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DAK-Gesundheitsreport
Sucht am Arbeitsplatz

Trinken, Dampfen, Spielen - wenn Arbeitnehmer süchtig sind, verursacht das nicht nur persönliches Leid, sondern auch hohe volkswirtschaftliche Kosten. Die DAK Gesundheit hat darum "Sucht 4.0" zum Schwerpunkt ihres diesjährigen Gesundheitsreports gemacht.

Von Anja Nehls | 16.04.2019
Ein Mann mit Kopfhörern sitzt vor einem Bildschirm und spielt am Computer
Auch die Sucht nach Computerspielen kann für die Betroffenen zu Problemen am Arbeitsplatz führen (EyeEm / Michael Kraus)
Erst jetzt im Computerzeitalter ist die Spielsucht ein Thema. Auch das Dampfen, also das Rauchen von E-Zigaretten ist eine moderne Sucht, Alkohol und Zigaretten sind eher die Klassiker. Aber egal ob Alkohol, Nikotin oder Computerspiele: Menschen, die süchtig sind oder kurz davor sind, also einen sogenannten riskanten Konsum pflegen, sind in der Arbeitswelt ein Problem. Ihr Krankenstand ist doppelt so hoch, sie sind häufig unkonzentriert oder kommen zu spät.
Obwohl die Quote der Raucher seit Jahren sinkt, gibt es immer noch ca. 6,5 Millionen abhängige Raucher und von denen rauchen 45 Prozent sogar während der Arbeitszeit, so die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler. Für sie wirft das Fragen auf:
"Wo wird geraucht? Geschieht das im Einverständnis mit dem Arbeitgeber und mit den nicht-rauchenden Kolleginnen und Kollegen? Wie ist der Schutz vor Passivrauch? Und natürlich auch: Was kostet das Rauchen den Betrieb? Arbeitnehmer erkranken, sie fallen aus, viele von ihnen sterben vorzeitig. Das Rauchen ihrer Mitarbeiter kostet die deutschen Unternehmen jedes Jahr sage und schreibe 56 Milliarden Euro."
Jeder zehnte Arbeitnehmer "trinkt riskant"
Während unter den Rauchern der Anteil der älteren Arbeitnehmer größer ist als der der jüngeren ist es beim Alkohol genau umgekehrt, so die Untersuchung der DAK, die die Daten ihrer 2,5 Millionen Mitglieder ausgewertet und durch Befragungen von über 5.000 Beschäftigten ergänzt hat. Danach trinke jeder zehnte Arbeitnehmer immerhin riskant, sagt Hans Dieter Nolting vom IGES Institut, das die Studie erstellt hat:
"Ein schädlicher Alkoholgebrauch ist jetzt schon quasi die unmittelbare Vorstufe zur Sucht, haben wir bei 0,9 Prozent der Erwerbstätigen festgestellt und eine mögliche Abhängigkeit bei 0,4 Prozent. Diese Zahlen sind auf den ersten Blick ziemlich niedrig, was daran vor allem liegt, dass alle Menschen, die nicht aktuell aktiv erwerbstätig sind, hier nicht beteiligt waren. Und dass eben ganz oft ein höherer Alkoholkonsum dazu führt, dass die Menschen aus dem Arbeitsleben ausscheiden, weshalb wir hier relativ niedrige Zahlen sehen."
Dazu kommt, dass eine Alkoholsucht am Arbeitsplatz unter Umständen lange nicht auffällt und auch nicht als Ursache von Fehlzeiten dokumentiert wird. Michaela Jensen hat jahrelang trotz Alkoholsucht an ihrem Arbeitsplatz bei einer Kölner Tageszeitung funktioniert:
"Und habe auch bis zum Schluss geschafft, trotz sehr hoher Promillewerte, ich war dann zum Schluss Pegeltrinkerin, das heißt ich habe morgens irgendwann angefangen zu zittern und rauchte ein gewisses Level, damit ich überhaupt funktioniert habe. Hatte meine Flasche mit in der Tasche und habe heimlich auf der Toilette getrunken und trotzdem bis zum Ende geschafft, druckreife Artikel zu schreiben."
"Bist du Alkohlikerin?"
Dass Arbeitgeber und Kollegen Betroffene frühzeitig ansprechen und Hilfe anbieten, fordert die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler. Michaela Jensen ist sich sicher, dass ihren Kollegen ihr Alkoholproblem schon wegen des Geruchs aufgefallen war, als ihr Chef sie nach viereinhalb Jahren dann endlich ansprach, empfand sie das als Befreiung:
"Ich war unbändig erleichtert. Ich wollte es zwar im ersten Moment, mein Chef war der Erste, der es angesprochen hat, nicht eingestehen. Denn es war die Frage, Michaela, bist du Alkoholikerin, und da zuckt glaube ich fast jeder Betroffene zurück. Aber als ich dann nach Hause gegangen bin und mein Chef auch gesagt hatte, denk mal in Ruhe drüber nach, habe ich so genau das gemerkt, als ich durch die Tür gegangen bin, ich war total erleichtert, dass diese Lüge auch jetzt die Chance hatte aufzubrechen. Die Scham, die man mit sich rumträgt, all diese Verzweiflung."
Nach einer Entgiftung in der Reha und einer mehrjährigen Therapie ist sie seit 2011 nüchtern und arbeitet wieder, selbstständig als freie Journalistin.
Gaming-Sucht: Viele spielen auch während der Arbeitszeit
Erstmals untersucht der DAK Gesundheitsreport auch das Thema Gaming. Demnach spielt jeder zweite Erwerbstätige Computerspiele, 400.000 Menschen könnte man als süchtig bezeichnen. Jeder vierte von ihnen spielt auch während der Arbeitszeit. Betroffen seien vor allem junge Leute, sagt Andreas Storm von der DAK. Gefährlich sei, dass man inzwischen zum Spielen nicht mehr in Spielhallen gehen müsse, sondern bequem das Handy nutzen könne:
"Und damit ist das natürlich wesentlich niedrigschwelliger und es gibt in den Computerspielen ja Elemente, die die Suchtgefahr massiv erhöhen, mit denen der Spieler angeregt wird, die Spielzeit deutlich zu verlängern, weil er auch scheinbare Erfolgserlebnisse hat. Das ist einer der Gründe dafür, dass sich die DAK Gesundheit dafür einsetzt, solche Glücksspielelemente in Computerspielen zu verbieten."
Außerdem fordert die DAK ein umfassendes Tabakwerbeverbot, das auch E-Zigaretten mit umfasst. Von den Arbeitgebern wünscht sich die DAK weitreichendere Maßnahmen zur Prävention und Frühintervention.