Archiv


"Damit müssen wir umgehen"

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse hat das Thesenpapier von SPD-Linken verteidigt. Es dürfe kein Tabu sein, Kooperationsmöglichkeiten mit der Linkspartei auf Landes- oder Kommunalebene auszuloten. Gleichzeitig räumte Thierse ein, die Auseinandersetzung mit der Linken werde durch das fehlende Parteiprogramm erschwert.

Moderation: Elke Durak |
    Elke Durak: Was wird uns Kurt Beck, der Bundesvorsitzende der SPD, wohl nachher sagen? Er hat sich ja eigens für die Bundespressekonferenz entschieden und damit für den um diese Zeit höchstmöglichen bundesweiten Verbreitungsgrad, um Stellung zu nehmen zu dem, was die SPD derzeit um- und von den eigenen Leuten wegtreibt. Mitglieder schmeißen ihr Parteibuch hin, resignieren, sind wütend und enttäuscht, berichten Abgeordnete aus ihren Wahlkreisen. Führende Leute der SPD wollen eine Entscheidung, mit oder gegen die Linke. Die Partei ist gespalten.
    Einer der Verfasser des Thesenpapiers ist Wolfgang Thierse. Er ist Mitglied im Bundesvorstand der SPD, nun am Telefon. Guten Tag Herr Thierse.

    Wolfgang Thierse: Guten Tag!

    Durak: Sie schreiben - wir haben es eben im Bericht von Sabine Adler zu dem Thesenpapier gehört -, "das Ende des Kalten Krieges und die Wiedervereinigung haben der Spaltung zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten die historische Grundlage entzogen". Dagegen wehren sich die Seeheimer. Ist also die Partei Die Linke der natürliche politische Partner der SPD?

    Thierse: Das sagen wir nicht. Wir sagen nur es macht keinen Sinn, diese Spaltung, dieses Gegeneinander auf der linken Seite zu dogmatisieren, sondern man muss einerseits im Verhältnis zur Linkspartei pragmatisch verfahren und andererseits die inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser Partei selbstbewusst vorantreiben, denn die Unterschiede - von denen reden wir ganz ausführlich in dem Papier - sind riesig zwischen Linkspartei und SPD.

    Durak: Was verbindet denn die Sozialdemokraten mit den Linken, die es jetzt in Gestalt der Partei Die Linke gibt?

    Thierse: Zunächst einmal haben wir eine gemeinsame Vorgängerpartei. Aus der Geschichte der Arbeiterbewegung kommen beide her. Dann haben sich die Kommunisten abgespalten, sind zum stalinistischen Flügel der ehemaligen Arbeiterbewegung geworden, haben ein gescheitertes Regime zu verantworten, aber sie sind immer noch da. Sie werden gewählt - in Ostdeutschland mehr, aber nun in Westdeutschland auch. Sie sind eine Realität, die die Sozialdemokratie beschäftigt, und es hilft nicht zu sagen, wir wollen die nicht haben, die ärgern uns, weg mit ihnen. Sie sind immer noch da. Sie haben eine soziale Basis, sie haben eine Wählerbasis und damit müssen wir umgehen. Schließlich - und das will ich noch ganz ruhig und gelassen hinzufügen - ist die Sozialdemokratie da auch nicht mehr jungfräulich. In Ostdeutschland hat es Koalitionen gegeben und gibt es in Berlin eine Koalition mit dieser Partei und es gibt Erfahrungen mit dieser Partei.

    Ich will das noch mal sehr forciert zusammenfassen: Da wo die SPD im Osten Deutschlands heftigste Abgrenzung und Tabuisierung betrieben hat, hat das der PdS, der Linkspartei genutzt, der SPD geschadet. Da wo es zu Koalitionen gekommen ist, hat es der Linkspartei nicht sonderlich genutzt, aber immerhin der SPD. Und da wo die Linkspartei mitregiert hat oder mitregiert, kann sie gar nichts anderes tun, als einigermaßen vernünftige realistische sozialdemokratische Politik zu betreiben. Aus diesen Erfahrungen sollte man lernen.

    Durak: Wenn die SPD ihre Unschuld im Osten verloren hat bezüglich der Linken, wie Sie es eben gesagt haben, dann ist jetzt alles egal aus pragmatischen Gründen, und um der Macht willen, um Regierungskoalitionen irgendwie noch herbeizuführen ist dann alles egal?

    Thierse: Nein, es ist nicht alles egal, sondern wir müssen inhaltliche Übereinstimmung erreichen und die ist ja nicht ohne weiteres zu erreichen. Da muss auf der Länderebene, auf der Kommunalebene, wo es Zusammenarbeit gibt oder geben soll, genau geprüft werden: Was geht inhaltlich? Was geht personell? Wir sagen ausdrücklich auch, auf Bundesebene sind die Unterschiede in allen wichtigen Feldern - Außen-, Sicherheits-, Finanz-, Wirtschafts-, aber auch Sozialstaatspolitik - so groß, dass eine Zusammenarbeit auf absehbare Zeit nicht denkbar ist. Die Auseinandersetzung mit der Linken wird auch dadurch erschwert, dass diese Linkspartei überhaupt kein Parteiprogramm hat. All das gehört dazu, aber ich wünsche mir, dass wir inhaltlich offensiv die Auseinandersetzung betreiben und nicht immer nur auf der Ebene der Koalitionsspekulationen uns befinden.

