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"Dann könnte man diese Menschen gleich zum Sozialamt schicken"

Der Sozialverband Deutschland hat den Vorstoß aus der Union zurückgewiesen, das Mindestalter für den Bezug von Witwenrente anzuheben. Für diese Debatte sehe er derzeit überhaupt keinen Anlass, sagte der Präsident des Verbandes, Adolf Bauer. Bereits in der Vergangenheit habe es erhebliche Einbußen bei der Hinterbliebenen-Versorgung gegeben. Wenn die Altersgrenze angehoben würde, wären die Frauen noch mehr benachteiligt, erklärte Bauer.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Bislang haben Witwen, die ein Kind erziehen oder die älter als 45 Jahre sind, Anspruch auf 55 bis 60 Prozent der Rente ihres verstorbenen Ehemanns. Das könnte sich bald ändern. Der CDU-Rentenexperte Peter Weiß hat es so formuliert: In diesem Jahrhundert ist nicht mehr vermittelbar, dass Frauen mit 45 Jahren Anspruch auf die volle Witwenrente haben. Am Telefon ist der Präsident des Sozialverbandes Deutschland, Adolf Bauer. Guten Morgen, Herr Bauer.

    Adolf Bauer: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Ist das so, ist Ihnen das nicht mehr vermittelbar, eine Witwenrente schon mit 45?

    Bauer: Das ist eine Geisterdiskussion, denn es sind immerhin 5,5 Millionen Menschen in der Bundesrepublik, die zur Zeit Witwen- oder Witwerrente beziehen. Und ich glaube, dass diese Diskussion eher zur Verunsicherung beiträgt, als zur Klärung.

    Spengler: Also eine Geisterdiskussion, finde ich, ist das nicht, weil, es hat ja kein Geist ausgelöst, sondern Peter Weiß und es gibt handfeste Pläne, offenbar, im Dezember so etwas einzuführen.

    Bauer: Ich hoffe, dass man mit dieser Diskussion lediglich das Sommerloch füllt, auch wenn Herr Weiß und andere diese Diskussion zu führen versuchen.

    Spengler: Nun sagt der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Bert Rürup, dass eine Anpassung der Hinterbliebenenrente, also der Witwenrente, nötig sei, wegen der steigenden Erwerbstätigkeit von Frauen.

    Bauer: Das mag sein, dass er so argumentiert. Nun muss man sehen, die Witwenrenten sind bereits gekürzt worden. Man hat sie 2001 im Zuge der Riesterreform bereits von 60 auf 55 Prozent gekürzt. Und auch die Rentenkürzungen der Rentenreformen aus 2004 schlagen voll auf die Witwenrenten durch. Insofern hat man bei den Diskussionen in den vergangenen Jahren immer auch schon ganz kräftig die Witwen- und Witwerrenten mit gekürzt.

    Spengler: Aber betreffen die Witwenrenten nicht doch vor allen Dingen Frauen, die nicht berufstätig sind oder waren?

    Bauer: Das ist richtig. Es sind etwa 3,3 Millionen Witwen und Witwerrenten, bei denen kein Eigenverdienst angerechnet werden kann, das heißt, die über keine weiteren Einnahmen verfügen. Eigenverdienst wird auch heute schon geltend gemacht, wenn man über eigene Einnahmen verfügt, bei 1,2 Millionen Personen in etwa.

    Spengler: Das heißt, wenn man kürzen würde, beträfe es tatsächlich schlecht oder eben nicht gut Verdienende?

    Bauer: Genauso ist es. Und wenn man bei diesen 4,3 Millionen Menschen weitere Kürzungen vornähme, dann kann man sagen, könnte man diese Menschen auch gleich zum Sozialamt zur Grundsicherung schicken. Denn ich möchte einmal die Beträge nennen, um die es hier geht: In der Bundesrepublik beziehen die Frauen 553 Euro im Durchschnitt Hinterbliebenen- also Witwenrente. Und bei den Männern betragen diese Summen 216 Euro. Und das dürften im Übrigen diejenigen sein, bei denen am häufigsten ein Eigenverdienst angerechnet wird, weil die Männer bei uns gewöhnlich über eigene Renteneinnahmen verfügen.

    Spengler: Es würden tatsächlich ja auch nicht mehr Gelder eingespart, als etwa 40 Millionen Euro, wenn denn das stimmt, was ich da nachgelesen habe. Ist das nicht sowieso ein bisschen wenig, um dann im Gegenzug Rentner, die nicht bis 67 arbeiten können, davon profitieren zu lassen? Das ist ja ebenfalls eine Begründung, man will sozusagen das Geld da wegnehmen und es anderen zuführen.

    Bauer: Ja, Sie haben die Größenordnung benannt. Wir halten es für verwerflich, dass man Gruppen, Frührentner hier in diesem Falle, gegen Witwen auszuspielen versucht. Eine Umverteilung zugunsten von Frührentnern, die zu Lasten von Witwenrenten gehen soll, die lehnen wir ab. Wir halten diese Diskussion für unerträglich.

    Spengler: Nun will der Rentenexperte der CDU ja gar keinen Wegfall der Witwenrente, sondern er will einfach einen späteren Beginn und dann erst den vollen Anspruch auf Witwenrente mit 52 Jahren. Nicht mit 45 wie jetzt, sondern mit 52. Jetzt muss ich Sie fragen, macht das nicht Sinn, ist das nicht auch gerecht, wenn doch alle länger warten müssen, nämlich bis 67, bis zu vollen Rente?

    Bauer: Wenn man diese Diskussion so übertragen würde, dann müsste man von 45 auf 47 sagen, denn das übliche Renteneintrittsalter wird um zwei Jahre erhöht.

    Spengler: Wären Sie denn dafür?

    Bauer: Nein, auch das macht insofern keinen Sinn, weil man in dem Alter nicht mehr vermittelbar ist, nach dem derzeitigen Arbeitsmarktstand. Diese Diskussion ist ähnlich fatal, wie sie bei Hartz IV geführt wird oder wie sie bei älteren Rentnern insgesamt geführt wird. Sie sind einerseits auf dem Arbeitsmarkt überhaupt nicht mehr vermittelbar, man kann sie mit 45 - oder man schließt sie praktisch aus, der Arbeitsprozess ist geschlossen für sie. Und dann jetzt das Eintrittsalter zum derzeitigen Zeitpunkt erhöhen zu wollen, wäre völlig falsch, das würde diese Menschen sofort in große, riesige Probleme stürzen. Die Diskussion kommt zum falschen Zeitpunkt.

    Spengler: Also Sie sagen, Frauen kriegen mit 45 auch nicht unbedingt eher eine Stelle als mit 52?

    Bauer: Genauso ist es.

    Spengler: Was wünschen Sie sich denn von der Politik?

    Bauer: Wir wünschen uns von der Politik solide Entscheidungen, tragbare, und nicht jedes Jahr eine Jahrhundertreform. Diese Jahrhundertreformdiskussionen verunsichern die Menschen, sie tragen nicht dazu bei, das Vertrauen in die Rentenversicherung zu erhöhen. Die Deutsche Rentenversicherung kann stabilisiert werden, die Politik muss aber dann auch ihren Teil dazu beitragen.

    Spengler: Und es gibt keinen Handlungsbedarf, was die Hinterbliebenenrente angeht?

    Bauer: Derzeit sehen wir keinen Handlungsbedarf in diesem Bereich.

    Spengler: Danke für das Gespräch, das war der Präsident des Sozialverbandes Deutschland, Adolf Bauer.