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Das Buch Witsch
Eine genial-windige Verleger-Ikone

Er war Bibliothekar erst unter den Nazis und dann unter den Kommunisten. "Das schwindelerregende Leben des Joseph Caspar Witsch“ lautet der Untertitel von Frank Möllers Biografie "Das Buch Witsch" über den späteren Kölner Verleger von Heinrich Böll, Saul Bellow oder Erich Maria Remarque - und er verspricht nicht zu viel.

Von Oliver Pfohlmann | 17.12.2014
    Das Logo von Kiepenheuer & Witsch mit zwei Büchern des Verlages am 16.3.2012 auf der Buchmesse in Leipzig.
    Hatte ein bewegtes Leben: Joseph Caspar Witsch, der Mitgründer von Kiepenheuer & Witsch. (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Keine Frage: Joseph Caspar Witsch gehört zu den großen Verlegerpersönlichkeiten der Nachkriegszeit. Doch anders als einem Siegfried Unseld, Klaus Piper oder Heinrich Maria Ledig-Rowohlt haftete ihm schon früh das Odeur des Dubiosen an. Immerhin war Witsch im "Dritten Reich" oberster Volksbibliothekar Thüringens gewesen - und seltsamerweise blieb er das auch noch unter den Kommunisten. Drei Jahre nach Kriegsende flüchtete er dann in den Westen, wo er sich den Kiepenheuer Verlag unter den Nagel reißen wollte – so zumindest die bis heute kolportierte Sichtweise der Witwe Gustav Kiepenheuers. Zuletzt wurde ihm vorgeworfen, er habe mit dem Ehepaar Frenzel unverbesserliche Nazi-Germanisten mit der Erstellung literaturwissenschaftlicher Handbücher betraut. Und für den Fernsehsender Arte war der 1967 verstorbene Witsch gar ein Handlanger der CIA, um westdeutsche Intellektuelle für den Kalten Krieg zu rekrutieren.
    Grund genug für einen angesehenen Publikumsverlag wie Kiepenheuer & Witsch, einmal genauer nachzusehen, was es mit seiner umstrittenen Gründerfigur auf sich hat. Das, was der Kölner Historiker und Journalist Frank Möller nun nach jahrelanger Archivarbeit auf knapp 800 materialgesättigten Seiten vorgelegt hat, ist zwar nur der erste Teil einer zweibändigen Biografie. Doch fällt die gut lesbare Rekonstruktion von Witschs "schwindelerregendem Leben" nicht nur ergebnisreich aus, sondern auch differenziert. Ein eindeutiges Urteil über die Kölner Verlegerikone ist nach der Lektüre daher nur schwer möglich. Die Reaktion des heutigen Verlegers von Kiepenheuer & Witsch, Helge Malchow, ist denn auch von gemischten Gefühlen geprägt:
    "Es gab tatsächlich Enttäuschungen, Empörungen, es gab auch Schrecken, es gab aber auch Entdeckungen, positive Entdeckungen, es gab auch ‘ne große Erleichterung darüber zu sehen, was für eine großartige Figur als literarischer Verleger Joseph Caspar Witsch beispielsweise war. Aber die Einbettung oder die Verquickung Joseph Caspar Witschs mit den Zeitläuften, also mit den linken Bewegungen vor 1933, mit dem Nationalsozialismus, mit der Sozialdemokratie, mit der SED, mit der Adenauer-CDU, da kam doch bei mir der Eindruck auf, dass wir es hier mit jemand zu tun haben, der im Kern ein kreativer und genialer Verleger war, aber der politisch auch, sagen wir mal, windige Züge hatte und sich immer wieder auch mit den jeweiligen politischen Machthabern arrangiert hat."
    Refornen unter den Bedingungen einer Diktatur
    Eines macht Möllers Darstellung rasch deutlich: Mit bequemen Etikettierungen wie der eines "Mitläufers" oder "Opportunisten" wird man Joseph Caspar Witsch nicht gerecht. Eher wird umgekehrt ein Schuh daraus: So versuchte der junge Witsch allen Ernstes, die Nazis für seine Zwecke zu instrumentalisieren. "Es wäre feige von mir, eine Tat nicht zu tun, die mir nützen könnte": In diesem Ausspruch von Stendhals Romanhelden Julien Sorel sieht Frank Möller eine Art Lebensmotto von Witsch. Wie seine Identifikationsfigur Sorel war auch der 1906 im Kölner Handwerkermilieu geborene Witsch eine Aufsteigernatur, ebenso selbstbewusst wie eigensinnig. Politisch stand er links der Sozialdemokratie: In den Weimarer Jahren sympathisierte er mit Willy Brandts "Sozialistischer Arbeiterpartei" und verhalf nach 1933 Emigranten zur Flucht - um prompt ins Visier der Gestapo zu geraten. Doch dann entschloss sich Witsch, unter den Bedingungen des NS-Regimes Karriere zu machen. Und setzte, nachdem er 1936 mit nur 30 Jahren in Jena die Leitung des thüringischen Volksbüchereiwesens übernahm, ein erstaunliches Reformprogramm um, wie Frank Möller beschreibt:
    "Wenn man genauer hinschaut und sich fragt, was hat Joseph Caspar Witsch denn an organisatorischen Änderungen unter den Nazis auf den Weg gebracht, dann wird man feststellen, dass das durchaus sinnfällige Reformen waren. Also man muss bei der Beurteilung von Witschs Arbeit auch in Betracht ziehen, dass das deutsche Volksbüchereiwesen zur Zeit der Machtübertragung an die Nazis ja hoffnungslos veraltet war, also das, was uns heute selbstverständlich erscheint, wenn wir in eine öffentliche Bücherei gehen, dass wir durch die Regale gehen, uns Bücher frei heraussuchen, das gab es damals nicht. Man musste bei einem Büchereibeamten an einer Theke vorsprechen, um ein bestimmtes Buch bitten, und wenn der Beamte meinte, das seinicht geeignet, dann bekam man es nicht. Und vor dem Hintergrund hat Witsch, so paradox das klingt, das Volksbüchereiwesen unter den Bedingungen einer Diktatur demokratisiert."
