihm auf, ohne ihren eigenen Stil zu verlieren. Insofern kann man vielleicht sagen, "Daemon" ist eine im guten Sinne klassizistische Platte geworden.
Buchmann: Wie verhalten sich denn Mayhem zum Rest des Black Metal? Kann man sagen, dass das Genre jetzt im Ganzen in seine klassizistische Phase eingetreten ist? Underground ist es ja jedenfalls nicht mehr.
Balzer: Underground ist es sicher schon seit Ende der 90er-Jahre nicht mehr. Manche von den Elementen, die damals zentral waren, also insbesondere der Satanismus, die findet man immer noch, auch bei sehr erfolgreichen Bands. Etwa bei Watain aus Schweden oder bei Behemoth aus Polen, die gewissermaßen die antichristlichen Aspekte des Genres zum politischen Widerstand gegen den reaktionären Katholizismus in ihrem Heimatland erhöht haben. Bei Mayhem kommt das nicht mehr vor. Spätestens seit Csihar selber die Texte verfasst hat. Der pflegt eher so eine Art, sagen wir mal, polymythologischen Mytheneklektizismus. Die beziehen sich aber insgesamt noch auf die klassischen Aspekte des Genres mit all ihrem Pathos, ihrer Kälte und Düsternis. Auf der anderen Seite merkt man aber auch, dass sie den neuen Entwicklungen im sogenannten Post-Black-Metal zugehört haben, wie sie zum Beispiel von Bands wie Liturgy oder Deafheaven initiiert wurden. Die haben gewissermaßen den Black Metal durch die Linse des Post-Rock und Avantgarde-Pop der letzten Jahrzehnte weitergedacht. Auch das kann man da hören. Insofern könnte man sagen: Mayhem sind jetzt wirklich echte Klassiker geworden und "Daemon" ist ein Album, das wirklich unbedingt jeder, der sich für extreme Musik interessiert, hören sollte.