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"Daran wird sich die Qualität der großen Koalition entscheiden"

Zu Beginn der Verhandlungen über die Reform des Gesundheitswesens hat sich der SPD-Politiker Karl Lauterbach noch einmal nachdrücklich für die Einführung eines Solidarbeitrags ausgesprochen. Er plädierte außerdem erneut dafür, alle Bürger in die Solidargemeinschaft einzubeziehen. Es sei nicht gerecht, dass nur die Mitglieder der gesetzlichen Kassen für die Unterhaltung Älterer, schwer Kranker oder Behinderter aufkommen müssten. An der Lösung dieser Probleme werde sich die Qualität der Großen Koalition entscheiden.

Moderation: Silvia Engels | 28.03.2006
    Silvia Engels: Die Landtagswahlen sind vorbei. Nun verspricht Bundeskanzlerin Angela Merkel - Zitat - "harte Arbeitswochen für die große Koalition in Berlin". Ein zentrales Thema: die Gesundheitsreform. In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich SPD und Union nicht auf ein gemeinsames Konzept verständigen können. Offiziell stehen sich also immer noch das sozialdemokratische Konzept der Bürgerversicherung und die Unionsidee der Kopfpauschale beziehungsweise Gesundheitsprämie unversöhnlich gegenüber. Doch hinter den Kulissen wird bereits nach Kompromissen gesucht. Gestern war dazu Gesundheitsministerin Ulla Schmidt bei der Kanzlerin.

    Am Telefon ist nun der langjährige Berater von Ulla Schmidt und gesundheitspolitische Experte der SPD-Fraktion Karl Lauterbach. Guten Morgen!

    Karl Lauterbach: Guten Morgen!

    Engels: Herr Lauterbach, im letzten Wahlkampf haben wir ja gelernt. Das Konzept der Bürgerversicherung, also eine Ausweitung der Bemessungsgrundlage des Krankenkassenbeitrages auch auf Kapitaleinkünfte, ist unvereinbar mit der Vorstellung der Kopfpauschale, wo jeder den gleichen Absolutbetrag für die Gesundheitsversorgung zahlt. Wollen Sie uns nun beibringen, dass die beiden Modelle doch zusammen passen?

    Lauterbach: Die Modelle sind kombinierbar. Es gibt Kombinationen, die besonders schlecht sind, also schlechter sind als die Originale, und es gibt Kombinationen, die funktionieren. Ich nenne mal die schlechtestmögliche Kombination. Das ist eine kleine Kopfpauschale für beispielsweise 10, 15 Prozent der gesamten Ausgaben. Dann habe ich die gesamte Bürokratie, also 100 Prozent Bürokratie, für einen kleinen Teil des Geldes. Das wäre natürlich eine schlechte Kombination.

    Andere Kombinationen funktionieren besser, beispielsweise indem ich den Gedanken der Kopfpauschale aufgreife und mehr Steuergelder ins System bringe, beispielsweise indem die Finanzierung der Kinderversorgung über Steuern bezahlt wird. Ich lasse es aber sonst bei einkommensabhängigen Beiträgen. Dann habe ich mehr Steuermittel im System, entlaste also den Faktor Arbeit, bleibe aber trotzdem innerhalb eines gerechten Solidarsystems, wie die Bevölkerung es auch wünscht.

    Engels: Das heißt Sie unterstützen den so genannten Kinder-Solidaritätszuschlag, den die Union vorschlägt und der beinhaltet, dass die bisher kostenlose Mitversicherung von Kindern in der gesetzlichen Krankenkasse über einen Aufschlag auf die Einkommenssteuer finanziert werden soll. Da schreit nun Ihre Partei auf. Der haushaltspolitische Sprecher Ihrer Fraktion Carsten Schneider warnt vor neuen Steuererhöhungen und er ist nicht allein, denn das bedrohe Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. Was haben Sie dem entgegenzusetzen?

