Lange: Frau Mascher, es gab durchaus skeptische Stimmen, die die Erfolgsaussichten dieses Versuchs, zum Rentenkonsens zu kommen, sehr niedrig ansetzten. Wie optimistisch oder wie pessimistisch darf man denn nach den gestrigen Gesprächen sein?
Mascher: Also ich denke, man kann insoweit optimistisch sein, als sich alle ganz deutlich und erkennbar um einen Konsens bemüht haben. Wir haben uns auf ein Arbeitsprogramm verständigt, wir haben vier weitere Termine bis Mitte März vereinbart und wir sind uns alle aber auch bewusst, dass der Teufel natürlich im Detail steckt.
Lange: Es gibt ja nun eine Reihe von Punkten, bei denen sich die Parteien gar nicht so fern sind: Bei der Neuordnung der Invalidenrenten oder in der Frage, wie Zeiten der Kindererziehung stärker gewichtet werden. Was sind denn die Punkte, bei denen es mit der Einigung wirklich schwierig wird?
Mascher: Wir werden uns als erstes uns mal darüber verständigen, wie wir die Situation bis 2030 einschätzen, was wir hier für notwendig halten. Dann werden wir die Punkte, von denen Sie gerade gesprochen haben, verhandeln. Und ich denke, es wird in der Tat die entscheidende Frage sein, wie wir einen stabilen Beitragssatz auf der einen Seite - und ein ausreichendes Niveau in der Rentenversicherung, um den Lebensstandard alter Menschen abzusichern, wie wir das in eine Balance kriegen.
Lange: Eines der Stichworte ist ja immer das der Generationengerechtigkeit. Gibt es denn eine gemeinsame Anschauung davon, was erfüllt sein muss, damit Generationengerechtigkeit herrscht?
Mascher: Ich denke, alle sind sich darüber einig, dass Generationengerechtigkeit bedeutet, dass wir künftige Generationen nicht mit einem ständig steigenden Beitragssatz belasten können, dass wir andererseits aber auch dafür sorgen müssen, dass die künftigen Generationen auch ausreichende Renten bekommen. Und das genau ist das Spannungsverhältnis, über das wir wahrscheinlich sehr intensiv diskutieren werden.
Lange: Das heißt, das ist auch noch nicht zwischen den Parteien klar definiert?
Mascher: Also, das nach drei Stunden Beratung gestern - das wäre zuviel verlangt.
Lange: In einem Punkt liegen Sie ja auch mit dem Koalitionspartner über Kreuz - Stichpunkt ‚demografischer Faktor'. Kann man wirklich ohne weiteres jetzt nach zwei Jahren dann zur Nettolohnbindung zurückkehren?
Mascher: Herr Lange, wir kommen nicht ohne weiteres nach zwei Jahren zu den Grundsätzen der Nettolohnentwicklung - oder der Anpassung entsprechend der Nettolohnentwicklung - zurück, weil diese Anpassung, die wir jetzt zwei Jahre haben entsprechend der Preissteigerungsrate, die wird ja nicht mehr aufgerollt. Das ist ein Basiseffekt, der sich also auch bis 2015/2020 durch die Rentenberechnung durchzieht. Also es ist nicht so: Wir machen zwei Jahre jetzt Anpassung entsprechend der Preissteigerungsrate - und das war's dann, sondern das hat eine sehr langfristige Wirkung, was die Stabilisierung des Beitragssatzes betrifft. Und worüber wir diskutieren müssen, das ist, wie lange dieser Basiseffekt trägt. Ich habe schon Zahlen genannt: 2017/2020, und was wir dann machen müssen, das ist der Punkt, über den wir sehr intensiv diskutieren müssen.
Lange: Aber dann stehen Sie doch möglicherweise immer wieder vor dem Problem, dass höhere Nettoeinkommen, zum Beispiel als Folge von Steuerreformen, zu überdurchschnittlichen Rentensteigerungen führen.
