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Däubler-Gmelin: Menschenrechtsverletzungen in China konkret ansprechen

Die SPD-Politikerin Herta Däubler-Gmelin sieht große Fortschritte bei den Menschenrechten in China. In den vergangenen Jahren sei bei der Armutsbekämpfung und der Ausbildung eine Menge geschehen. Bei den individuellen Freiheitsrechten bleibe aber noch viel zu tun. Vorfälle wie die Verhaftung von Bürgerrechtlern sollte Bundeskanzlerin Merkel bei ihrer Chinareise konkret ansprechen, sagte Däubler-Gmelin.

Moderation: Silvia Engels | 27.08.2007
    Silvia Engels: Vor ihrer Abreise hatte Angela Merkel angekündigt, die Situation der Menschenrechte in China deutlich ansprechen zu wollen. Dafür bekam sie sogar Lob von der Opposition, namentlich von dem außenpolitischen Sprecher der Grünen, Jürgen Trittin. Am Telefon ist nun die frühere Justizministerin und derzeitige Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Hertha Däubler-Gmelin, SPD. Guten Morgen.

    Hertha Däubler-Gmelin: Guten Morgen, Frau Engels.
    Engels: Sind Sie auch so voll des Lobes für die Kanzlerin wie Herr Trittin?
    Däubler-Gmelin: Ja, auch. Aber es gibt natürlich schon viel, was sie ansprechen kann, weil es ist gar kein Zweifel, in China muss man genau hinschauen, dann wird man enorme Fortschritte entdecken, aber auch vieles, worüber man reden muss.
    Engels: Wo sehen Sie denn die strukturellen Verbesserungen?
    Däubler-Gmelin: Schauen Sie, Menschenrechte nach unserem Verständnis bestehen ja nicht alleine in individuellen Freiheitsrechten und den Rechten teilzunehmen, sondern auch in den Rechten, dass es einem besser geht, dass Armut überwunden wird, ein Recht auf Entwicklung - alles das gehört zusammen. Und man kann, glaube ich, überhaupt nicht bestreiten, dass in den vergangenen Jahrzehnten gerade zur Armutsüberwindung und zur Ausbildung der jungen Leute und damit auch zur Erhöhung der persönlichen Freiräume in China eine ganze Menge geschehen ist.
    Engels: Sie sehen das Thema auch gerade mit der wirtschaftlichen Verbesserung. Wenn wir es aber jetzt enger begrenzen auf die Menschenrechtssituation, da haben wir ja gerade vergangen Woche wieder erlebt, dass ein Bürgerrechtler, Lu Gengsong, verhaftet worden ist. Gibt es da tatsächlich Bewegung zum Besseren?
    Däubler-Gmelin: Noch einmal: Die Menschenrechte gehören alle drei zusammen. Die wirtschaftliche Verbesserung, die individuellen Freiheitsrechte, also die klassischen Freiheitsrechte in dem Sinn, und die Partizipation. Wenn irgendwo etwas fehlt, müssen wir das kritisieren, bei uns oder woanders. Es ist gar kein Zweifel, und das ist ja auch das, was Ihre Kollegen, die in Peking arbeiten oder vor allen Dingen auch in Provinzen arbeiten, uns immer wieder sagen, im Bereich der individuellen Freiheitsrechte des Verhältnisses Bürger zum Staat ist noch viel zu tun. Und die Verhaftung eines Bürgerrechtlers gehört hier hinein. Das muss Frau Merkel ansprechen.
    Engels: Die Sprecherin der deutschen Sektion von amnesty international, Barbara Lochbihler, verlangte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung von der Kanzlerin, das Thema Menschenrechte eben nicht nur immer wieder anzusprechen, sondern auf konkrete Verbesserungen zu drängen. Können die Chinesen in der Tat immer wieder die Aufforderungen zur Seite schieben, ohne sich tatsächlich bewegen zu müssen?
