Sören Brinkmann: Heavy Metal im Nahen Osten, eine Kombination, die scheinbar so gar nicht zusammenpasst. Und auch den meisten Musikkennern ist sie sicher eher unbekannt. Dass es aber eine solche Metalszene gibt, im Libanon oder in Ägypten, das zeigt der britische Journalist Orlando Crowcroft. Sein Buch ist gerade erschienen – unser Musikkritiker Jens Balzer hat es gelesen. Herr Balzer, wie wird diese Szene beschrieben?
Jens Balzer: Ja, Sie haben recht. Es ist natürlich enorm ungewöhnlich, auf den ersten Blick, über Heavy Metal im Nahen Osten zu reden. Man denkt ja erst mal, also, gerade der Heavy Metal mit seiner Neigung zur musikalischen Härte und zur Provokation und vor allem auch mit diesem ganzen Inventar an Gothic- und Horror-Bildern, Satanismus und Blasphemie - das ist ja ein Stil, mit dem man schon in liberalen, westlichen Ländern auf Widerstand stößt - wie muss das erst im muslimisch geprägten Regionen sein?
Und genau so ist es. Der britische Journalist Orlando Crowcroft, der lange in Dubai und Jerusalem gelebt hat, zeigt das in seinem Buch "Rock in a Hard Place – Music and Mayhem in the Middle East". Da führt er durch sechs Länder in der Region: Libanon, Iran, Ägypten, Saudi Arabien, Israel und Palästina und schließlich Syrien und erzählt von Künstlern, Bands, vielen Männern – aber auch einigen Frauen - die sich mit ganzer Leidenschaft dieser Musik verschrieben haben und dafür ihre ganze Existenz riskieren, ihre körperliche Unversehrtheit und ihr Leben.
"Frauen ist das Singen verboten"
Brinkmann: Über diese Bedrohung sprechen wir vielleicht gleich noch – aber was für Bands sind das da? Wer steht im Mittelpunkt?
Balzer: Ja, also es geht los im ersten Kapitel im Libanon. Und zwar im Jahr 2006, kurz vor dem Beginn des Krieges mit Israel. Und da trifft er in einem winzigen Club, in einem ehemaligen Bordell in Beirut auf eine Black-Metal-Band namens "Ayat", die spielt so ultra-schnellen, aggressiven Grunz-Metal nach dem Vorbild der norwegischen Klassiker und hat dann auch Texte wie "All Hail Allah the Swine". Sie beleidigen den Propheten Mohammed ausgiebig als Mörder und Vergewaltiger und tun auch ansonsten alles, um die antichristliche Haltung des europäischen Black Metal auf den Islam zu übertragen.
Das sind dann schon fast die krassesten Beispiele, aber er trifft dann so Bands wie, im Iran, eine Gruppe namens "Master of Persia", die Death Metal mit persischen Folkmusik-Elementen verbindet; da gibt es dann zwar diese Art der offenen der Blasphemie nicht, aber im Iran reicht es schon, wenn man sich auf vor-islamische Musiktraditionen bezieht, um ins Visier der Religionswächter zu geraten. Und noch schlimmer: Es gibt auch eine weibliche Sängerin in der Band, Anahid heißt die, und seit der Iranischen Revolution 1979 ist Frauen das Singen in der Öffentlichkeit ja dort komplett verboten, egal ob das jetzt in Metal-Bands ist oder nicht.
"Musik als Protest"
Und dann geht das weiter, Israel, Palästina. In Ägypten trifft er auf die Black-Metal-Band "Dark Philosophy". Das ist interessant: Die konnte jahrelang nur im absoluten Untergrund auftreten – aber dann gerade nach dem Sturz von Mubarak und dann dem späteren Wahlsieg der Muslimbrüder – bricht dann für die eine kurze Zeit der ungeahnten Freiheiten an. Und diese Freiheiten waren auch gleich wieder vorbei nach dem Militärputsch, als sich dann unter General Sisi die Lage wieder verschärft hat.
Brinkmann: Das zeigt also, quer durch die Region, wirklich von Ägypten bis zum Iran, gibt es da solche Szenen. Und Sie haben die Gefahren angesprochen für Musiker aber eben auch für Fans. Da frage ich mich: Warum nehmen Menschen solche Risiken auf sich? Warum begeben sie sich in solche Gefahr? Wird das nachvollziehbar im Buch?
Balzer: Ja, das ist natürlich die Frage, die dieses Buch durchzieht. Und das ist auch wirklich teilweise berührend auch aufgeschrieben von Orlando Crowcroft. Natürlich spielt zum einen immer der" Wille zum Anderssein und zur Provokation Wille zum Anderssein und zur Provokation – also wie im Metal generell - eine Rolle. Ich hatte schon erwähnt, in Beirut, da gab es diese blasphemischen Black-Metaller: Die sagen ganz klar: Sie sehen ihre Musik als Protest gegen die Islamisierung der ja - bis in die Nullerjahre - tief multikulturellen und säkularen libanesischen Gesellschaft; sie wollen nicht, dass die Religion ihr Leben bestimmt und beziehen offensiv dagegen Stellung.
"Die Härte der Musik spiegelt das Leben"
Während zum Beispiel interessanterweise "Master of Persia" aus dem Iran sagen, dass ihnen Politik und Religion eigentlich egal sind. Die mochten den norwegischen Folk-Metal, weil er von archaischen, kalten, menschenfeindlichen Landschaften erzählt – und die sagen, das sind Landschaften, wie man sie auch in den Gebirgsregionen ihrer iranischen Heimat findet. Da gibt es ganz verschiedene Ansätze, also auch, es kommt auch immer wieder die Härte der Musik vor, die natürlich auch das harte Leben in solchen Kriegs- und Krisenregionen widerspiegelt. Und was man immer wieder findet, ist die Verbindlichkeit und das familiäre Gefühl, das diese Musik vermittelt und vorgibt.
Brinkmann: Aber es geht um ein Bild, das eben gezeichnet wird von dieser Szene, die schon einige Zeit zurückliegt. Also um die Nullerjahre sozusagen. Und wenn man auf die jetzige Zeit guckt: Die erhofften Freiheiten des arabischen Frühlings, die gibt es nicht oder kaum. Und Autokraten sitzen fest im Sattel. Syrien ist im Krieg versunken. Wie steht es dann, wenn wir auf das Jetzt gucken? Wie steht es da um diese Metal-Szene?
Balzer: Ja, das Buch reicht bis an die Gegenwart – und die Gegenwart ist natürlich bitter. Also, zum Beispiel "Master of Persia" sind aus dem Iran ins Exil geflohen, haben jetzt auch im Westen eine gute Metal-Karriere gemacht; es gibt aber auch wirklich entsetzliche Berichte über ägyptische Mitglieder der Szene, die in den Kerker geworfen werden, zu - zum Beispiel – 100 Stockschlägen verurteilt werden. Das ist wirklich ein ganz bitteres Ende.
Brinkmann: "Rock in a Hard Place" heißt das Buch des britischen Journalisten Orlando Crowcroft, darin geht es um die Metal-Szene im Nahen Osten und unser Musikkritiker Jens Balzer hat es für uns gelesen. Vielen Dank!
Balzer: Gerne!
Orlando Crowcroft: Rock in a Hard Place. Music and Mayhem in the Middle East. Zed Books, 2017. 292 Seiten.