Donnerstag, 28. März 2024

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"Dann würde es knapp mit dem Öl in der Welt"

Der Ölpreis hat zwar auf die Entwicklung in Libyen reagiert - doch das wahre Problem seien Saudi-Arabien, Katar und andere Länder mit ungleich höheren Ölförder-Quoten, sagt Hans-Werner Sinn - wenn es dort zu ähnlichen Aufständen käme.

Hans-Werner Sinn im Gespräch mit Jürgen Liminski | 28.02.2011
    Jürgen Liminski: Das Schwert ist die Achse der Welt, meinte General de Gaulle, und man möchte hinzufügen, das Öl ist der Schmierstoff dieser Achse. Beides, sicherheitspolitische und wirtschaftliche Interessen, sind heute untrennbar verbunden. Das ist sozusagen an den Zapfsäulen zu beobachten. Obwohl die Lager noch prall gefüllt sind, steigt der Preis, und in den Medien ist von einem neuen Ölschock und einer neuen Ölkrise die Rede. Fackelt in der Wüste Gaddafis ein Teil der Weltkonjunktur ab? Und wenn dem so sein sollte, haben wir dann in Europa noch genügend Geld für eine Fortsetzung der Politik hin zur Transferunion? – Zu diesen Fragen begrüße ich am Telefon den Herrn des Konjunkturbarometers in Deutschland, den Präsidenten des ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts, Professor Hans-Werner Sinn. Guten Morgen, Herr Sinn.

    Hans-Werner Sinn: Guten Morgen.

    Liminski: Herr Sinn, ist die boomende Konjunktur in Gefahr? Droht in der Wüste Gaddafis, ein Teil der Weltkonjunktur abzufackeln? Der Ölexport Libyens ist inzwischen ja zusammengebrochen, und wenn Saudi-Arabien die Lücke nicht füllen würde, wäre der Ölpreis vermutlich längst in die Höhe geschossen.

    Sinn: Ja, aber Saudi-Arabien tut das ja nun mal. Libyen alleine ist noch nicht das Problem. Die haben einen Ausstoß, der ein Fünftel des saudi-arabischen Ausstoßes ist, und es kann also leicht kompensiert werden. Ein Problem wäre es, wenn auch Länder wie Saudi-Arabien, Katar und andere betroffen würden von ähnlichen Aufständen. Dann würde es knapp mit dem Öl in der Welt. Im Moment kann das sehr leicht ausgeglichen werden, indem also anderswo mehr gepumpt wird und auch die Schiffe halt dann einen anderen Weg fahren und Europa dann versorgen. Also Engpässe gibt es nicht. Das Gute ist ja, dass hier der Preismechanismus wirkt, dadurch dass die Preise steigen ein bisschen, kommt es dann gleich dazu, dass etwaige Knappheiten durch ein neues Angebot von anderer Stelle ausgeglichen werden.

    Liminski: Wie lange kann denn Saudi-Arabien diese Lücke füllen? Oder anders gefragt: Was ist, wenn auch die Saudis Probleme bekommen?

    Sinn: Saudi-Arabien kann die Lücke beliebig lange füllen. Die haben ja unermessliche Vorräte. Da geht es ja um Jahrzehnte und nicht um Monate oder Jahre. Natürlich, wenn Saudi-Arabien jetzt auch eine Revolution bekäme, konjunktiv, dann hätten wir ein Problem. Aber ich sehe eigentlich nicht, dass das der Fall ist. Dort geht es den Leuten ja gut, sie haben einen privilegierten Status, die Bürger zahlen keine Steuern, es werden öffentliche Sozialleistungen zur Verfügung gestellt. Also ich glaube, da ist das Potenzial für eine solche Revolution gar nicht da, ganz anders als in den nordafrikanischen Staaten, wo ja die Armut verbreitet ist, zumal jetzt die Nahrungsmittelpreise weltweit wieder gestiegen sind, was mit den steigenden Ölpreisen übrigens auch direkt zu tun hat, denn Öl und Nahrungsmittel sind ja wegen der Ethanol-Produktion zunehmend zu Substituten geworden, die auf denselben Märkten gehandelt werden.

    Liminski: Erwarten Sie nun eine Abschwächung der Konjunktur, vielleicht sogar einen Einbruch?