    Durak: Ist das Wandel durch Annäherung auf andere Art?

    Thierse: Wenn Sie so wollen ist es sozusagen das ernst nehmen einer Realität, die man nicht hinwegbeten, nicht hinwegschimpfen kann, sondern mit der man sich auseinandersetzen kann. Wir wollen, dass die SPD die linke Volkspartei in Deutschland ist und bleibt und dass diese Rolle nicht in Frage gestellt wird durch eine Linkspartei, die Unmut, Ärger, Wut aufnimmt, aber noch lange nicht in Politik umsetzen kann.

    Durak: Wer produziert denn den Unmut und die Wut?

    Thierse: Wir haben eine Reformpolitik in Gang gesetzt, die wir für notwendig halten, zu der ich auch ausdrücklich stehe: die Arbeitsmarktreform, Steuerreform, Sozialstaatsreform. Das ist notwendig, aber diese Reformen erzeugen Schmerzen, Veränderungsängste, Unsicherheiten. Das ist die soziale Basis der Linkspartei. Das haben wir als Sozialdemokraten ernst zu nehmen, wahrscheinlich ernster zu nehmen als andere demokratische Parteien im Lande. Und wenn man die Sache so sieht, dann ist die Herausforderung für die SPD immer eine doppelte: Die eigene Reformpolitik selbstbewusst verteidigen. Wir haben uns zu ihr durchgerungen, weil wir sagen das ist vernünftig und notwendig. Zugleich müssen wir die sozialen Ängste vieler Menschen so ernst nehmen, dass Bürger begreifen (diejenigen, die jetzt zur Linkspartei laufen), die Sozialdemokratie ist der Ort, wo wir unsere Ängste hintragen können, weil sie als die große linke Volkspartei die angemessenen Antworten darauf hat.

    Durak: Noch einmal einen Blick zurück - und das bewegt ja Menschen wie Dagmar Metzger, diese Abgeordnete aus Hessen. Können Sie verstehen, dass es Sozialdemokraten wie diese Frau gibt, die wegen der Geschichte der Linkspartei ein Zusammengehen ablehnen?

    Thierse: Ach wissen Sie, ich habe 40 Jahre DDR hinter mir und ich weiß, was SED-Herrschaft heißt. Ich kenne sie nicht nur vom Hörensagen, sondern sie ist Teil meiner Biographie. Ich habe eine existenzielle Erfahrung mit der Partei. Ich verstehe alle emotionale Ablehnung dieser Partei. Ich teile sie auch. Aber das ist noch nicht Politik; das ist noch nicht die Antwort auf die Herausforderung, die diese Linkspartei für Sozialdemokraten und wie ich finde eigentlich für alle Demokraten darstellt.

    Durak: Haben Sie ein Wort für Frau Metzger übrig?

    Thierse: Wenn ich es habe - und ich glaube ich habe es -, dann werde ich es ihr nicht öffentlich sagen, sondern lieber direkt. Ich finde ohnehin, dass in dieser Frage viel zu viel öffentlich herumschwadroniert wird, sondern da sollten wir etwas ruhiger hingucken und sagen, es geht nicht nur um Macht, sondern es geht darum: was ist an sozialdemokratischer Politik, was ist an sozialdemokratischem Profil in dieser schwieriger gewordenen Konstellation (dem Fünf-Parteien-System) möglich und notwendig? Darüber muss die SPD sich verständigen, unabhängig was in Hessen passiert und was anderswo passiert. Wir brauchen diese Verständigung. Sie ist eine Aufgabe, die uns in dieser Demokratie übertragen ist.

    Durak: Für wie groß halten Sie den Schaden, den Ihre Partei durch das Hin und Her und die Linke bis heute genommen hat, Herr Thierse?

    Thierse: Das kann ich schwer beurteilen. Das wird man in ein paar Monaten oder vielleicht auch erst in ein, zwei Jahren wissen. Aber dass die Diskussion in der SPD geführt wird und werden muss, das sollte man ihr nicht vorwerfen. Diese Diskussion ist notwendig, denn ich sage das noch einmal: die Linkspartei ist eine Realität, mit der man sich auseinandersetzen muss - rational, diskursiv und nicht nur, auch wenn es verständlich ist, emotional.

    Durak: Wolfgang Thierse, unter anderem Mitglied im Bundesvorstand der SPD und Mitautor des Thesenpapiers für einen Linkskurs der SPD, den des Bundesvorsitzenden Beck. Danke Herr Thierse für das Gespräch!

    Thierse: Auf Wiederhören!