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Dankesrede zum Büchnerpreis 2018
Mora: "Die öffentliche wie die private Rede hat sich radikalisiert"

In ihrer Dankesrede für den Georg-Büchner-Preis hat die deutsch-ungarische Schriftstellerin Terézia Mora "hetzerisches" Reden, das es inzwischen auch auf "Regierungsebene" gebe, kritisiert. Der Fisch stinke vom Kopf, aber nicht nur hier, sondern auch überall anderswo.

Von Terézia Mora | 28.10.2018
    27.10.2018, Hessen, Darmstadt: Ernst Osterkamp (l), Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, übergibt im Darmstädter Staatstheater den Georg-Büchner-Preis 2018 an die deutsch-ungarische Schriftstellerin Terézia Mora (r). Der Preis ist mit 50 000 Euro dotiert.
    Ernst Osterkamp, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, übergibt den Georg-Büchner-Preis 2018 an die deutsch-ungarische Schriftstellerin Terézia Mora. (dpa/Frank Rumpenhorst)
    Terézia Moras Haltung vermittele eine wütende Melancholie, eine Melancholie am Kipppunkt zum Aufbegehren, sagte die österreichische Literaturwissenschaftlerin Daniela Strigl gestern in ihrer Laudatio bei der Verleihung des Georg-Büchner-Preises im Staatstheater Darmstadt. Und tatsächlich äußerte Mora in ihrer Dankesrede, die sie in Form eines Briefs an einen Freund gefasst hatte, eine gewisse Traurigkeit:
    "Nicht dass mich Gelingen oder Heiterkeit in einem Text generell traurig stimmen würde. Obwohl ich aus Mitteleuropa eher die Melancholie, als den grotesken Witz mitgenommen habe. Beide haben ihren Ursprung in dem Wissen, das wir alten Europäer miteinander teilen, wonach wir, ob wir nun etwas tun oder nicht tun, auf jeden Fall einen Preis zahlen werden, den wir als zu hoch empfinden. Wenn wir Woyzeck, und noch mehr, wenn wir Marie sind, wird er auch wirklich hoch sein. Aber das macht mich nicht traurig. Eigentlich bin ich es auch nicht. Eher enttäuscht, was darauf hindeutet, dass ich Besseres erwartet hätte. Was ist passiert? Ach nichts Besonderes, nur, dass sich in den drei Monaten seitdem ich diesen Text angefangen habe, die öffentliche wie die private Rede in eine Richtung radikalisiert hat, die uns zurecht besorgt sein lässt."
    Dabei sei eine gewisse Irritation durch die Realität für den Schriftsteller, der Fiktion erschafft, nicht schlecht, bloß habe sie die Qualität der Irritation in der letzten Zeit etwas mitgenommen, so Terézia Mora:
    "Früher konnte ich sagen: Hetzerisches Reden findet in Deutschland wenigstens nicht auf Regierungsebene statt. Das kann ich so nicht mehr."
    Absurdität und Traurigkeit
    Die deutsch-ungarische Schriftstellerin und Übersetzerin wuchs in einer Familie, die zur deutschen Minderheit gehört, zweisprachig auf. Seit 1990 lebt sie in Berlin. Für ihren Roman "Das Ungeheuer" erhielt sie 2013 den Deutschen Buchpreis. Dass ihr Geschlecht und ihre Herkunft für die Preisverleihung eine Rolle spielen sollte, fand sie merkwürdig. Sie habe es vermieden, die ganzen Artikel, die es anlässlich des Büchner-Preises gab, ganz zu lesen:
    "Aber ich habe die Überschriften gelesen, und da stand ein ums andere Mal, dass ich Ausländer und eine Frau sei, also Ausländerin und die Preisvergabe an mich deswegen ein Signal. Und ich dachte, das sei öffentliche Anerkennung, jedes Mal. Natürlich verstehe ich, warum das mit den Ausländern und den Frauen gesagt werden muss, dass die, die es sagen Gutes damit wollen, aber Tatsache ist auch, dass dadurch ein spezielles - um nicht zu sagen - seltsames Licht auf den schönen freien Menschen fällt."
    In ihrer Dankesrede erinnerte Terézia Mora auch an den vor zwei Jahren verstorbenen ungarischen Schriftsteller Peter Esterházy, gegen den, neben anderen als "linksliberal" verschrienen Künstlern und überhaupt gegen jede Form von Intellektualität, zur Zeit eine Kampagne in Ungarn laufe.
    Der mit 50.000 Euro dotierte Georg-Büchner-Preis gilt als die wichtigste literarische Ehrung in Deutschland.
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