    Sinn: Nein, das erwarte ich noch nicht. Jetzt müssen wir mal abwarten, wie es wird. Also unsere Konjunktur läuft ja sowieso besonders gut. Das liegt daran, dass durch diese Krise der dramatische Abfluss von Ersparnissen aus Deutschland in die anderen Länder zurückgegangen ist, denn die Anleger, Leute, die Geld haben und rentable Investitionen suchen, die haben mittlerweile Angst bekommen vor so manchen Standorten für ihr Geld, die bislang attraktiv und sicher schienen. Es ist halt nicht mehr alles Gold, was glänzt, das weiß man, und deswegen legt man das Geld zu Hause in Deutschland an, was uns einen wundervollen Investitionsboom gebracht hat letztes Jahr. Die Binnennachfrage schoss hoch und wir hatten ein Wachstum, wie kein anderes europäisches Land ähnlicher Größe.

    Liminski: Wenn nun die Konjunktur trotzdem schwächeln würde – man weiß ja nicht, wie das in der Region weitergeht -, dann ginge uns auch Geld verloren. Können wir uns dann noch teuere Euro-Rettungsschirme leisten?

    Sinn: Die Rettungsschirme, die können wir uns sowieso nicht leisten, die sind schon ziemlich groß dimensioniert. Wir haben ja mit allen Maßnahmen zusammen schon über 920 Milliarden Rettungsschirme, und daran sind die Deutschen doch erheblich beteiligt mit 220 Milliarden, jetzt soll das noch aufgestockt werden, dann sind wir mit etwa 350 Milliarden beteiligt. Also wohin soll das führen? – Wir haben das Geld nicht. Wir haben besonders große demographische Probleme. Wir haben die neuen Bundesländer, die immer noch netto jedes Jahr 60 Milliarden über öffentliche Kassen kosten. Das ist schlicht nicht da und die Leistungsfähigkeit, von der wir uns einbilden, sie sei vorhanden, ist ja auch nicht mehr so stark. Deutschland war, bevor der Euro eingeführt wurde, auf Platz 3 bei der Rangskala der Wirtschaftsleistungen pro Kopf und jetzt sind wir auf Platz 10 in Europa. Wo sind denn die schwachen Länder, die wir stützen müssen? Ist das Irland? Irland hat ein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, das ist 15 Prozent höher als das deutsche. Da zahlt also das ärmere Land an das reichere Land. Irland hätte ohne Weiteres seine Steuern erhöhen können, um seine Probleme selber zu lösen. Die Steuerquote ist um 11 Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts niedriger als die deutsche. Also sagen wir mal, mit 2, 3 Prozentpunkten von diesen 11 hätte man alle Probleme lösen können. Aber es ist natürlich viel schöner, letztlich den deutschen Steuerzahler in die Haftung zu nehmen als den eigenen.

    Liminski: Sie haben schon unabhängig von der arabischen Krise zusammen mit rund 200 Professoren der Volkswirtschaft Widerspruch eingelegt gegen den Plan der europäischen Finanzminister, den Euro-Rettungsschirm auszudehnen und einen dauerhaften Rettungsmechanismus einzurichten. Halten Sie und Ihre Kollegen es für denkbar, dass Deutschland sich ohne die anderen EU-Länder retten kann?

    Sinn: Also wir sind nicht gegen einen dauerhaften Rettungsmechanismus, sondern wir wollen einen Rettungsmechanismus, bei dem auch die Banken und andere Gläubiger der Staaten beteiligt werden, falls hier Hilfen nötig sind. Es kann nicht angehen, dass nur die Steuerzahler allein zur Kasse gebeten werden und die Forderungen der Banken, allen voran der französischen Banken, die ja sehr stark exponiert sind, hier lückenlos bedient werden, sondern jeder muss einen Teil der Lasten tragen. Darum geht es und aus dem Grunde ist es auch nicht erforderlich, die Rettungsschirme zu vergrößern. Die Politik ist mit der Aussage an die Öffentlichkeit getreten, hier stünden nur 250 Milliarden insgesamt über den Luxemburger Fonds zur Verfügung und das sei es dann. Man vergisst dabei aber, dass die EU auch 60 Milliarden an Krediten vergeben kann. Das wurde im Mai letzten Jahres beschlossen. Man vergisst, dass 250 Milliarden als Potenzial vom IWF zur Verfügung stehen. Kurz und gut: Insgesamt stehen 560 Milliarden Euro zur Verfügung und etwa nur 430 Milliarden beträgt der Bedarf der kritischen Länder Portugal, Spanien und Irland in den nächsten drei Jahren. Griechenland hat ja sein eigenes Paket. Und um diesen Bedarf geht es. Also es geht um den Bedarf für die Refinanzierung der fällig werdenden Staatsschuld und dann auch um eine Netto-Neuverschuldung. Wenn man also 3 Prozent Netto-Neuverschuldung diesen Ländern zubilligt noch, dann sind das gerade mal 430 Milliarden und damit 130 Milliarden weniger, als dieser Tripple-A-gesicherte Rettungsschirm da ist. Es kann gar nicht die Rede davon sein, dass nur 250 Milliarden da wären. Irgendwer wird da für dumm verkauft.

