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Dänemarks Sozialdemokraten
Begrenzt aufnahmebereit für Migranten

Seitdem sich die dänischen Sozialdemokraten für eine besonders strikte Zuwanderungspolitik stark machen, kommen sie bei den dänischen Wählerinnen und Wählern besser an. Umfragen sehen sie sogar als Gewinner der bald anstehenden Parlamentswahl.

Von Jana Sinram | 15.04.2019
Die dänischen Sozialdemokraten Jakob Thiemann und Mette Reissmann im Straßenwahlkampf
Rechtspopulismus light? Nein, Realismus, meint die dänische Sozialdemokratin Mette Reissmann (2.v.l.) zur rigiden Migrationspolitik ihrer Partei. (Deutschlandradio / Jana Sinram)
Wahlkampf ist in Dänemark auch jetzt im Frühling noch eine ziemlich kalte Angelegenheit. Jakob Thiemann steht vor einem Supermarkt im Kopenhagener Stadtteil Amager, es weht ein eisiger Wind. Thiemann trägt eine rote Jacke mit dem Logo der Sozialdemokraten, langsam werden auch seine Nase und die Hände rot. Er geht auf einzelne Passanten zu, verteilt Ballons an Kinder, sagt seinen Spruch auf: "Bald ist die Wahl zum europäischen Parlament. Ich kandidiere für die Sozialdemokraten."
Thiemann wirkt nicht wie ein Berufspolitiker, eher wie ein Lehrer auf Klassenfahrt – sein eigentlicher Beruf. Seit einigen Jahren engagiert sich der 46-Jährige in der Partei, es ist seine erste Kandidatur. Auf Platz sechs der Liste hat er nur Außenseiter-Chancen, wenn es gut läuft, bekommen die Sozialdemokraten vier Sitze im Europaparlament. Thiemann geht es vor allem um soziale Gerechtigkeit und die Arbeitsmarktpolitik:
Asyl als "gemeinsame Sache der EU"
"Das Wichtigste ist für mich, dass wir einen Arbeitsmarkt haben, der funktioniert. Wir haben im Moment circa 17 Millionen Arbeitslose in der EU, viele junge Leute ohne Zukunft. Das müssen wir lösen. Und wir müssen uns gemeinsam für unsere Außengrenze einsetzen. Die Herausforderung, vor der wir in Dänemark stehen, die gibt es ja auch im Rest von Europa. Und das ist die Migration."
Die dänischen Sozialdemokraten setzen sich für eine starke Begrenzung der Zuwanderung ein. "Gerecht und realistisch", so haben sie ihr Strategiepapier überschrieben. Niemand soll mehr einen Asylantrag an den dänischen Grenzen stellen dürfen. Stattdessen soll es Auffangzentren für Asylsuchende in Nordafrika geben, wo über Anträge entschieden wird. Erfolgreiche Bewerber kämen dann in ein Flüchtlingslager der Vereinten Nationen – nach Dänemark dürften sie, wenn überhaupt, nur noch per UNO-Quote. Jakob Thiemann ist zwar nicht in allen Punkten auf einer Linie mit seiner Partei.
"Aber ich glaube, dass diese Politik eine logische Folge davon ist, dass wir uns in der EU gemeinsam um unsere Grenzen kümmern. Es mag sein, dass das nicht besonders toll aussieht, das finde ich ehrlicherweise auch nicht. Aber wir können kein spontanes Asyl in einzelnen Mitgliedsländern dulden, das ist eine gemeinsame Sache der EU."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Unter Dänen. Über die Grenzen der Integration".
Auch Mette Reissmann ist mitten im Wahlkampf. Mit vier anderen Politikern sitzt die Folketing-Abgeordnete auf dem Podium in einer Kopenhagener Kneipe und diskutiert über die Frage, ob die Monarchie in Dänemark abgeschafft werden sollte.
"Zusammenhalt beruht auf großer Homogenität"
Reissmann ist 55 und wirkt neben den anderen Teilnehmern entspannt und selbstbewusst. Seit 2011 sitzt sie für die Sozialdemokraten im Parlament und kandidiert auch dieses Mal wieder. Mit guten Chancen – denn Umfragen sehen die Sozialdemokraten bei rund 28 Prozent, etwa zehn Prozentpunkte vor der regierenden liberalen Venstre-Partei. Der Abstand zu den Rechtspopulisten ist noch größer. Mette Reissmann:
"Ich glaube, die Mitte kann fast 200.000 Stimmen von der Dänischen Volkspartei zurückgewinnen. Das sind wahnsinnig viele! Die gehen nicht alle an die Sozialdemokraten, sondern auch noch weiter nach links an die Sozialistische Volkspartei. Aber wir bekommen viele Stimmen zurück, und ich glaube, das liegt daran, dass wir angefangen haben, die Sorgen rund um die Flüchtlings- und Einwanderungspolitik ernst zu nehmen."
Seit ihrer Gründung Mitte der 90er-Jahre macht die Dänische Volkspartei den Sozialdemokraten Konkurrenz bei ihren traditionellen Wählern aus der Arbeiterschaft: in sozialpolitischen Fragen, vor allem aber mit einer rigorosen "Ausländerpolitik". Permanente Grenzkontrollen und eine Einschränkung der Religionsfreiheit zur Bekämpfung des "politischen Islam" zählen zu ihren Forderungen. Inzwischen traue sich auch ihre Partei klar zu formulieren, dass Dänemark nicht alle Menschen aufnehmen könne, sagt Reissmann:
"Und das halte ich für richtig. Denn in Dänemark sind wir nur 5,7 Millionen Menschen. Der Zusammenhalt unserer Gesellschaft beruht auf einer großen Homogenität. Wir sind auch ein reiches Land, das weiß ich. Aber wir sind ein kleines Land, und wir wollen, dass diejenigen, die kommen, vernünftig integriert werden können."
Sozialdemokraten wollen eine Obergrenze
Deshalb wollen die Sozialdemokraten nicht nur die Zahl der Flüchtlinge reduzieren, sondern auch eine jährliche Obergrenze für Immigranten aus nicht-westlichen Ländern durchsetzen.
Bis zur Parlamentswahl wird Mette Reissmann jeden Samstag im Kopenhagener Stadtteil Valby auf der Straße stehen, Flyer verteilen, mit Bürgern diskutieren. Im Fall eines Sieges wollen die Sozialdemokraten alleine eine Minderheitsregierung bilden, das hat Parteichefin Mette Frederiksen schon angekündigt. Ihre Mehrheiten für einzelne Vorhaben würde sich die Partei in den anderen politischen Lagern suchen. In Einwanderungs- und Asylfragen würde sie wohl hauptsächlich mit der jetzigen Regierung und auch mit der Dänischen Volkspartei zusammenarbeiten.
"Aber wenn sie mich fragen, ob wir eine Dänische Volkspartei light sind: Nein. Ich finde, wir Sozialdemokraten haben durchaus Empathie für Flüchtlinge. Aber wir sind auch realistisch, und wir nehmen unsere Verantwortung ernst für die Bevölkerung, über die wir uns in erster Linie Gedanken machen sollten. Und das sind die Dänen."