    Lauterbach: Es ist ein Teil der Berufsehre der Haushaltspolitiker, dass sie immer Steuererhöhungen ablehnen. Die Wahrheit ist aber die: Wir haben nun gerade die Einkommensstarken steuerlich in den letzten Jahren ständig entlastet und es sind keine Arbeitsplätze entstanden. Im Gegenteil: Es sind Arbeitsplätze verloren gegangen, weil die Abgaben auf Arbeit so hoch waren. Daher ist es ökonomisch unumstritten, dass wir die Abgabenlast auf den Faktor Arbeit, beispielsweise die Beitragssätze für die Krankenversicherung, stabilisieren müssen und mehr Steuermittel in das System bringen müssen. Das hat zum Beispiel zur Folge, dass wir eine Art Umverteilung bekämen auch zu Lasten derer, die sich jetzt an der Finanzierung des Systems gar nicht beteiligen, also die gut Verdienenden, die privat versichert sind, ein Teil der Beamten. Das wäre sowohl gerecht als auch gut für den Arbeitsmarkt.

    Ich gebe allerdings den Haushaltspolitikern Recht: Das kann nicht die alleinige Reform sein. Dabei können wir es nicht belassen. Wir sollten zusätzlich die Abwanderung der gesunden und gut Verdienenden in die private Krankenversicherung entweder ein Stück schwerer machen oder dafür sorgen, dass sie wenigstens sich beteiligen am Finanzausgleich der Krankenkassen, denn es kann nicht angehen, dass nur die gesetzlich Versicherten die volle Last der Finanzierung der Krankenversicherung, der Einkommensschwachen, der Sozialhilfeempfänger und auch der behinderten Menschen übernehmen, derweil die privat Versicherten sich daran nicht beteiligen. Und wir brauchen eine Strukturreform. Wir können nicht immer mehr Geld in dieses System einbringen, ohne dass wir die Strukturen effizienter machen. Wir haben nach wie vor gravierende Qualitätsprobleme auch im System.

    Engels: Das wäre meine nächste Frage gewesen. Da ist ja die CDU recht nah bei der SPD. Es soll offenbar mehr Geld in das Gesundheitssystem, aber wo genau soll denn jetzt auf der anderen Seite auch gespart werden?

    Lauterbach: Ich persönlich bin davon überzeugt, dass unsere größte Einzelkomponente fürs Sparen die ist: Wir halten die Facharztstruktur doppelt vor. Wir haben die Fachärzte im Krankenhaus und in der niedergelassenen Praxis, und zwar in einer Anzahl, wie sich dies nebeneinander kein zweites europäisches Land leisten kann. Das führt dazu, dass die Krankenhausfachärzte oft den Patienten in die Klinik aufnehmen müssen, also stationär, nur um ihn behandeln zu können.

    Krankenhausfachärzte dürfen die ambulante Versorgung von Kassenpatienten nicht vornehmen. Sie müssen den Patienten ins Krankenhaus aufnehmen. Das ist eine sehr teuere und auch für den Patienten nicht ungefährliche Struktur, die im Ausland überwunden ist. Dagegen wehren sich in Deutschland die Kassenärztlichen Vereinigungen und ich glaube, dass man hier den größten Einzelposten hat, wo wir sparen können bei gleichzeitiger Verbesserung der Qualität. Es ist also noch nicht einmal ein Sparen mit Qualitätseinbuße, sondern die Qualität würde besser und das System würde mittelfristig bis zu 10 Milliarden billiger sein, wenn man das richtig umsetzt.

    Engels: Kommen wir noch einmal auf mögliche Kompromisslinien in der Gesundheitspolitik zu sprechen. Aus den Konzepten der Union ist auch herausgedrungen, dass künftig der Arbeitgeberbeitrag in der Krankenversicherung eingefroren werden soll. Damit wäre die paritätische Finanzierung dahin. Künftige Kostensteigerungen müssten allein vom Arbeitnehmer bezahlt werden. Ihr Parteichef Matthias Platzeck ist dagegen, ebenso wie Bürgermeister Wowereit aus Berlin. Was sagen Sie, Herr Lauterbach?

