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"Dann kann man das Promotionsrecht auch jedem Kiosk verleihen"

Die Entscheidung sei goldrichtig, meint der Jurist Volker Rieble über den Entzug der Doktorwürde von Annette Schavan. Wenn man Abkupfereien dieses Umfangs durchwinke, sei die Promotion "gar nichts mehr". Ein zweites Begutachten der Arbeit hält Rieble für unnötig.

Das Gespräch führte Martin Zagatta |
    Martin Zagatta: Weil Annette Schavan nun vor Gericht ziehen will, um gegen die Aberkennung ihres Doktortitels vorzugehen, mit heftigen Vorwürfen gegen die Universität Düsseldorf, haben wir mit Professor Volker Rieble gesprochen. Er ist Jurist an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität und Autor des Buches "Das Wissenschaftsplagiat: Vom Versagen eines Systems". Von ihm wollten wir wissen, ob im Fall von Frau Schavan, der Aberkennung ihres Doktortitels durch die Universität Düsseldorf, das System auch versagt hat, oder ob er diese Entscheidung der Düsseldorfer Uni aus seiner Sicht nachvollziehen kann.

    Volker Rieble: Nach meinem Verständnis ist die Entscheidung goldrichtig und auch die einzig richtige Entscheidung, denn wenn man Abkupfereien dieses Umfangs durchwinkte, dann kann man das Promotionsrecht auch jedem Kiosk verleihen. Dann ist die Promotion gar nichts mehr. Eigentlich ist das ein Versuch der Düsseldorfer Fakultät gewesen, die Wissenschaftsstandards, was Qualität und was Redlichkeit betrifft wiederherzustellen, denn einiges war ja doch verlottert in den letzten Jahren.

    Zagatta: Jetzt richtet sich die Kritik an der Universität Düsseldorf auch mit dem Vorwurf, sie habe darauf verzichtet, ein externes Zweitgutachten anzufordern. Warum wird das nicht gemacht?

    Rieble: Erstens ist es überhaupt nicht erforderlich. Ob eine Promotionsleistung zieht oder nicht zieht, insbesondere ob die Dissertation einwandfrei ist oder nicht, das entscheidet eine Fakultät bei der Vergabe des Doktortitels ohne auswärtigen Gutachter, und dementsprechend kann sie auch bei dem Actus contrarius, wie wir Juristen sagen, also bei der Rücknahme der Entscheidung, ohne auswärtigen Gutachter entscheiden.

    Zagatta: Aber kann denn ein Judaist, so wie das in Düsseldorf passiert ist, kann der eine erziehungswissenschaftliche Arbeit bewerten? Das wird ja auch kritisiert.

    Rieble: Ja auch das ist totaler Quatsch. Abschreiben hat nichts mit dem Fach zu tun. Wenn ich Ihnen einen erziehungswissenschaftlichen, einen politologischen oder einen sozialwissenschaftlichen Text vorlege und das Original und Sie legen beide nebeneinander, so wie das bei SchavanPlag geschehen ist, dann stellen Sie die Identität und die Wortumstellungen fest oder nicht. Das ist einfach eine Frage der Lesefähigkeit. Wenn Erziehungswissenschaftler meinen, dass andere nicht lesefähig sind, ist das einigermaßen interessant im Ansatz.

    Zagatta: Das sagen nun aber auch Wissenschaftler, dass früher anders zitiert worden sei. Stimmt das nicht?

    Rieble: Auch das ist also - - Jetzt ist ja hier diese Zitatfibel noch aufgetaucht. Sie finden jede Menge Werke in der Vergangenheit, in diese Zitierregeln wiedergegeben worden sind. Es gibt auch verwaltungsgerichtliche Rechtsprechungen aus den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts, in denen auch das immer genau so entschieden worden ist. Es ist einfach eine Lüge, eine gezielte, instrumentell eingesetzte Lüge, um Frau Schavan den Titel zu erhalten, und da hat die Fakultät aus guten Gründen nicht mitgemacht.

    Zagatta: Was kann denn ein Gericht, das jetzt von Frau Schavan angerufen wird, was kann das jetzt überhaupt noch klären, ob die Uni sich an ihre eigenen Regeln gehalten hat, oder um was kann es da jetzt noch gehen?

    Rieble: Es geht um zwei Aspekte. So wie die Entscheidung einen feststellenden und einen Ermessensteil hat, so erfolgt auch die verwaltungsgerichtliche Kontrolle. Also die Frage, ob das ein "Plagiat" war, oder technisch gesprochen, ob die Promotion erlangt worden ist durch eine Doktorarbeit, die falsche Angaben enthält, das prüfen die Verwaltungsgerichte voll nach. Aber da ist die Rechtsprechung dermaßen streng, dass ich da die Chancen für Frau Schavan bei nahe null sehe – es sei denn, die Gerichte würden jetzt umkippen, aber danach sieht es eigentlich nicht aus, weil die Verwaltungsgerichte insgesamt die Wissenschaftsfreiheit eigentlich stärker verteidigen, als dass die Universitäten tun.
    Der zweite Aspekt, wo Frau Schavan vielleicht etwas mehr Chancen hat, ist die Frage des Ermessens, denn eine Fakultät kann den Doktortitel entziehen, muss es aber nicht, sondern sie kann darüber nach Sachkriterien entscheiden, und da könnte Frau Schavan geltend machen, dass das ja schon verdammt lang her sei und dass man den Zeitablauf stärker berücksichtigen müsse und ihre sonstigen wissenschaftlichen Erfolge, die sich ja in zahllosen Ehrendoktoraten niederschlagen. Aber auch da glaube ich, dass sie im Kern keinen Erfolg haben wird.

    Zagatta: Herr Rieble, wenn Sie das so relativ eindeutig sehen, wie ist es denn dann zu erklären, dass sich zahlreiche wissenschaftliche Einrichtungen wie zum Beispiel die Rektorenkonferenz, dass die sich auf die Seite von Frau Schavan gestellt haben – ausdrücklich?

    Rieble: Nun, das zeigt eben eher, dass unser Wissenschaftssystem ein bisschen verrottet ist. Dass ausgerechnet die Kostgänger, die aus dem Bundeswissenschaftsministerium viele Millionen Euro bekommen, dass die sich hier zu Wort melden, obwohl sie befangen sind, das ist erstaunlich, wenn Sie umgekehrt sehen, der Deutsche Hochschulverband hat sich ebenso eindeutig geäußert, und der kriegt nun kein Geld. Und es haben sich einige unabhängige Wissenschaftler geäußert und die kriegen auch kein Geld. Vielleicht sollte man ganz generell den großen Institutionen nahelegen, sich nicht zugunsten amtierender Wissenschaftsminister zu äußern.

    Zagatta: Kann denn Frau Schavan, was sie offenbar ja noch vorhat, als Ministerin, als Bildungsministerin im Amt bleiben, wenn sie da über die Vergabe von Mitteln ja zumindest mitentscheidet?

    Rieble: Na ja, denjenigen, die sich sozusagen für sie in die Bresche geworfen haben und die damit das eigene Renommee stark beschädigt haben, ist das natürlich zu wünschen, dass Frau Schavan möglichst lange im Amt bleibt, damit sie ihre Dankbarkeit auch beweisen kann. Ob das politisch geht, wage ich mal zu bezweifeln, denn bei Frau Schavan ist ja ersichtlich die Fähigkeit zum Fremdschämen deutlich ausgeprägter als die zum Selberschämen.

    Zagatta: Professor Volker Rieble von der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität, mit dem wir vor der Sendung gesprochen haben.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.