Donnerstag, 25. April 2024

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Das Amt des Bundespräsidenten
"Rücktritt schafft Destabilisierung"

Der Historiker Achatz von Müller sieht das Amt des Bundespräsidenten in einem Spannungsverhältnis zwischen althergebrachter "mystischer Würde" und "Verbürgerlichung". Die Möglichkeit des Rücktritts vom Amt im modernen Staat führe zu Legitimitätsproblemen des Präsidenten, so der Mittelalter-Spezialist im DLF.

19.03.2017
    Bei strahlendem Sonnenschein und Temperaturen um neun Grad Celsius weht am 26.02.2015 auf dem Schloss Bellevue in Berlin die Dienstflagge des Bundespräsidenten, die sich farbenprächtig vor dem blauen Himmel abhebt.
    Flagge des Bundespräsidenten vor blauem Himmel (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    Michael Köhler: "Equal goes it loose" soll Bundespräsident Heinrich Lübke 1965 zu Queen Elizabeth in Schloss Brühl gesagt haben. Es gab peinliche, vielleicht, und volkstümliche Bundespräsidenten. Den singenden Walter Scheel und den Skat spielenden Johannes Rau. Es gab aristokratische, hemdsärmelige und, sagen wir, etwas andere Bundespräsidenten. Am vergangenen Freitag ist Joachim Gauck mit großem Zapfenstreich und einigen persönlichen Musikstücken verabschiedet worden. Wie unterscheidet sich ein moderner Bundespräsident von einem mittelalterlichen Herrscher. Wie repräsentiert, wie inkorporiert er den modernen Staat? Das haben wir Achatz von Müller gefragt. Er ist Professor für mittelalterliche Geschichte und Ideenhistoriker. Ihn habe ich gefragt: Es besteht Einigkeit darüber , dass Joachim Gauck dem Amt in schwieriger Zeit Würde zurückgegeben hat. Aber wie kann ein Mann den Staat repräsentieren?
    Achatz von Müller: Ja, das ist in der Tat natürlich eine mittelalterliche Tradition, oder, besser gesagt, es ist eine mittelalterliche Erfindung, die auf eine Usurpation allerdings noch älterer Art zurückgreift, nämlich bis in die Antiken - großes Thema insbesondere natürlich das Imperium Romanum -, aber neu entwickelt werden muss. Und das ist eigentlich, glaube ich, entscheidend, dass es nicht selbstverständlich einen Staat gab im Mittelalter, sondern der auch erst entwickelt und erfunden werden musste. Und auf der anderen Seite auch jemand da sein musste, der dann auch der Staat sein konnte, wenn dieser Staat eigentlich sozusagen nur noch ein Rumpfkörper war. Das ist entscheidend, dass es so jemanden geben musste. Und das ist dann der Monarch, und der konnte sich wiederum auf Gottes Willen zurückberufen, gleichsam auch zurückführen, und auf antike, christliche antike Vorstellungen von der Notwendigkeit, den Staat mit Gott zu verbinden. Und d ieses Ding, diese Tradition einer Unverweslichkeit des Staates bleibt einem bestimmten Menschen, dem Monarchen oder auch dem Ersatzmonarchen, wie ja auch der Reichspräsident der Weimarer Republik genannt wurde, dann haften. Und von diesem hat es sich dann auch wiederum, bei allen Einschränkungen, doch noch dann dem Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland mitgeteilt.
    "Verbürgerlichung des Repräsentationsamtes"
    Köhler: Sie machen es mir leicht, weil sie gleich ins Große ausgreifen und vom Gottherrscher quasi reden. Nun hat der moderne Staat, wie wir ihn kennen in der Moderne, er hat die Macht, die von wenigen ausging, in Recht transformiert, also Recht, das allen zusteht, in gewisser Hinsicht entpersönlicht, säkularisiert. Wir sprechen deshalb auch umgangssprachlich gerne vom "Bürger Gauck". Ist das Amt säkularisiert worden im Laufe seiner Geschichte?
    Müller: Ja, das sicher. Das ganz gewiss. Der Machtverlust und zur gleichen Zeit Bedeutungsverlust, den die Monarchien im Laufe des 19. Jahrhunderts einbüßen und am Ende dann schließlich in den, man kann ja sagen, wirklich revolutionären politischen Bewegungen in der Folge des Ersten Weltkrieges eigentlich all überall erleiden, insbesondere aber natürlich Deutschland und Österreich als Verlierer des Weltkrieges - dieser Machtverlust und Bedeutungsverlust leitet zu gleicher Zeit auch eine Verbürgerlichung des Repräsentationsamtes ein. Mit dem Versuch natürlich, die – ich sage es mal so, wie es eigentlich auch zu verstehen ist – mystische Würde, die diesem Amt ursprünglich zukam, in dieser Rolle auch noch weiter zu bewahren. Und das ist irgendwie auch ein Purzelbaum. Das ist ein schwieriger Akt und der gelingt ja auch nicht ganz immer und führt dann auch zu Legitimitätszweifeln.
