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Daniel Woodrell
Mehr als ein Hinterwäldler-Krimi

Daniel Woodrell gehört neben Donald Ray Pollock, Pete Dexter und William Gay zu den virtuosen Schwarzmalern der amerikanischen Provinz. In seinem neuen Roman "In Almas Augen" erzählt er von Macht und Abhängigkeit, von Kleinstadtfilz und der großen Depression - und einer Tragödie, die schon fast vergessen schien.

Von Sacha Verna | 22.04.2014
    Man hat seinen Stil als "Faulkner light" bezeichnet und seine Romane als "Hillbilly Noirs". Das war durchaus als Kompliment gemeint. Es stimmt, dass Daniel Woodrells Geschichten fest in einer bestimmten Landschaft verwurzelt sind. Was für William Faulkner das fiktive Yoknapatawpha County in Mississippi war, ist für Woodrell das Orzak-Plateau im Süden Missouris.
    "Hinterwäldler-Krimis", "Hillbilly Noirs" klingt zwar nicht sehr nett, trifft aber insofern zu, als sich kaum eine von Woodrells Figuren durch besondere Weltläufigkeit auszeichnet. Dafür stehen die meisten von ihnen mit Tod und Teufel auf geradezu beängstigend vertrautem Fuß. Und das zerklüftete Hochplateau mit seinen verstreuten Menschennestern scheint ein fruchtbarer Boden für Tragödien zu sein.
    Macht und Abhängigkeit
    Die Tragödie im Zentrum von "In Almas Augen" liegt über dreißig Jahre zurück, als der Ich-Erzähler zum ersten Mal davon hört. Alek ist zwölf Jahre alt. Seine Großmutter Alma schildert ihm im Lauf eines Sommers, wie es zur Explosion bei einer Tanzveranstaltung kam, die 1929 zweiundvierzig Einwohnern von West Table das Leben kostete. Das Städtchen hat sich von dem Unglück nie mehr erholt, und auch Alma nicht. Almas Schwester Ruby war eines der Opfer. Almas Version vom Hergang der Dinge unterscheidet sich von der offiziellen, wonach nicht einmal sicher ist, ob der Brand gelegt oder ein Unfall war. Sicher ist, dass Ruby mit einem Vorzeigebürger West Tables eine Affäre und diese kurz vor dem Tanzabend beendet hatte. Sicher ist auch, dass Alma und Ruby nicht zu West Tables Vorzeigebürgern zählten und gewisse gesellschaftliche Grenzen nicht ungestraft überschritten werden.
    Es geht um Macht und Abhängigkeit, um Kleinstadtfilz und die große Depression. Daniel Woodrell entwirft ein Bild des ländlichen Amerika, in dem die Armut ein Gesicht hat und der Wahnsinn viele. Sieht Alma Gespenster oder machte jene Zeit alle zu Marionetten in einem Spuk, den man Dasein nennt? Aleks Passagen in der Ich-Perspektive wechseln sich ab mit jenen Almas in der dritten Person. Dazwischen tauchen wie Luftblasen in einem Aquarium die Biografien von Leuten auf, für die jener warme Frühlingsabend 1929 zum letzten wurde. Die Klavierspielerin, die für den eigentlich engagierten Musiker einsprang. Joe und Molly, der Einzelgänger und das Trampeltier, deren gemeinsame Zukunft mit und auf dem Tanzparkett in Rauch aufging. Und außerdem ist da Aleks komplizierte Familie, sein Vater, Almas Sohn, der sich selber aus dem Sumpf gezogen hat, in den das Elend ihn zu treiben drohte. Da ist Almas Ehemann, der Trinker und Tunichtgut, der die Kurve kratzte, bevor er die richtige kriegte.
    Die Wahrheit existiert nicht
    Daniel Woodrell gehört neben Donald Ray Pollock, Pete Dexter und William Gay zu den virtuosen Schwarzmalern der amerikanischen Provinz. Diese Autoren befassen sich nicht mit dem freudianischen Schattenboxen beruflich, emotional oder anderweitig überforderter Paare in internetten Metropolen. Bei ihnen landet die Faust direkt im Magen, während im Hintergrund die Wölfe heulen.
    Woodrells Stoff bilden Träume, die zu Albträumen werden, Schuld und Sühne mit Tabak und billigem Whiskey. Seine Sprache ist schnörkel-, aber nicht kunstlos, knapp, aber doch so anschaulich wie Buchstabenkino nur sein kann. Das gilt für Alma, die im Morgengrauen ihr bodenlanges ergrautes Haar bürstet, für den roten Lehmboden, der manche Teile der Orzaks prägt, und für die Damen, die nachmittags auf Terrasse des Country Clubs in hellen Gewändern Mah-Jongg spielen.
    "In Almas Augen" handelt auch vom Erzählen und von erzählter Erinnerung. Alek ist nicht mehr der Junge jenes Sommers, der bei Hühnerleber in dicker Sauce oder Schweineschwarten und Maisbrot den Monologen seiner Großmutter lauscht und dabei in den Sonnenuntergang blinzelt.
    Alma wiederum hat ihren Erinnerungen über die Jahre hinweg eine Form verliehen, in der sie sich erzählen und ertragen lassen. Die Wahrheit existiert nicht, weder in der Wirklichkeit noch in der Literatur. Zum Glück gibt es Schriftsteller wie Daniel Woodrell, die einen erzählend immer wieder daran erinnern.
    Daniel Woodrell: "In Almas Augen", Roman. Aus dem Amerikanischen von Peter Torberg. Liebeskind Verlag, München 2014. 190 Seiten. 16,90 Euro.