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"Damit ist die Kuh nicht vom Eis"

"Handelsblatts"-Chefredakteur Bernd Ziesemer ist sehr skeptisch, ob beim G20-Gipfel wirklich konkrete Maßnahmen auf internationaler Ebene erzielt werden können. Man schaffe es ja noch nicht einmal, sich in Europa oder in Deutschland zu einigen.

Bernd Ziesemer im Gespräch mit Dirk Müller | 24.09.2009
    Dirk Müller: Drei Gipfeltreffen in zwölf Monaten. So oft haben sich die G20-Staaten noch nie getroffen. Entsprechend groß ist also nach wie vor der Handlungsbedarf. Wie können die internationalen Finanzmärkte, wie die Bankenpraktiken besser reguliert werden? Können, sollen die Bonus-Zahlungen von Managern begrenzt werden? Wie viel müssen die Banken künftig an Eigenkapital vorhalten? Zahlreiche Fragen, die seit dem Ausbruch der Finanzkrise vor gut einem Jahr heftig und kontrovers diskutiert werden. Entscheidend bei den Antworten, die darauf gegeben werden, ist die Haltung der USA, ist die Haltung von Barack Obama.
    Bei uns am Telefon begrüße ich nun "Handelsblatt-Chefredakteur Bernd Ziesemer. Guten Tag!

    Bernd Ziesemer: Schönen guten Tag.

    Müller: Herr Ziesemer, sind diejenigen, die glauben, dass sich wirklich etwas ändern wird, naiv?

    Ziesemer: Ich muss leider sagen, ich glaube, sie sind naiv. Wir werden aus Pittsburgh meiner Meinung nach zwar einige Bekenntnisse hören, die soll man auch nicht als völlig wertlos erachten, die haben schon eine Bedeutung, aber ich bin sehr skeptisch, dass wir wirklich konkrete Maßnahmen bekommen werden auf internationaler Ebene.

    Müller: Dann sind das doch nur Lippenbekenntnisse aus Washington?

    Ziesemer: Ich glaube einfach, die Interessenlage ist anders. Die Wall Street hat eine andere Bedeutung in den USA, als eben in anderen Ländern entsprechende Finanzzentren, und die amerikanischen Banken haben zwar einiges aus der Krise gelernt, aber sie haben auch weiterhin ein großes Interesse daran, dass sie nicht zu sehr eingeschränkt werden, und sie haben eine gewaltige Macht und haben auch gewaltigen Einfluss auf den Kongress, wie Sie ja gerade auch in Ihrem Beitrag festgestellt haben.

    Müller: Was haben die denn gelernt, wenn Sie sagen, ein bisschen hat sich verändert?

    Ziesemer: Ich glaube, sie haben schon gelernt, dass sie aus Eigeninteresse bestimmte, hoch riskante Deals eher zurückfahren müssen, beziehungsweise dass sie mehr Eigenkapital vorhalten müssen, wenn sie solche riskanten Geschäfte wieder aufnehmen. Aber sie wollen das eben doch stärker in Eigenregie machen, in Eigenverpflichtung, sie fürchten vor allen Dingen supranationale Regelungen, die sich dann vielleicht in der Realität als zu bürokratisch herausstellen. Sie wollen, wenn überhaupt, die Regulierung auf amerikanischer Ebene - und das ist halt das Problem für Pittsburgh.

    Müller: Könnte Barack Obama denn im Grunde mehr wollen, als er letztendlich umsetzen kann, aufgrund auch der Mehrheitsverhältnisse beziehungsweise aufgrund der Machtverhältnisse und der Interessen im Kongress, wie Sie es gerade beschrieben haben? Geht er also von den Ankündigungen her viel zu weit?

    Ziesemer: Ich weiß nicht. Ich glaube, Obama hat ein anderes Problem. Ich glaube, er macht einfach zu viele Ankündigungen gleichzeitig. Und wenn man sich das mal genauer anhört, was er sagt, dann sind das halt doch immer nur sehr allgemeine Aussagen, die er selbst getroffen hat, auch in Richtung auf die Banken, und wir dürfen ja nicht vergessen: Er hat im Moment so viele außenpolitische Probleme, er hat innenpolitisch das riesige Problem der Gesundheitsreform, die wirklich gefährlich für ihn werden könnte, wenn er das nicht hinbekommt in letzter Minute, und deshalb ist leider das Thema Finanzregulierung, Banken auch nur ein Thema unter vielen für Barack Obama. Das merkt man im Moment auch immer mehr, finde ich, dass über die Ankündigung hinaus die Obama-Administration doch nicht so richtig zu Potte kommt, wie man bei uns so schön sagt.