Mascher: Nun, die Frage ist: Was sind ‚überdurchschnittliche Rentensteigerungen'. Sie führen in der Tat zu Rentensteigerungen. Auf der anderen Seite haben wir zum Beispiel Entwicklungen, dass Familienleistungen wie das Kindergeld - jetzt auf Grund einer Veränderung der Europäischen Statistikverordnung - nicht mehr in die Basis der Berechnungen der Rentenanpassungen eingehen, weil sie nicht mehr zum Nettoeinkommen gerechnet werden, sondern als Sozialtransferleistungen rausgenommen werden. Also, da hat sich eine Veränderung ergeben, die dämpfend auf das Ansteigen der Beitragssätze schon wirkt.
Lange: Verstehen wir denn Walter Riester richtig, dass er so einen demografischen Faktor am Ende dann doch mittragen würde, wenn ihn die anderen Parteien alle wollen?
Mascher: Walter Riester hat eben erklärt, dass diese zwei Jahre Preissteigerungs-anpassung entsprechend der Preissteigerungsrate einen sehr langfristigen Effekt habe - das habe ich gerade versucht, kurz zu erklären, und dass wir darüber diskutieren müssen, was passiert, wenn dieser Effekt sich abschwächt und wir wieder Beitragssatz-Steigerungen über 20 Prozent hinaus bekommen. Wir haben jetzt einen Konsens - glaube ich - zwischen allen Parteien, dass wir Beitragssätze, die also hier 24,26,26 Prozent - wie die früheren Prognosen gesagt haben - , dass wir die alle miteinander nicht für generationengerecht oder für sozialverträglich halten.
Lange: Frau Mascher, von Seiten der Wirtschaft ist in den letzten Tagen wieder gefordert worden, die gesetzlichen Renten langfristig auf eine Basisversorgung zurückzuführen und alles andere der privaten Altersvorsorge zu überlassen. Wie stehen denn nach Ihrem Eindruck die Oppositionsparteien zu solchen Forderungen? Spielen die in den Gesprächen jetzt eine Rolle?
Mascher: Also, sie haben gestern keine Rolle gespielt. Bei der CDU/CSU spielen sie auch - was die Mehrheitsmeinung von CDU/CSU betrifft, insbesondere auch bei der CSU - keine Rolle. Bei der FDP gibt es Äußerungen in diese Richtung.
Lange: Die CSU hat für die private Zusatzversorgung eine ‚Teilkapitalisierung' ins Gespräch gebracht. Welche Chancen geben Sie diesem Modell?
Mascher: Das ist das, was der Arbeitsminister insbesondere mit dem Aufbau einer zusätzlichen kapitalgedeckten Altersvorsorge will, wo er sich ja auch in der SPD sehr engagiert hat und auch durchgesetzt hat. Die Frage wird sein, wieviele Mittel wir zur Verfügung haben, um dann für diejenigen, die wenig Einkommen haben, für junge Familien, die ganz knapp mit ihren Finanzmitteln sind, wie wir das fördern können, und denen das auch ermöglichen, die das bisher nicht machen konnten.
Lange: Aber nach dem Modell der CSU sollte es ja so laufen, dass ein Teil der jetzigen Rentenbeiträge sozusagen umgewidmet wird in eine Kapitalansparform
Mascher: Das ist genau der Teufel, der da im Detail steckt. Das würde ja auf der anderen Seite bedeuten, dass die Einnahmen in der Rentenversicherung zurückgehen. Und wenn wir die Rentenleistungen dann nicht kürzen wollen, müssten wir höhere Beiträge nehmen. Das kann nicht der Sinn der Veranstaltung sein. Das wird also ein Punkt sein, wo wir bei Einigung über das Ziel - wir wollen eine Ergänzung durch eine kapitalgedeckte zusätzliche Altersvorsorge - über das Detail, wie wir dahinkommen, sicher uns heftig auseinandersetzen werden.