    Köhler: Der Verfassungsstaat der Moderne, er kennt keine vorrechtlichen oder außerrechtlichen Herrschaftssubjekte. Etwas einfacher gesagt: Da ist für Kaiser, König oder Gott kein Platz. Heißt das, wenn ich mir angucke, dass Papst Benedikt es fertig bringt, vom Amt zurückzutreten, wenn ich mir angucke, dass wir zwei zurückgetretene Bundespräsidenten hatten, wenn ich mir angucke, dass beim Zapfenstreich persönliche Schlager gespielt werden von der Bundeswehr, ist das dann ein Vorgang der Versubjektivierung des Amtes?
    Müller: Ja, das ganz gewiss, bis hin zur auch Problematisierung des Amtes. Ich denke, der Bundespräsident hat durchaus die Möglichkeit, zurückzutreten. Es ist auch schwierig, ihn tatsächlich zurücktreten zu lassen. Von daher ist das so ein Spiel zwischen den legitimen Kräften eines modernen Staates. Bei den Bundespräsidenten ist es ja wirklich so, bei den zurückgetretenen Bundespräsidenten ist es so, dass es durchaus leichte Erschütterungen gab, die die Frage auch aufwarfen, ist der Bundespräsident überhaupt eine notwendige Figur, brauchen wir ihn wirklich. Dieses Zurücktreten aus dem Amt schafft auch so etwas wie eine mögliche Destabilisierung. So ganz unproblematisch finde ich es nicht. Es bleibt dann die Kalkulation auf die Sympathie, die dieser Schritt erweckt - und das ist ja auch in der Tat der Fall, das haben Sie richtig charakterisiert -, und das rettet es dann.
    "Unverwesliche Körper - Staat und dauernder Monarch"
    Köhler: Wir haben Sie eingeladen nicht nur als Mittelalter-Historiker, sondern auch als Herausgeber eines Buches, das im letzten Jahr erschienen ist, über Ernst Kantorowicz, einem wichtigen Historiker, der vor genau 60 Jahren ein wichtiges Buch geschrieben hat über die zwei Körper des Königs. Und aus der mittelalterlichen Vorstellung eines natürlichen, sterblichen Körpers und eines übernatürlichen, unsterblichen Königkörpers die Entstehungsgeschichte des modernen Staates entwickelt hat. Ist das so eine historische Last, die immer noch ein bisschen mitschwingt, von der wir aber nicht so richtig wissen, was wir damit machen sollen?
    Müller: Ja, das ganz gewiss. Ich hatte das ganz am Anfang schon ein bisschen angerissen. Es ist tatsächlich so, dass der Staat ein Körper ist, der in dauernder Gefahr eigentlich seiner Selbstauflösung steht, und zu gleicher Zeit ein zweiter Körper, nämlich derjenige, der ihn repräsentiert, ihn dauerhaft gleichsam mit zu schützen und darzustellen versucht. Das ist eine Interaktion von zwei Körpern. Beide Körper bedingen sich eigentlich, wobei Kantorowicz mit dem zweiten Körper eigentlich gar nicht so sehr den Staatskörper meinte, sondern glaubte, der Königskörper repräsentiert den Staatskörper und verbindet sich mit ihm unauflöslich, sondern eher den sterblichen Körper der jeweiligen Person meinte. Und da sind wir wieder bei diesem Problem des Zurücktretens oder nicht Zurücktretens und der leichten Destabilisierungsrolle, die das hat. Denn es gibt einfach einen Moment – und das hat Kantorowicz sehr, sehr gut erkannt -, es gibt einen Moment, in dem beide unverweslichen Körper, also Staat und der dauernde Monarch, in Gefahr sind, nämlich dann, wenn dieser Monarch selbst zum Tode ereilt wird oder abgelöst wird. Und da darauf zu bestehen, dass dieser Amtskörper weiterlebt, ist ein gleichsam ganz plausibles Moment des Erhaltes von Staat und Repräsentanten. Darum ging es den Juristen, die diese Zweikörperlichkeit erfunden haben, und eigentlich sprechen wir genau genommen von drei Körpern: dem unverweslichen Staatskörper, dem unverweslichen Monarchenkörper und dem verweslichen Monarchen- oder Repräsentationskörper der Person, die den Staat darstellt.
