Archiv


"Dank Kirchhof dreht sich der Wahlkampf um ein Sachthema"

Der stellvertretende FDP-Partei- und Fraktionschef Rainer Brüderle meint mit Blick auf die Debatte über das Steuer-Konzept des früheren Verfassungsrichters Kirchhof, die Union habe die Momente der Irritation überwunden. Außerdem konzentriere sich der vormals dahindümpelnde Wahlkampf jetzt auf ein Sachthema. Brüderle sprach sich nochmals gegen ein Zusammengehen der Freien Demokraten mit SPD und Grünen nach der Bundestagwahl aus.

Moderation: Christine Heuer |
    Christine Heuer: Es gibt eine Wechselstimmung in Deutschland, aber nicht mehr zu Gunsten der Union. Nach dem TV-Duell zwischen Gerhard Schröder und Angela Merkel und während der anhaltenden Debatte über die kirchhofsche Steuerreform hat Schwarz-Gelb in den Umfragen die Mehrheit verloren. Sieben Tage vor der Wahl sieht es nach einem Patt aus zwischen den Lagern. Die große Koalition ist im Gespräch. Gemunkelt wird aber auch über Dreierbündnisse. Rot-Rot-Grün ginge rechnerisch vielleicht, die Ampel auch. Beides wird als Möglichkeit schon heftig dementiert. - Am Telefon ist Rainer Brüderle, stellvertretender Partei- und Fraktionschef der FDP. Guten Morgen!

    Rainer Brüderle: Guten Morgen Frau Heuer!

    Heuer: Bei ihrem Sonderparteitag gestern, Herr Brüderle, hat die FDP ganz klar gesagt, sie wolle eine schwarz-gelbe Koalition. Etwas anderes käme für sie nicht in Frage. Was ist aber, wenn es dafür keine Mehrheit gibt am 18. September? Bleibt die FDP dann in der Opposition?

    Brüderle: Ja. Die Frage haben wir klar beantwortet. Wir setzen voll darauf, dass wir genügend Wähler für Schwarz-Gelb insgesamt mobilisieren können. Bei den Wahlumfragen, die Sie zu Recht zitieren, muss man eins auch sehen: Zwischen 22 und 30 Prozent haben sich noch nicht entschieden. Insofern sind alle diese Umfragen höchst problematisch. Wir wollen auch nicht die Umfragen gewinnen, sondern die Wahlen. Ich darf daran erinnern, dass die Situation ganz ähnlich ist wie in Nordrhein-Westfalen. Da gab es nach dem Duell auch die Meinung, dass der Herr Rüttgers es gar nicht geschafft hätte und Steinbrück viel besser sei und am Schluss war Rüttgers Ministerpräsident. Also, das ist bis zum Schluss offen. Man muss bis zur letz-ten Minute kämpfen. Ich glaube nach wie vor, dass wir mit Schwarz-Gelb eine Mehrheit kriegen. Wenn wir sie nicht kriegen, sind wir in der Opposition.

    Heuer: Wenn die Alternative aber rechnerisch am Schluss wäre, dass es zu einer rot-rot-grünen Koalition käme, ist die FDP dann nicht in der Pflicht, sozusagen als Ampelpartei, als Ampelkoalitionär mit einzu-springen, um die Linkspartei in der Regierung zu verhindern?

    Brüderle: Unsere oberste Pflicht ist, unsere Zusagen und Aussagen vor der Wahl einzuhalten. Das werden wir tun. Wir warnen in jeder Wahlveranstaltung vor dieser neuen Volksfront Rot-Rot-Grün. Das wird ein Weg sein noch mehr in Arbeitslosigkeit und Armutsentwicklung in Deutschland. Wir sagen das ganz klar. Wenn der Wähler anders entscheidet, dann hat er entschieden. Aber ich setze nach wie vor darauf, dass die Vernunft und die Argumente wirken werden und dass wir trotz der Delle, die sich Ende letzter Woche entwickelt hat, am Schluss bei der hohen Zahl der noch nicht Entschlossenen eine Mehrheit haben werden. Wenn wir sie nicht haben, müssen wir konsequent sein und in die Opposition gehen.

    Heuer: Manchmal treffen Sie auch den Kanzler, Herr Brüderle. Haben Sie mit dem schon mal über die Ampel gesprochen?

    Brüderle: Nein, weil Ampel für mich nie ein Thema war. Für mich galt immer der Grundsatz, bei uns wird nicht geampelt und nicht gehampelt. Mit der SPD im Lande haben wir eine erfolgreiche, gute Zusammenarbeit, aber eine Ampel kommt für mich aus vielen Gründen nicht in Betracht. Mit den Grünen und uns gibt es nicht die erforderliche Schnittmenge und da sind die Gegensätze am stärksten. Das machen wir nicht!