Lange: Nach den ursprünglichen Vorstellungen von Walter Riester sollte diese private Zusatzvorsorge ja obligatorisch sein, also verpflichtend für alle. Dafür haben sich inzwischen auch andere Parteien erwärmt. Riester hat aber inzwischen gesagt, man will das fördern, dass das passiert. Wo ist die Position im Moment?
Mascher: Also, die SPD-Fraktion und auch die Grünen haben sich dafür entschieden, dass es auf freiwilliger Basis geschehen soll, dass man Förderungen auch über Tarifverträge anstrebt, dass man untere Einkommen mit einer Prämie von 250 Mark im Jahr fördern will. Aber ich denke, das wird ein Punkt sein, wo wir mit den anderen Fraktionen diskutieren, und ich finde das spannend, dass sehr viele Stimmen jetzt eher in Richtung einer verpflichtenden, einer obligatorischen Regelung gehen. Möglicherweise wird das ein Ergebnis sein.
Lange: Zur Zeit gehen ja die meisten Menschen de facto weit vor 65 in Rente, und ältere Arbeitslose haben praktisch keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt. Wenn man von dem Ziel ausgeht, den Rentenbeitrag bei 19 Prozent zu halten: Welches Renteneintrittsalter würde denn dann die Versicherung verkraften?
Mascher: Ich denke, wir sollten jetzt nicht - weil wir ja in den nächsten 5 Jahren eine Anhebung des gesetzlich geregelten Rentenalters haben - darüber spekulieren, ob wir diese gesetzliche Grenze weiter anheben, sondern wir sollten alle Anstrengungen darauf richten, dass die Menschen innerhalb dieser gesetzlich geregelten Grenzen in Rente gehen - und nicht unter 60 Jahren, wie im Durchschnitt heute der reale Rentenzugang ist. Da braucht man weniger gesetzliche Regelungen als eine Veränderung in der betrieblichen Praxis der Beschäftigung, der Qualifizierung der älteren Arbeitnehmer, der Arbeitsorganisation, der Arbeitszeit. Sie sehen, da ist eine Menge zu leisten, und ich hoffe, dass - wenn wir aufgrund der Veränderung der Altersstruktur auch eine Veränderung der Nachfrage nach Arbeitskräften bekommen, wenn nämlich ältere Arbeitnehmer wieder wertvolle Arbeitskräfte werden - dass wir hier auch zu einem anderen - ganz realen - Rentenzugangsalter kommen. Aber da müssen wir uns alle miteinander ganz erheblich anstrengen.
Lange: Nun steht ja immer noch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus, nämlich zu der Frage, ob Renten - wie Pensionen - versteuert werden müssen. Das könnte doch zur Folge haben, dass ein erreichter Kompromiss nochmal völlig neu verhandelt werden müsste?
Mascher: Das ist etwas, dessen sind wir uns sehr bewusst, dass das Auswirkungen haben kann auf die Nettoanpassung, auf die Formel. Und wir haben deswegen uns auch darüber verständigt, dass wir die endgültigen Entscheidungen wie die zukünftigen Rentenanpassungen nach dem 1. Juli 2002 erfolgen sollten, an das Ende unserer Arbeitsplanung gesetzt haben. Möglicherweise wissen wir dann schon mehr über die Ergebnisse des Bundesverfassungsgerichtes.
Lange: Wie groß ist der Zeitdruck für eine Einigung jetzt?
Mascher: Wir wollen uns in diesem Jahr über alle diese sieben Punkte, die wir uns vorgenommen haben, verständigen.
Lange: Ulrike Mascher war das, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium zu dem gestrigen Rentengespräch. Ich danke Ihnen für das Gespräch; auf Wiederhören.
Mascher: Vielen Dank, Herr Lange.
Link: (Hermann Kues zur Rentenpolitik der CDU (20.1.2000)==>/cgi-bin/es/neu-interview/528.html)