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Grünen-Politiker: Afghanistan-Eingreiftruppe auf Norden begrenzen

Der Grünen-Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei verlangt eine klare Begrenzung des geplanten Einsatzes einer deutschen Eingreiftruppe in Afghanistan. Diese Entsendung dürfe "kein Türöffner" für den Einsatz im Süden des Landes sein, sagte der Bundestagsabgeordnete.

Moderation: Elke Durak | 30.01.2008
    Elke Durak: Die NATO hat also offiziell 250 Bundeswehrsoldaten für die schnelle Eingreiftruppe Quick Reaction Force angefordert - für Nordafghanistan. Die Bundesregierung hat schon längst ihr Ja signalisiert. Anfang Februar, also bald, will sie entscheiden. Wir fragen uns: Darf sie das denn allein? Ein Kampfeinsatz ohne parlamentarische Zustimmung?

    Wir fragen einen, der dazugehört: den Bundestagsabgeordneten der Bündnis-Grünen und deren Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei. Guten Morgen Herr, Nachtwei!

    Winfried Nachtwei: Guten Morgen, Frau Durak!

    Durak: Inwiefern ist dieser Einsatz durch ein Mandat des Bundestages bereits gedeckt?

    Nachtwei: Wenn bestimmte Bedingungen bei dieser sogenannten Quick Reaction Force unter deutscher Führung eingehalten würden, dann wäre es gedeckt, nämlich diese Quick Reaction Force müsste dem Regionalkommando Nord von ISAF unterstellt sein. Sie müsste als Einsatzgebiet im Wesentlichen den Norden haben, also kein Türöffner für den Südeinsatz. Und drittens Absicherung des Stabilisierungseinsatzes als Reserve- und Verstärkungskraft, also nicht eine Aufgabe, wie sie im Süden praktiziert wird, offensive Aufstands- und Terrorbekämpfung. Man muss übrigens auch feststellen, dass im Norden, wir haben mit Schwerkriminalität, mit einzelnen Anschlägen zu tun, aber nicht mit einer Aufstandsbewegung.

    Durak: Herr Nachtwei, es gibt ziemlich deutliche Kritik aus der Generalität aktiver und ehemaliger am Ausrüstungszustand und Führungszustand der Auslandseinsätze der Bundeswehr. Wir hatten gestern Abend in unserer Sendung "Das war der Tag - Journal vor Mitternacht" General a.D. Harald Kujat, den ehemaligen Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses, bei uns im Interview. Er hat sehr deutlich auf Risiken eines solchen Einsatzes durch Mängel in der Ausrüstung hingewiesen. Ich will das hier kurz aufzählen. Das Wichtigste ist: Die Echtaufklärung sei nicht gewährleistet, es fehle an leistungsfähigem modernem Führungssystem. Er sprach von Dampftelefonen von vor 100 Jahren. Es fehle an schweren Waffen, um den Gegner auf Distanz zu bekämpfen, und die schnelle Eingreiftruppe bräuchte mehr und bessere Transporthubschrauber, begleitet am besten von Kampfhubschraubern. Und er hat dies wie folgt ergänzt:

    "Es ist eine Frage des politischen Willens, ob man bereit ist, Geld für diese Dinge auszugeben und unsere Soldaten in die Lage zu versetzen, den Auftrag, den wir ihnen geben, den das Parlament ihnen gibt, eben unter besseren Bedingungen auszuführen. Und etwas anderes sollte man den Politikern auch ins Stammbuch schreiben: Exzellente Ausrüstung zusammen mit guter Ausbildung ist auch ein Faktor Sicherheit für die eingesetzten Soldaten. Wir müssen auf jeden Fall diesen Prozess in Gang setzen und vor allen Dingen unser Apparat, dieser bürokratische, überbürokratische Apparat muss sich endlich dazu bequemen zu akzeptieren, dass wir uns im Einsatz befinden und diese ganzen bürokratischen Regeln zunächst mal beiseite lassen und das kaufen, was auf dem Markt ist. Ich kann nur sagen: Wer die Verantwortung übernimmt, deutsche Soldaten in den Einsatz zu schicken, in einen Einsatz, in dem sie ihr Leben auch verlieren können - nicht nur ihre Gesundheit, sondern ihr Leben verlieren können -, der hat auch die Verantwortung, ohne Rücksicht auf die Kosten die Mittel bereitzustellen, die diesen Einsatz ermöglichen und die unseren Soldaten Sicherheit und Selbstvertrauen geben." (Text/ MP3-Audio )

    Der ehemalige Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Harald Kujat. Herr Nachtwei, sind Sie bereit, mehr Geld auszugeben oder sich dafür einzusetzen?

    Nachtwei: Nein. Ich bin erst mal nicht bereit, mehr Geld auszugeben für den Bundeswehr-Etat insgesamt, sondern es kommt wesentlich darauf an, im Rahmen des ja immer ganz schön voluminösen Bundeswehr-Etats Mittel zum Teil wirklich anders einzusetzen. Ich erinnere mich noch sehr deutlich, dass wir Anfang 2005 in der damaligen rot-grünen Koalition eine ganz schwere Auseinandersetzung hatten über den Sinn und Unsinn eines Raketenabwehrsystems mit Namen MEADS, und wo der damalige Verteidigungsminister dieses auf jeden Fall wollte. Unser Einwand dagegen war, das ist für irgendwelche Restrisiken in fernerer Zeit, aber tut etwas unmittelbar zur Einsatzabsicherung. Das ist ein Beispiel und leider nicht das einzige, wo Gelder falsch und schräg ausgegeben werden.

    Durak: Wo ist da das Haus nicht in Ordnung? Wer ist daran schuld?

