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Dankbarkeit gegenüber Eduard Schewardnadse

Meurer: Seit knapp zehn Jahren ist Georgien unabhängig. Die militärischen Auseinandersetzungen im Land sind zwar abgeebbt, aber das Land steht wirtschaftlich vor allergrößten Problemen. Dabei wird Georgien vom Westen erheblich unterstützt, vor allen Dingen auch von Deutschland. Seit gestern besucht Bundeskanzler Gerhard Schröder das Land im Kaukasus. Mit dabei ist auch der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher, FDP, den eine besondere Beziehung mit dem heutigen Staatspräsidenten Eduard Schewardnadse verbindet. Schewardnadse war ja sowjetischer Außenminister während der deutschen Vereinigung. In Tiflis begrüße ich Hans-Dietrich Genscher nun am Telefon. Guten Morgen!

    Genscher: Guten Morgen Herr Meurer.

    Meurer: Was bedeutet denn der Besuch der Delegation mit Bundeskanzler Schröder an der Spitze für die Georgier?

    Genscher: Das ist für die Georgier und für Georgien natürlich ein ganz sichtbares Zeichen, dass Deutschland dem Präsidenten Schewardnadse eine besondere Wertschätzung gegenüber hat aufgrund seiner Verdienste bei der deutschen Vereinigung und bei den 2+4-Verhandlungen, aber es ist auch eine Anerkennung der großen Bedeutung Georgiens für die Stabilität in dieser Region. Deshalb ist es ja auch Deutschland gewesen, das sich in besonderer Weise um die Heranführung Georgiens an die westlichen Gemeinschaften bemüht hat. Ich meine damit den Abschluss des Kooperationsabkommens mit der Europäischen Union, aber auch die Mitgliedschaft im Europarat. Im letzten Jahr hatten wir den Staatsbesuch von Präsident Schewardnadse in Deutschland; jetzt ist der Bundeskanzler zu einem offiziellen Besuch hier in Georgien. Das alles zeigt: Georgien ist für Deutschland ein wichtiger Partner und kann sich auch auf Deutschland verlassen.

    Meurer: Wie viel kann denn Deutschland überhaupt dazu beitragen, dass das Land wirtschaftlich auf die Beine kommt?

    Genscher: Das Land hat natürlich immer wieder durch die Auseinandersetzungen mit einem Teil, einer Region des Landes erhebliche Rückschläge erlitten. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass Schewardnadse derjenige ist, der hier in diesem Land die Stabilität garantieren kann. Deshalb haben ihn ja auch seine Landsleute zurückgerufen, als das Land in größter Not war, und wenn man einmal die Bilder aus dem Jahr 1992 vergleicht mit der Lage in der Stadt und dem Land hier, dann hat sich doch schon erhebliches geändert. Dazu kommt, dass man dabei ist, nicht nur wirtschaftliche und innere Reformen durchzuführen. Es gibt ein sehr lebendiges Parlament mit sehr viel jungen Abgeordneten, die eine völlig neue Sicht der Probleme haben, und es gibt eine Justiz, die sehr stark deutschem Recht folgt, aber auch eine kontinentale Rechtsauffassung, aber auch eine unabhängige Rechtsprechung hat. Es sind also erhebliche Fortschritte, die sich aber natürlich erst über die mittlere Sicht voll auswirken können.

    Meurer: Nun sagen ja manche, dass Georgien jetzt zwar im Europarat sitzt, dass es aber auch Defizite gebe. Gibt es diese Defizite und welche sind es?

    Genscher: Defizite wird es sicher geben, insbesondere in den umkämpften Gebieten, insbesondere wenn solche Kämpfe stattfinden. Verglichen aber mit dem Beginn 1992 und der Lage heute war der Europarat gut beraten, dass er dieses Land aufgenommen hat. Die Aufnahme in den Europarat ist ja auch ein Gütesiegel für die rechtstaatliche Entwicklung in einem Land.

    Meurer: Nun hat Georgien ja eine gemeinsame Grenze mit Tschetschenien. Wie groß ist denn die Gefahr oder als wie groß wird sie von den Georgiern empfunden, dass der Konflikt übergreifen könnte?

    Genscher: Die geographische Lage des Landes ist gewiss auch der Grund dafür, dass das Land darum bemüht ist, gute Beziehungen zu Moskau zu unterhalten. Der Präsident hat sich ja sehr positiv zur Neuwahl des Präsidenten in Russland geäußert. Der Bundeskanzler hat, bevor er hier hergefahren ist, mit dem neugewählten russischen Präsidenten gesprochen. Das alles zeigt, dass die Gesprächspartner hier in Georgien, der deutsche Bundeskanzler und Mitglieder der Bundesregierung auf der einen Seite, der Präsident und die hiesige Regierung auf der anderen Seite, sich sehr wohl des Verhältnisses zu Russland bewusst sind. Das wiederum dämpft die Gefahr, dass Konflikte nach Georgien übergreifen können.

    Meurer: In Moskau gibt es ja den neugewählten Präsidenten. Was erwartet man in Georgien von Wladimir Putin?

    Genscher: Man ist hier der Meinung - und Präsident Schewardnadse hat das auch zum Ausdruck gebracht -, dass man erwartet, dass die russische Politik klarer und berechenbarer wird. Wie gesagt, sowohl Präsident Schewardnadse wie der Ministerpräsident haben mit dem neugewählten russischen Präsidenten schon gesprochen, als er Ministerpräsident war. Das zeigt, dass man doch sehr stark bemüht ist, zu einem guten Verhältnis zu kommen. Das wiederum ist wichtig für die Stabilität hier in Georgien.

    Meurer: Sie werden ja heute zum Ehrenbürger von Tiflis, Herr Genscher. Wenn Sie mit Eduard Schewardnadse zusammenkommen werden, reden Sie dann mit ihm über alte Zeiten?

    Genscher: Ich soll Ehrenbürger von Georgien werden. Natürlich spricht man, wenn man sich bei einer solchen Gelegenheit trifft, über alte Zeiten, aber natürlich auch über das, was das Land jetzt braucht. Ich habe mich immer verstanden als ein Freund Georgiens auf dem sehr schwierigen Weg seit 1992. Ich war damals der erste westliche Minister, der einen Besuch hier in Georgien abgestattet hat. Wir waren das erste Land, das hier eine Botschaft eröffnet hat. Das ist unvergessen. Hinzu kommt dann die sehr persönliche Freundschaft, und ich möchte für meine Person sagen - und ich glaube, das können wir als Deutsche alle sagen - auch die große Dankbarkeit gegenüber Schewardnadse, der ja zusammen mit Gorbatschow auch durch seine Politik wesentliches dazu beigetragen hat, dass Deutschland heute wieder vereint ist und dass auch in Europa die Gräben überwunden sind.

    Meurer: Der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher, zur Zeit in der georgischen Hauptstadt Tiflis. - Schönen Dank und auf Wiederhören!

    Link: (Hans-Dietrich Genscher, Ehrenvorsitzender der FDP (2.1.2000)==>/cgi-bin/es/neu-interviewwoche/107.html)

    Link: Interview als RealAudio