    Müller: Wir reden ja, Herr Ziesemer, über die G20-Zusammenkunft in Pittsburgh. Wenn ich Sie richtig verstanden habe – und wir versuchen das mal in praktische Politik umzusetzen -, dann könnten die Europäer, einschließlich der Kanzlerin, doch besser in Europa beziehungsweise in Mecklenburg-Vorpommern bleiben.

    Ziesemer: Wenn man es ganz hart sagen würde, ja. Ich glaube, es wird wie gesagt einige gemeinsame, ganz breit definierte Regeln geben, aber damit ist die Kuh nicht vom Eis. Wir schaffen es doch noch nicht mal in Europa, uns hier zu einigen. Wir schaffen es noch nicht mal, in Deutschland Bankenaufsicht aus einer Hand zu machen. Wir haben nach wie vor zwei Institutionen allein in Deutschland und in jedem EU-Land ist die Finanzmarktaufsicht anders geregelt. Also ich würde sagen, es wäre schon ein großer Schritt nach vorne, wenn wir erst mal in Deutschland alles tun und wenn wir dann es auf europäischer Ebene hinkriegen und wenn wir es dann auch vielleicht noch international irgendwann hinkriegen, aber da bin ich wie gesagt skeptisch.

    Müller: Jetzt haben wir über die möglichen Interessen, über die Interessenkonflikte in der amerikanischen Politik geredet. Wer verhindert denn bei uns in Deutschland, dass es eine einheitliche Aufsicht gibt?

    Ziesemer: Oh, da spielen auch sehr viele Interessen rein: einmal institutionelle Interessen, Bundesbank beispielsweise gegen Finanzaufsicht. Es spielen Interessen parteipolitischer Art rein und auch bei uns, muss man ja sagen – das war gestern ganz interessant zu hören -, positionieren sich die Verbände der Kreditwirtschaft durchaus auch kritisch gegen zu weit gehende Regeln und Regulierungen. Also bei uns ist die Gefechtslage mindestens genauso unübersichtlich wie in den USA.

    Müller: Weil die Lobby ähnlich stark ist?

    Ziesemer: Die Lobby ist auch bei uns stark und es sind ja auch berechtigte Interessen, muss man sagen. Lobby an sich ist ja noch nichts Schlimmes und Böses. Man muss sagen, wenn wir da Fehler machen in der Regulierung, dann kann es uns passieren, dass wir die berühmte Kreditklemme, vor der wir so viel Angst haben, durch falsche Regeln geradezu herbeiführen. Wenn wir das mit der zusätzlichen Eigenkapitalunterlegung von Krediten zum falschen Zeitpunkt und zu stark machen, dann holen wir uns diese Kreditklemme. Wenn wir es nicht tun, holen wir uns umgekehrt vielleicht in ein paar Jahren dieselben Probleme wieder, wie wir sie gehabt haben. Das ist eine Gratwanderung.

    Müller: Aber unter dem Strich, Herr Ziesemer, könnten Sie zumindest denjenigen empfehlen, die noch hoch aufsteigen wollen in Konzernen, macht euch keine große Angst, macht euch keine großen Sorgen, ihr könnt weiterhin Manager werden?

    Ziesemer: Ja, doch. Da würde ich sagen, da bin ich ganz zuversichtlich.

    Müller: Muss dagegen politisch was getan werden?

    Ziesemer: Wenn Sie ansprechen insbesondere die Frage der Boni, der Gehälter und solche Sachen, dann bin ich schon der Meinung, dass wir auch da bestimmte Regeln brauchen. Ich selbst würde es immer bevorzugen, wenn die Wirtschaft selbst zum Beispiel im Rahmen der Cromme-Kommission und ähnlicher Sachen zu bestimmten Regeln kommt. Aber da ist schon notwendig auch, dass wir die Exzesse verhindern. Es sind allerdings wirklich Exzesse. Im Moment muss man auch sagen – das ist das witzige in Deutschland -, verdienen nicht die Banker exzessiv; die höheren Gehälter werden im Moment in einigen Industriekonzernen bezahlt.

    Müller: Und Politiker und Bürokraten könnten das gegebenenfalls besser beurteilen als die Akteure selbst?

    Ziesemer: Das weiß ich eben nicht. Deshalb wäre ich lieber für Selbstverpflichtungen, aber es müssen auch Selbstverpflichtungen der Wirtschaft oder der Banken sein, die auch eingehalten werden, und da muss man einfach sagen, da muss dann auch die Wirtschaft selbst ein bisschen schneller in die Puschen kommen, wenn sie verhindern will, dass das bürokratisch-staatlich geregelt wird.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk Bernd Ziesemer, Chefredakteur des "Handelsblatts". Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Ziesemer: Bitte.