    Däubler-Gmelin: Ja, wissen Sie, das ist natürlich ein gewisses Problem. Man muss natürlich sehen, dass wenn jemand von außen als Regierungschefin kommt, dass sie eine begrenzte Möglichkeit nur hat, nämlich das anzusprechen, miteinander zu reden und natürlich auch die eigene Vorbildfunktion ins Feld zu führen. Das heißt, wenn bei uns Inder oder Farbige zum Beispiel verprügelt und verfolgt werden, wenn da der Staat - und zwar überall, auch die Politik und die Öffentlichkeit - alles tut, damit die Menschen zu ihrem Recht kommen und die Täter bestraft werden, ist das ein hervorragendes Vorbild. Das kann man dann auch von anderen einfordern. Weil in China ist ja mittlerweile vieles an Verletzung der klassischen Freiheitsrechte auch nicht mehr unmittelbare Staatspolitik, sondern Machtmissbrauch. Deswegen, genau hingucken und den Einzelfall ganz konkret ansprechen. Ich glaube, das hilft dann auch weiter. Es ist übrigens auch das, was die chinesischen Bürgerinnen und Bürger ja auch wollen. Die wollen auch eine Ausdehnung ihres persönlichen Freiheitsraumes und ihrer rechtlichen Garantien.
    Engels: Frau Däubler-Gmelin, mancher Beobachter sagt, derzeit sei eine gute Zeit, um auf China Druck auszuüben, denn die Chinesen wollten alles dafür tun, damit ja kein Schatten auf die Olympischen Spiele in Peking im kommenden Jahr fällt. Was soll der Westen also verlangen?
    Däubler-Gmelin: Es ist ja verständlich, dass China sich nach außen sehr gut präsentieren will. Gerade wenn man sieht, dass wir das zum Beispiel bei der Weltmeisterschaft in Deutschland ja auch wollten und auch wollen, dann sieht man, dass man das nutzen kann. Übrigens ist das Wort Druck eines, dass man sicherlich auch als Verhandlungen, und zwar als klare Verhandlungen, hier beschreiben kann. Und dann wird man sehen, dass zum Beispiel die Olympische Charta, die das Olympische Komitee deutlich macht und immer wieder einfordert in China, einen ganz wichtigen menschenrechtlichen Teil hat. Und das heißt dann ganz konkret, Berichterstattung ausweiten, Pressefreiheit verbessern, die Situation auch der individuellen Menschenrechte mit berücksichtigen und vor allen Dingen das ganze in einen Zusammenhang stellen, der nicht mit dem Ende der Olympischen Spiele wieder aufhört.
    Engels: Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, CDU, sieht in diesem Zusammenhang das Internationale Olympische Komitee allerdings kritisch. Er sagte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, wenn das IOC über schöne Sportstätten jubele, aber nicht frage, was mit den Menschen dahinter geschehe, dann verrate auch das IOC die Olympische Idee. Stimmen Sie zu?
    Däubler-Gmelin: Nein. Ich denke, dass es da auch ein gewisses Maß an Einseitigkeit gibt, die vielleicht durch den Satz ergänzt werden müsste, dass wir in der Bundesrepublik mehrere Zehtausende von jungen Studierenden haben, dass die sehr wohl wissen, was unsere Freiheitsrechte, also einschließlich Recht auf Entwicklung, sind und dass sie es bei sich haben müssen und dass wir sie unterstützen müssen, wenn sie sich eine bessere Rechtsgrundlage und mehr Freiheitsräume erobern wollen.
    Engels: Noch kurz zu einem anderen Thema: Am Wochenende berichtete das Magazin der Spiegel über Online-Spionage in Ministerien und im Kanzleramt. Die Quelle soll demnach China sein, bestätigt ist das nicht. Zeigt das aber, dass die deutsche Seite zu vertrauensselig gegenüber Peking ist?
    Däubler-Gmelin: Also ich habe den Eindruck, dass man gerade im Bereich jetzt dieser modernen Form von Spionage sehr sorgfältig aufpassen muss, wo wer was macht. Ich finde schon den Verdacht ungeheuerlich, und natürlich muss man dem nachgehen.
    Engels: Hertha Däubler-Gmelin, SPD, sie ist die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Deutschen Bundestages und war früher Justizministerin. Ich bedanke mich für das Gespräch.
    Däubler-Gmelin: Danke sehr.