    Heuer: Gut. Also das Dementi ist wirklich eindeutig.

    Brüderle: Ja!

    Heuer: Herr Brüderle, Sie haben gesagt, Sie wollen bis zur letzten Minute kämpfen. Das heißt auch, Sie hoffen bis zur letzten Minute. In den Umfragen sieht es aber nicht so gut aus für die Koalition, die Sie sich wünschen, für Schwarz-Gelb. Wer ist schuld daran?

    Brüderle: Ach, das ist schwer zu sagen. Sicherlich war die Mehrwertsteuer-Debatte nicht ganz glücklich und auch die Überlegungen, dass man unvorbereitet in den Steuerfragen einen anderen Kurs einschlagen wollte und dann doch wieder nicht einschlagen wollte. Es ist immer wichtig, Klarheiten zu haben. Das hat die Union inzwischen auch wieder geschafft. Und die Mehrwertsteuererhöhung hat natürlich auch viele verunsichert. Wir halten sie weder für notwendig noch für geboten, weil wir für unser steuersenkendes Konzept drei Steuersätze von 15, 25 und 35 Prozent - das ist eine Entlastung von etwa 16 Milliarden Euro -, allein im Bundeshaushalt Einsparvorschläge für 36 Milliarden Euro vorgelegt haben. Also alles mit einem klaren Kurs. Das hat sich inzwischen auch in der CDU alles wieder stabilisiert, so dass ich fest davon ausgehe, dass die Chance da ist.

    Heuer: Aber Paul Kirchhof, der Finanzexperte von Angela Merkel, will ja nun doch etwas anderes erreichen als das, was in den Programmen steht?

    Brüderle: Na ja, er sagt, er steht zu dem Programm der Union, hat eine darüber hinausgehende Vorstellung und ein Verdienst hat er sicherlich: durch seine Berufung ist dieser ein bisschen dahindümpelnde Wahlkampf, der mehr um Personalüberlegungen und Spekulationen sich gerankt hat, auf ein Sachthema konzentriert worden. Ich finde es von der Sache her durchaus erfreulich, dass man in Deutschland breiter mal über Steuerpolitik diskutiert und überlegt, wie man die dahinter stehende ordnungspolitische Vorstellung bewertet. Es geht ja nicht um Steuertarife. Es geht darum - das ist für uns auch der entscheidende Punkt -, dass wir die Balance der eigenverantwortlichen Entscheidung der Bürger und kollektiven staatlichen Entscheidung zu Gunsten der Eigenverantwortung ändern müssen, denn andere Länder haben das längst getan. Wir haben einen Staatsanteil von 48 Prozent. Fast die Hälfte von jedem Euro, den wir in diesem Land erarbeiten, geht über den Staat und außer Kuba und Nordkorea kenne ich kein Land mehr, das glaubt, dass eine Steuerung der Arbeitskräfte und des Kapitaleinsatzes über den Staat besser sei als über den Markt. Hier ist eine Schwachstelle, deshalb muss hier etwas geändert werden.

    Heuer: Herr Brüderle, es ist sicher richtig, dass es gut ist, über Steuermodelle zu diskutieren, aber Fakt ist, dass diese Diskussion über das Kirchhof-Modell die Union in diesem Wahlkampf kräftig Stimmen kostet.

    Brüderle: Ja, aber die Union hat auch wieder Klarheit geschafft und Herr Kirchhof sagt ja auch, er steht auf dem Boden des Programms und das wird umgesetzt und das ist richtig so. Er hat, indem er seine darüber hinausgehenden Vorstellungen in den Vordergrund gerückt hat, für Momente der Irritation gesorgt. Die scheinen mir überwunden zu sein und das Beste ist doch bei dieser Debatte, dass die Wähler die Klarheit haben wollen, dass man einen realistischen Ansatz wählt und umsetzt, erkennt, dass man die FDP wählen muss. Das ist der Turbo in dieser künftigen Koalitionsmöglichkeit und deshalb hat es der FDP letztlich in der Debatte meine ich unterm Strich genutzt und ich kann nur sagen jeder, der einen vernünftigen Ansatz haben will, geht am besten davon aus, dass er mit der Zweitstimme für die FDP dies sicherstellt.

    Heuer: Wahlkampf! Der FDP-Landeschef in Sachsen Holger Zastrow sagt heute, bei dieser Wahl sei die Union das Risiko, ob es zu einer Koalition von Union und FDP im Bund kommen wird. Hat er Unrecht, wo doch die Union wieder Klarheit geschaffen hat in Sachen Steuermodell?