    Köhler: Wer jetzt aufmerksam zugehört hat, hat natürlich gemerkt, dass wir etwas vermieden oder vergessen haben, nämlich die Frauen oder die Ehefrauen. Über die First Ladys wäre auch noch mal separat zu verhandeln, inwieweit die staatsrechtlich wichtig sind oder ins Gewicht fallen. Wenn wir uns einig sind, dass die Moderne im Zeichen der individuellen Freiheit steht, dass Sie und ich frei sind, ihr Leben zu führen, frei sind von Fesseln der Fremdbestimmung, wenn wir sagen, okay, das ist Kennzeichen der Moderne, dann erwachsen daraus aber auch Bindungsprobleme. Je subjektiver die Amtsführung wird, desto loyalitätsärmer könnten ja auch die Bürger werden, oder?
    Müller: Das ist richtig. Das ist richtig. Lassen Sie mich noch ein kurzes Wort auf die Frauen werfen. Mit Elizabeth I., und im Augenblick ihrer Namensnachfolgerin Elizabeth II., haben wir natürlich in der Tat nicht nur Gattinnen, sondern wirkliche Amtskörperträgerinnen vor Augen, die absolut in der Lage sind, diesen zweiten Körper und den ersten Körper zugleich darzustellen. Und das war eine ganz großartige Leistung der englischen Monarchie, dieses auf die Frauen übertragen zu können, auch wenn Elizabeth I., wohl gemerkt, als Monarch signiert und beurkundet hat, also eigentlich als männlicher Körper sich dargestellt hat. Aber dass sie eine Frau war und zu gleicher Zeit sein wollte und musste, das konnte nicht bezweifelt werden. Da haben wir schon einen interessanten Punkt. Das heißt, auch wir könnten vielleicht eines Tages eine Bundespräsidentin haben.
    Nun zur Problematik der Legitimation. Ja, ein starker Präsident wie aber auch ein schwacher Präsident haben Legitimitätsprobleme in der Frage, sind sie noch als Bürger repräsentabel. Ist darin auch der eigentliche Repräsentant des Staates, nämlich der Bürger an sich wirklich voll gültig aufgehoben? Von daher steht und fällt eigentlich das bürgerliche Moment dieses Staates auch zugleich mit diesem Ersatzmonarchen, sowohl durch seine Stärke wie aber auch durch seine Schwäche.
    Köhler-Rücktritt: "Amtsmimose finde ich gut ausgedrückt"
    Köhler: Ich erinnere mich daran, dass mir der Staatsrechtler Josef Isensee, immerhin Herausgeber des Handbuchs für Staatsrecht, mal spontan sagte, als Horst Köhler zurücktrat: "Diese Amtsmimose". Über die Anekdote hinaus ist natürlich was Ernstes damit gemeint. Damit der Bürger frei sein kann, muss der Amtsträger in Maßen unfrei sein. Wir müssen uns darauf verlassen können, dass der Amtsträger eine gewisse Dauerhaftigkeit und Verlässlichkeit und Regelkonformität an den Tag legt, oder?
    Müller: Ja, und das meinte ich auch mit der Problematik des Rücktritts von Benedikt. Dieser sozusagen mystische Körper des Amtes selbst steht sozusagen biologisch nicht zur Disposition bis zum Eingreifen Gottes durch dann den leiblichen Tod. Aber wenn der nun auch immer noch mystische Körper, wenn auch inzwischen verbürgerlichte mystische Körper des Amtsträgers eines Bundesamtes höchster Stufe, nämlich des Bundespräsidenten, sich selbst entscheidet, zurückzutreten oder auch das Amt aufzugeben, auch wenn er es noch nicht muss, das heißt, eine zweite Wahlzeit vermeidet, dann kommt so etwas wie die Gefahr auf dieses Amt zu, von der ich auch vorhin sprach. Es kommt so etwas wie eine Erschütterung in das Verhältnis, und das muss ausgeglichen werden, und das können nur die wirklich starken anderen Institutionen des Staates, der ja dauerhaft dadurch repräsentiert sein soll, dass es so etwas wie eine dauerhafte Funktion und einen unverweslichen Amtsträger gibt. Deswegen ist das nun so eine Art von künstlicher Erschütterung, die dabei eintritt. Die ist nicht gravierend für uns, aber sie ist im Amtsverständnis eigentlich problematisch. Und "Amtsmimose" finde ich sehr gut ausgedrückt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.