    Nachtwei: Es wird offenkundig das, was immer behauptet wird, nämlich Orientierung der Bundeswehr, der Bundeswehrumrüstung, der Neubeschaffung und so auf die Einsatzerfordernisse, auf die wahrscheinlichsten Einsatzerfordernisse, dieses wird nicht zureichend umgesetzt. Das hat mit festen Verträgen zu tun; das hat mit einzelnen rüstungsindustriellen Interessen zu tun; das hat mit Interessen von Teilstreitkräften zu tun. Das ist eben dieses gegenseitige Blockieren im Grunde in dem Bereich, wo dann dieser richtige Anspruch nur unzureichend umgesetzt wird.

    Durak: Wer ist der verantwortliche Politiker?

    Nachtwei: Der verantwortliche Politiker ist als erstes natürlich der Verteidigungsminister, dann, da können wir gar nicht drum herumreden, natürlich das Parlament. Aber was die Ausstattung angeht, habe ich ja schon angedeutet, da hatten wir und haben wir bis heute noch diese Differenzen, diese Widersprüche unter den Parlamentariern. Wir sind uns allerdings einig, dass das, was die Bundeswehr unmittelbar vor Ort braucht, dass sie das gerade zu ihrem eigenen Schutz auch bekommen soll. Und wenn Herr Kujat meint, es stände dafür nicht das Geld zur Verfügung, dann stimmt das zum Teil nicht. Es gibt den Posten "Einsatzbedingten Sofortbedarf", wo viele solche Sachen heraus finanziert werden können. Das wurde im letzten Jahr gar nicht so richtig ausgeschöpft.

    Durak: Wie kommt das? Wir haben ja schon Auslandseinsätze gehabt, oder wir befinden uns im Auslandseinsatz. Wieso ist das Geld nicht ausgeschöpft?

    Nachtwei: Das ist für uns wirklich auch ein Rätsel. Wenn wir das dann nämlich abgleichen mit unseren Erfahrungen von Besuchen vor Ort, wo ja Soldaten auch immer wieder ansprechen, "eigentlich wäre dieses und jenes noch notwendig", dann - da hat Herr Kujat völlig Recht - dauert die Beschaffung zum Teil endlos lange und das nächste oder übernächste Kontingent kommt dann in den Genuss dieser Neubeschaffung. Aber auf der anderen Seite, wenn Herr Kujat schwere Waffen einfordert: na, na, na, na! Ich glaube da hat er nicht mehr ganz richtig im Blick, um welche Art von Einsatz es im Norden, im Westen und im Zentrum geht. Im Süden ist es wieder um einiges anders. Wer dort schwere Waffen haben will, also zum Beispiel die Panzerhaubitze, der würde dadurch den Charakter dieses Einsatzes völlig, völlig verändern und auf den Kopf stellen.

    Durak: Der Bundesverteidigungsminister hat ja gestern die Soldaten besucht in Afghanistan. Ich weiß nicht, ob er noch da ist oder schon auf dem Rückweg ist. Wir haben darüber vorhin auch berichtet und so weit ich mich erinnere, hat man ihm auch gesagt, es fehlt erstens ein bisschen an Winterbekleidung - das weckt ganz dunkle Erinnerungen -, aber es fehlt auch an gepanzerten Fahrzeugen. Das ist ja nun keine neue Angelegenheit, die mit der schnellen Eingreiftruppe zu tun hat?

    Nachtwei: Nein, das ist richtig. Aber da sind dann eben auch, glaube ich, im letzten Jahr Marder-Schützenpanzer - vier an der Zahl - nach Mazar verlegt worden, allerdings mehr für Reserve- und Notsituationen. Man muss nämlich auch bedenken, dass in einer solchen Region angesichts des Anforderungsprofils von ISAF dort richtig gepanzerte größere Fahrzeuge eigentlich fehl am Platze sind. Denn als vor zwei Jahren 2006 die Risikolage sich ein wenig verschärfte, da gab es auch die Anweisung aus Berlin, "geht nur noch mit gepanzerten Fahrzeugen raus". Die Folge davon war, dass die regionalen Wiederaufbauteams in viel weniger Regionen überhaupt fahren konnten als bisher. Es gibt also immer dieses Spannungsverhältnis zwischen Auftragserfüllung - viel unterwegs sein, Präsenz zeigen und so weiter - und auf der anderen Seite eigener Schutz. Dort müssen die örtlichen Kommandeure immer wieder eine Gratwanderung vollführen.

    Durak: Wenn Sie ihnen helfen mit dem notwendigen Material. Alles zusammengefasst, Herr Nachtwei, habe ich den Eindruck, es wäre Zeit, nun sagen wir nicht, für den Rapport des Verteidigungsministers vor dem Parlament - ich habe jetzt einfach mal den militärischen Begriff benutzt -, aber wäre es nicht Zeit, bevor dieser Einsatz wirklich beschlossen wird, dass das Parlament den Verteidigungsminister hört und befragt und beauftragt?

    Nachtwei: Ja, aber ich kann Ihnen sagen: Das ist unser Anspruch und unsere Realität schon die ganze Zeit, dass wir nämlich immer darauf drängen, die Ausrüstung muss wirklich zureichend angemessen sein. Und es wäre gut, wenn ein ehemaliger Generalinspekteur auch zu seiner Dienstzeit so offene Worte gefunden hätte wie jetzt in seiner Pensionszeit.

    Durak: Winfried Nachtwei, Verteidigungsexperte von Bündnis 90/Die Grünen, deren verteidigungspolitischer Sprecher im Bundestag. Besten Dank für das Gespräch.