    Brüderle: Gut, es gab ja zwischendurch diese Irritationen. Insofern wäre es vielleicht klüger gewesen, dies von Anfang an in dieser Klarheit einzuordnen, dass es das Konzept der Union ist, was die Basis ist für die nächste Legislaturperiode und für Verhandlungen mit den freien Demokraten bei einer Koalitionsbildung, und nicht die sicherlich intellektuell interessanten Überlegungen von Herrn Professor Kirchhof, die sehr dezidiert über das hinausgehen und die ich in der langfristigen Perspektive durchaus für einen Denkansatz halte, über den man reden kann. Jetzt geht es aber um das Machbare und das Machbare ist, dass wir ohne Mehrwertsteuererhöhung durch Kürzung des Bundeshaushalts realistischerweise umsetzen und da ist unser Konzept das, was als einziges vorgerechnet, vorgearbeitet als Gesetzentwurf auf dem Tisch zur Entscheidung anliegt.

    Heuer: Herr Brüderle, ich probiere es noch mal mit einem anderen Namen. Der FDP-Ehrenvorsitzende Otto Graf Lambsdorff sagt heute, es war ein Risiko, Paul Kirchhof zu berufen, das möglicherweise größer war als der Nutzen.

    Brüderle: Das kann immer so sein, aber es ist nicht unsere Aufgabe, der Frau Merkel öffentlich Zensuren zu erteilen. Sie hat sich dafür entschieden. Sie hat damit dem Wahlkampf eine andere Diskussionsrichtung gegeben. Es gab Irritationen; die Union hat sie korrigiert. Und das hat - das sage ich noch mal - damit auch deutlich gemacht, wie wichtig die FDP als Turbo und als stabiler Faktor in der zukünftigen Konstellation ist. Das halte ich letztlich final für gut, dass man zeigt, die FDP ist ein ganz entscheidendes Element, um eine vernünftige, auch machbare Regierungspolitik auf den Weg zu bringen.

    Heuer: Ein anderer Name fällt neuerdings wieder sehr häufig. Es ist der Name Friedrich Merz, der sich ja aus der aktiven Politik weitgehend zurückgezogen hat. Soll Angela Merkel Friedrich Merz zurückholen, Herr Brüderle?

    Brüderle: Da war ja vorher ein Machtkampf. Frau Merkel hat Herrn Merz als Fraktionsvorsitzenden ab-gelöst. Das war meines Erachtens der entscheidende Ansatz, weshalb er sich für eine Karriere in der Privatwirtschaft entschieden hat. Wenn Frau Merkel das für richtig hält, ist es ihre Entscheidung, ob sie es macht oder nicht. Auch da habe ich als stellvertretender Parteivorsitzender der FDP öffentlich ihr keine Ratschläge zu geben. Friedrich Merz ist sicherlich ein interessanter Mann, der Vorstellungen hat, die sehr nah auch bei unseren liegen. Aber ob sie teamergänzend modifiziert sind, das muss sie selbst entscheiden. Wir haben mit dem Parteitag gestern gezeigt, dass die FDP personell wie inhaltlich gut aufgestellt ist und dass sie damit der Faktor ist, der in einer zukünftigen Koalition mit möglichst viel Gewicht versehen auch sehr segensreich wirken kann.

    Heuer: Im Team von Guido Westerwelle, Herr Brüderle, sind Sie zuständig für die Wirtschaftspolitik. Nehmen wir mal an, Sie würden Wirtschaftsminister. Mit welchem Finanzminister von der Union könnten Sie denn besser Ihre Politik umsetzen? Mit Paul Kirchhof oder mit Friedrich Merz?

    Brüderle: Wir haben uns hier einen Dreisatz des Erfolgs vorgenommen. Erst wollen wir bei der Wahl gut abschneiden. Dann gilt der Grundsatz von Hans-Dietrich Genscher, man muss Wahlen zweimal gewinnen, bei den Koalitionsverhandlungen möglichst viele unserer Vorstellungen umsetzen. Am Schluss stellen wir unsere Personalüberlegungen an. Eine Personaldebatte jetzt ist überhaupt nicht dienlich. Wenn man einen soliden Koalitionsvertrag hat, ein gutes Vertrauensverhältnis in der Koalition hat, dann kann man auch seine Vorstellungen, wie sie vereinbart sind, sehr erfolgreich umsetzen.

    Heuer: Rainer Brüderle, der stellvertretende Partei- und Fraktionschef der FDP war das. Herr Brüderle, ich danke Ihnen für das Gespräch!