    Lauterbach: Da kann ich mich Platzeck und Wowereit nur anschließen. Wenn die Kosten weiter steigen, das muss aber allein vom Arbeitnehmer bezahlt werden, dann ist das natürlich schwierig, die Arbeitgeberbank zu gewinnen, Strukturreformen umzusetzen. Wenn wir zum Beispiel die doppelte Facharztstruktur aufheben wollen und die Kassenärztlichen Vereinigungen lehnen das ab, dann brauchen wir die Arbeitgeberbank auch, um den politischen Druck aufzubauen. Wenn für die Arbeitgeber keine Kostenbeteiligung mehr da ist, dann wird sie uns hier nicht helfen wollen.

    Es ist im Übrigen auch so: Aus der Sicht der Arbeitnehmer steigen die Beiträge dann ja doppelt so schnell, denn er muss die komplette Kostenerweiterung bezahlen, in der Vergangenheit nur die Hälfte. Die andere Hälfte bezahlte der Arbeitgeber. Das bedeutet vom Brutto bleibt immer weniger netto übrig. Jede Kostensteigerung im Gesundheitssystem kompensiert dann den Reallohnzuwachs. Das ist natürlich für die Nachfrage in unserer Wirtschaft schlecht und würde gerade in den neuen Bundesländern wie eine Wachstumsbremse wirken.

    Engels: Aber es würde natürlich dem Anliegen, das die Union vorantreibt, entgegenkommen, nämlich die berühmten Lohnzusatzkosten zu senken?

    Lauterbach: Dafür will die Union doch Steuergelder, also den Gesundheits-Soli zur Finanzierung der Kinder, einführen. Das ist auch der bessere Weg. Hier widerspricht die Union sich ein bisschen selbst. Wenn ich Steuermittel ins System bringe und damit die Kinderversorgung bezahle, was ich für richtig halte, dann wird der Faktor Arbeit entlastet. Das ist der richtige Weg. Der Faktor Arbeit wird nicht entlastet, nur indem die Arbeitgeber weniger zahlen, die Arbeitnehmer aber umso mehr. Es bleibt dann auf der Arbeit hängen und es ist nur eine Umverteilung: höhere Gewinne, niedrigere Nettoeinkünfte. Das ist das schlechteste, was wir derzeit machen könnten, für die Binnenkonjunktur.

    Engels: Herr Lauterbach, wir waren jetzt gerade auf der Fachebene. Daneben gibt es aber auch noch die politische Ebene. Der Einigungsdruck in dieser Gesundheitsfrage ist ja für die Koalition enorm groß, denn man muss etwas tun. Sonst drohen ohnehin neue Beitragserhöhungen, vielleicht noch in dieser Legislaturperiode. Fürchten Sie denn als Experte vom Fach, dass am Ende, wenn SPD und Union sich bei diesen doch sehr verschiedenen Vorstellungen zusammenraufen sollten, ein politischer Kompromiss steht, der in der Sache völlig unpraktisch ist?

    Lauterbach: Das wäre wirklich eine Katastrophe. Wir haben im nächsten Jahr wahrscheinlich Mehrbelastungen für die gesetzliche Krankenversicherung von etwa sieben Milliarden Euro zu erwarten. Wenn die Ärzte sich auch nur teilweise mit ihren Einkommensforderungen durchsetzen - die wollen ja 30 Prozent mehr Einkommen -, dann haben wir zehn Milliarden zu schultern. Wenn die Reform nicht funktioniert, dann kann ich den Kompromiss politisch loben wie ich will; dann wird diese Belastung nicht aufgefangen. Das würde jeder potenzielle Wähler im Jahr 2007 schon bemerken. Wir brauchen somit einen funktionierenden Kompromiss und daran wird sich auch die Qualität der großen Koalition entscheiden und das Geschick von Frau Merkel. Wenn es ein Formelkompromiss ist, dann wird der im Jahr 2007 schon entlarvt werden.

    Engels: Karl Lauterbach war das, der SPD-Gesundheitsexperte. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Lauterbach: Ich danke Ihnen!