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"Dampftelefone wie vor 100 Jahren"

Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, sieht in drei Bereichen Ausrüstungsdefizite bei der Afghanistan-Truppe der Bundeswehr. So benötigten die Soldaten vor Ort eine umfassende Echtzeitaufklärung Tag und Nacht. Außerdem fehle ein modernes, leistungsfähiges Führungs- und Informationssystem. Zudem mangele es an schweren Waffen, um Gegner auf größere Distanzen bekämpfen zu können.

Moderation: Gerd Breker | 30.01.2008
    Gerd Breker: Es ist einfach so, dass schon immer der Einsatz in Afghanistan gefährlich war, doch von der Natur der Sache her, wie der Name schon sagt, eine schnelle Einsatztruppe, die wird ja gerade dorthin geschickt, wo es gefährlich ist?

    Kujat: Der Einsatz war immer ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte. Das sollte man nicht aus den Augen verlieren. Nun war die Region im Norden bisher relativ ruhig, aber mit der Zeit, seit dem vergangenen Jahr eigentlich, haben die Taliban, El Kaida ihre Strategie geändert, weil sie im Süden immer mehr unter Druck gerieten. Und damit sind sie auch in den bisher relativ sicheren Norden ausgewichen und werden es sicherlich auch weiterhin tun, je mehr sie unter Druck geraten, und damit wird natürlich auch das Risiko für die deutschen Soldaten größer.

    Breker: Ist das aus Ihrer Sicht, Herr Kujat, schlechter Stil oder einfach nur ehrlich, wenn der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes Gertz feststellt, wir müssen damit rechnen, dass nach einem solchen Einsatz auch Kameraden in Holzkisten zurückkommen?

    Kujat: Ich finde diese Formulierung nicht besonders gut, das muss ich ganz ehrlich sagen. Man kann das auch anders formulieren.

    Breker: Wie denn?

    Kujat: Sicher ist, dass die Einsätze der Bundeswehr, wenn die Situation sich nicht dramatisch verbessert, und das sieht im Augenblick nicht so aus, mit größeren Risiken behaftet werden. Auf der anderen Seite muss man aber auch an dieser Stelle so ehrlich sein und sagen, wenn wir die ja im Prinzip gut ausgebildeten Soldaten auch optimal ausrüsten, das heißt Ausrüstungsdefizite, die dort vorhanden sind, beseitigen, dann erhöhen wir nicht nur die Aussicht, dass sie ihren Auftrag erfolgreich ausführen können, sondern wir erhöhen auch ihre Sicherheit. Das hängt sehr eng miteinander zusammen. Und da wird häufig ja Nebel geschossen, und es wird behauptet, die sind hervorragend ausgerüstet, und das sind sie nicht. Es gibt gravierende Defizite, das muss man so feststellen.

    Breker: Und wo könnten diese Defizite liegen, da, wo man sie in Medienberichten liest, sprich falsche Munition, zu wenig gepanzerte Fahrzeuge? Woran liegt es?

    Kujat: Die Defizite bestehen grundsätzlich in drei Bereichen. Der erste Bereich ist ein Defizit in der Aufklärung. Wir brauchen eine permanente Echtzeitaufklärung Tag und Nacht. Die Soldaten müssen wissen, was der Gegner tut, sie müssen eine Überlegenheit, eine Informationsüberlegenheit haben. Zweitens, wir brauchen ein modernes, leistungsfähiges Führungsinformationssystem, keine Dampftelefone, wie vor 100 Jahren, und dieses Führungssystem muss in der Lage sein, diese Informationen ohne Zeitverlust an alle Einheiten weiterzugeben, aber auch Anweisungen an Einheiten weitergeben. Wir müssen uns schnell auf Lageveränderungen einstellen können. Und drittens, wir brauchen auch schwere Waffen dort. Wir müssen in der Lage sein, einen Gegner auf Distanz zu bekämpfen. Wir dürfen ihn nicht herankommen lassen mit seinen Waffen, sodass wir in die Reichweite seiner Waffen geraten. Das sind in aller Kürze die drei wesentlichen Defizite. Und diese Defizite bestehen, und sie bestehen seit Langem. Und wenn wir diesen Auftrag übernehmen mit dieser Eingreifkompanie, dann werden sich diese Defizite noch gravierender auswirken, als das jetzt der Fall ist. Man kann noch ergänzend sagen, diese Eingreiftruppe braucht auch eine taktische und operative Mobilität, das heißt, wir brauchen auch dort Transporthubschrauber, mehr Transporthubschrauber, die geeignet sind in dieser Umgebung dort. Ich würde sogar dazu raten, den Schutz dieser Hubschrauber durch Kampfhubschrauber sicherzustellen. Das ist es im Wesentlichen, was wir brauchen. In der Bundeswehr wird ständig über vernetzte Operationsführung gesprochen, geschrieben, aber die Realität sieht eben so aus, dass wir diesen Leistungsstand in der Ausrüstung noch lange nicht haben. Das ist die Verantwortung der Politiker, das ist auch die Verantwortung des Parlaments, das unsere Soldaten dort hinschickt.

    Breker: Sprich, wir haben diese Ausrüstung auch nicht hier in Deutschland, geschweige denn vor Ort, wir müssten sie erst beschaffen?

    Kujat: Sie ist aber auf dem Markt verfügbar. Es ist eine Frage des politischen Willens, ob man bereit ist, Geld für diese Dinge auszugeben und unsere Soldaten in die Lage zu versetzen, den Auftrag, den wir ihnen geben, den das Parlament ihnen gibt, eben unter besseren, unter nicht optimalen, aber besseren Bedingungen auszuführen. Und etwas anderes sollte man den Politikern auch ins Stammbuch schreiben: Exzellente Ausrüstung zusammen mit guter Ausbildung ist auch ein Faktor Sicherheit für die eingesetzten Soldaten.

    Breker: Im Sommer werden die Norweger abziehen, Herr Kujat, wenn dann die Bundeswehr stattdessen vor Ort sein wird. Wäre das noch Zeit genug, um die von Ihnen beschriebene notwendige Ausrüstung zu besorgen und zum Einsatz zu bringen?

    Kujat: In einigen Fällen ja, vielleicht nicht mit dem Anspruchsniveau, das ich eben formuliert habe. Aber wir müssen auf jeden Fall diesen Prozess in Ganz setzen und vor allen Dingen unser Apparat, dieser bürokratische, überbürokratische Apparat muss sich endlich dazu bequemen zu akzeptieren, dass wir uns im Einsatz befinden und diese ganzen bürokratischen Regeln zunächst mal beiseite lassen und das kaufen, was auf dem Markt ist, was die Industrie bereitstellt.

    Breker: Anderenfalls würde Bürokratie das Leben deutscher Soldaten gefährden?

    Kujat: Diesen Zusammenhang predige ich seit vielen, vielen Jahren. Aber ich kann nur sagen, wer die Verantwortung übernimmt, deutsche Soldaten in den Einsatz zu schicken, in einen Einsatz, in dem sie ihr Leben auch verlieren können, nicht nur ihre Gesundheit, sondern ihr Leben verlieren können, und da schließe ich mich jetzt kurz mit dem, was Herr Gertz gesagt hat, der hat auch die Verantwortung, ohne Rücksicht auf die Kosten die Mittel bereitzustellen, die diesen Einsatz ermöglichen und die unseren Soldaten Sicherheit und Selbstvertrauen geben.

    Breker: Die Meinung des ehemaligen Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses, General a.D. Harald Kujat, war das im Deutschlandfunk.