    Liminski: Irgendjemand wird für dumm verkauft. Wer ist das? Der Steuerzahler?

    Sinn: Der Steuerzahler wird hier wohl für dumm verkauft, insbesondere der deutsche.

    Liminski: Nun hat die Politik der Europäer die Banken in Krisenzeiten immer geschont und eben diesen Steuerzahler zur Kasse gebeten. Meinen Sie, dass sich das ändert durch das Memorandum?

    Sinn: Ich befürchte, dass die Politik sich über die Fachmeinung der Volkswirte hinwegsetzt. Da ist ja dieses Ökonomenparlament gegründet worden und da wird abgestimmt regelrecht über politische Positionen, nicht weil wir glauben, dass das die wissenschaftliche Argumentation ersetzt, sondern weil in der Öffentlichkeit immer wieder der Eindruck erweckt wird, als sei die Wissenschaft gespalten. Da sind 90 Prozent der Fachökonomen einer bestimmten Meinung, 10 Prozent oder 5 Prozent sind einer anderen Meinung, die Presse pickt diese 5 Prozent, pickt einen aus den 5 Prozent heraus und präsentiert den als Gegenmeinung so, dass die Bevölkerung den Eindruck kriegt, die Ökonomen sind sich gar nicht einig und die Wahrheit müsse irgendwo in der Mitte liegen. Damit dieses Spiel einmal zu Ende ist, wurde dieses Ökonomenparlament gegründet in Hamburg, und ich finde das sehr sinnvoll. Ich bin ja nicht der Organisator, ich bin nur einer von den vielen, die ebenfalls da mit abgestimmt haben.

    Liminski: In der Wirtschaftswoche schreiben Sie, dass die Haftung Deutschlands für die Euro-Schuldenländer rasant steige, dass der Maastrichter Vertrag passee sei und dass sich Deutschland auf Schleuderkurs befinde. Haben Sie die Idee Europa und den Euro aufgegeben?

    Sinn: Überhaupt nicht! Ich bin also nach wie vor der Meinung, dass der Euro unverzichtbar ist für Europa, einerseits aus politischen Gründen, aber auch ökonomischen. Es ist einfach sinnvoll, eine Währungsunion in Europa zu machen. Nur braucht diese Währungsunion Spielregeln, und diese Spielregeln können nicht darin bestehen, dass dann das gesunde Land für die Länder, die sich übernommen haben, die über ihre Verhältnisse gelebt haben, dauerhaft zahlt. In Griechenland ist die gesamtwirtschaftliche Sparquote minus 12 Prozent. Das heißt, der Konsum der Leute und des Staates zusammen übersteigt die eigene Wirtschaftsleistung um 12 Prozent. Und deswegen haben die ein riesiges Außenhandelsdefizit, was bislang durch Kredite finanziert wurde. Diese Kredite kommen nicht mehr, jedenfalls nicht von den Märkten, und jetzt soll also auf politischem Wege der Kredit wieder zur Verfügung gestellt werden. Letztlich werden die Griechen nicht in der Lage sein zu bezahlen. Wir haben unsere Altersvorsorge hier auf dem Spiel. Die Deutschen bringen ihr Geld zur Sparkasse, zur Versicherungsgesellschaft, die investieren in die Staatspapiere der südlichen Länder in der Hoffnung, dass in 20 Jahren, wenn also wir die demographische Krise haben, das Geld zurückkommt und man davon leben kann. Aber ich vermute, dass manche dieser Länder gar nicht daran denken werden zu zahlen.

    Liminski: Die arabische Krise, die Konjunktur und Europas Schulden. Das war hier im Deutschlandfunk der Präsident des ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts, Professor Hans-Werner Sinn. Besten Dank für das Gespräch, Herr Sinn.

    Sinn: Gerne.

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