    Vom Bibliothekar zum Verleger Joseph Caspar Witsch
    Bei Konflikten mit der Partei versteckte sich Witsch geschickt hinter seiner vermeintlich neutralen Fachlichkeit - eine Taktik, die nach Möller da an ihre Grenzen stieß, wo Witsch in Publikationen Literatur als Mittel zur Stärkung der Wehrkraft rühmte - oder rühmen musste, wie er selbst später behauptete. Und natürlich ließ auch Witsch die Regale von jüdischen und sozialistischen Autoren säubern - doch vernichtete er die aussortierten Exemplare nicht, sondern bewahrte sie im Keller der Bibliothek auf. Nach dem Krieg verkündete er stolz, er habe diese Bestände vor den Nazis gerettet - und durfte deshalb in der Sowjetischen Besatzungszone seinen Posten zunächst behalten. Bald aber ließen ihn immer neue Anfeindungen bei den Kommunisten in Ungnade fallen. Nach seiner Flucht in den Westen sattelte er um: Aus dem Bibliothekar wurde der Verleger Joseph Caspar Witsch.
    "Ich glaube, das gemeinsame Band zwischen dem Bibliothekar und dem späteren Verleger ist die unendliche Leidenschaft für Bücher und für Literatur, die ja etwas Volkserzieherisches hatte, wenn man das so altmodisch sagen will, es gab von Anfang an bei ihm ein Feuer, gute Literatur, maßgebliche, relevante Literatur, Bücher mit großem Nachdruck zum Leser zu tragen, das tut man in Bibliotheken und das tut man auch als Verleger mit Büchern, die im Buchhandel dann verkauft und vertrieben werden."
    Sein Traum von einem gemeinsamen Verlag mit Gustav Kiepenheuer scheiterte jedoch: am überraschenden Tod der Verlegerlegende und an dessen Witwe Noa Kiepenheuer, die im Osten bleiben wollte. Für Möller war die von Witsch betriebene Abspaltung des neu gegründeten Westverlags kein Schurkenstück, sondern die Konsequenz aus wirtschaftlicher Eigendynamik und der komplexen Rechtssituation unter den Besatzungsmächten. Von Hagen, später von Köln aus reüssierte Joseph Caspar Witsch in der Folge als begnadeter und medienversierter Netzwerker zu einem bedeutenden kulturellen und politischen Akteur der frühen Bundesrepublik.
    Kapitelweise ein regelrechter Agententhriller
    Dass der neue Verlag Kiepenheuer & Witsch zu einem Erfolgsprojekt wurde, lag aber nicht allein an Witschs Spürnase für künftige Nobelpreisträger wie Heinrich Böll, Saul Bellow oder William Faulkner. Sondern ebenso sehr am rigiden Antikommunismus des Verlegers - denn damit ließ sich in der Adenauer-Ära prächtig Geld verdienen. So wurden Titel wie Wolfgang Leonhards "Die Revolution entlässt ihre Kinder" oder Arthur Koestlers "Sonnenfinsternis" zu Bestsellern. Vor allem aber hatte Witsch keine Skrupel, gegen üppige Finanzspritzen für die US-Besatzung oder für Bonner Ministerien antikommunistische Schriften zu drucken. Kapitelweise mutiert Möllers Witsch-Biografie regelrecht zu einem Agententhriller, wenn es um in die DDR geschleuste Tarnausgaben geht oder um prall gefüllte Geldkoffer aus Geheimdienstkreisen. Die Aufarbeitung seiner Rolle in der NS-Zeit kam bei all den vielfältigen Aktivitäten Witschs dagegen zu kurz, betont sein Biograf:
    "Witsch hat sich nach 1945 verhalten, wie Millionen andere Deutsche auch, er hat seine Rolle während der NS-Zeit hartnäckig beschwiegen. Er hat sich in die Aufbauarbeit gestürzt und wenn sich tatsächlich mal eine seltene Äußerung zur NS-Zeit findet, also die ihn selbst einschließt, dann ist das lediglich in Form gestelzter, ja Exkulpationsformeln, also zum Beispiel am Ende seines Kriegstagebuchs, wenn er dann schreibt: ‚Uns ist die Stimme gebunden gewesen, für das, was uns zu sagen gegeben war‘, ja, also Verschwurbelter kann man‘s nicht ausdrücken. Und in diesem Verstummen nach 1945 sehe ich auch seine Schwäche und sein eigentliches Versagen, also dieser Mangel an Selbstreflexion, der ist und war ein Armutszeugnis, das war schwach, und er war da auch ein typischer Vertreter der nach 1945 gewendeten nationalsozialistischen deutschen Volks- und Tätergemeinschaft."
    Um die Leistungen des Verlegers auf dem Gebiet der Belletristik wird es dann vor allem im zweiten Band der Biografie gehen, der für 2015 angekündigt ist.
    Frank Möller: "Das Buch Witsch. Das schwindelerregende Leben des Verlegers Joseph Caspar Witsch"
    Köln, Kiepenheuer und Witsch, 2014, 784 Seiten, 29,99 Euro