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"Das Defizit zur Finanzierung der Zukunft"

Jeder Franzose ist, statistisch gesehen, mit 22.400 Euro verschuldet. Und die Politik debattiert, ähnlich wie in Deutschland, über den besten Weg, Arbeitsplätze zu schaffen und das Defizit abzubauen: Durch mehr oder weniger Schulden?

Von Burkhard Birke | 16.09.2009
    Wenn das nicht wie ein Offenbarungseid klingt:

    "Auf rund 125 bis 130 Milliarden beläuft sich das Haushaltsdefizit. In den Sozialversicherungskassen beläuft sich das Defizit auf etwa 20 Milliarden, davon entfallen zehn auf die Krankenversicherung. Für die Gebietskörperschaften kennen wir die Zahlen noch nicht. Die muss man noch dazuzählen."

    Haushaltsminister Eric Woerth macht gute Miene zum bösen Spiel. Gott sei Dank oder leider kam die Krise: ganz, wie man es sehen mag. Dem Staat brechen dieses Jahr voraussichtlich 20 bis 30 Milliarden Einnahmen an Unternehmenssteuern weg, den strukturell unterfinanzierten Sozialkassen fehlen mit steigender Arbeitslosigkeit die Beitragszahler und den Beziehern kleiner Einkommen – das sind 5,5 Millionen Haushalte - erlässt der Fiskus teilweise die Einkommenssteuer. Mittlerweile türmt sich ein Schuldenberg von nahezu 70 Prozent des Bruttosozialproduktes auf: Das entspricht 22.400 Euro für jeden Franzosen!

    Die Neuverschuldung peilt mit voraussichtlich sieben bis acht Prozent des Bruttosozialproduktes in diesem Jahr schwindelerregende Höhen an, die das Maastrichtkriterium von drei Prozent für Jahre ins Reich der Utopie zu schicken scheint.

    "Ich werde dem schwerwiegenden Problem der öffentlichen Defizite nicht ausweichen, aber ich werde keine Austeritätspolitik betreiben, weil die stets gescheitert ist. Und ich werde auch nicht die Steuern erhöhen, weil dadurch das Ende der Krise hinausgezögert würde."

    … hatte Präsident Nicolas Sarkozy in seiner Rede vor beiden Häusern des Parlamentes im Juni in Versailles bekräftigt. Und daran will er sich halten. Die auf drei Milliarden geschätzten Einnahmen aus der gerade angekündigten Ökosteuer von 17 Euro je Tonne ausgestoßenem CO2 sollen umverteilt werden: Die Gewerbesteuer entfällt bei Unternehmen, die Haushalte bekommen Steuernachlässe und/oder grüne Schecks. Wie kann aber der Staat seine Finanzen in den Griff bekommen, wenn also nicht im Rahmen einer Austeritätspolitik rigoros gespart wird und weder Steuern noch Sozialabgaben erhöht werden? Zum einen die Ausgaben nicht stärker als die Inflation steigern, meint Budgetminister Eric Woerth:

    "Das bedeutet natürlich, dass bei niedriger Inflation die Ausgaben nur gering ausfallen, und im Gesundheitssektor ist das schwierig, aber machbar. Und der zweite Punkt ist das Wachstum."

    0,3 Prozent im letzten Quartal: Das lässt hoffen. Frankreichs Volkswirtschaft könnte um nur 2 bis 2,5 Prozent in diesem Jahr insgesamt schrumpfen. Die Haushaltsnöte lindert das jedoch nicht. Die Opposition hält Sarkozy vor allem vor, gleich zu Beginn der Amtszeit durch das sogenannte bouclier fiscal, eine Deckelung der Abgaben, die Last von 60 Prozent auf maximal 50 Prozent des Einkommens reduziert zu haben. Steuergeschenke an die Reichen, die die Haushaltssanierung erschweren. Diese Deckelung muss abgeschafft werden, fordern Oppositionelle wie die sozialistische Senatorin Nicole Briq immer wieder:

    "Heutzutage gibt es noch weniger Rechtfertigung für diese Maßnahme."

    Durch die dem Staat angeblich einige Milliarden durch die Lappen gehen. Die Opposition verlangt auch, den Stellenabbau im öffentlichen Dienst zu verlangsamen, auf höhere Selbstbeteiligung im Gesundheitswesen zu verzichten, eine Art soziale Mindestabsicherung verbindlich einzuführen. Und wer soll das bezahlen? Hemmungen die aktuelle Krise durch massive Hypotheken für künftige Generationen zu lösen, scheint es parteiübergreifend in Frankreich kaum zu geben. Präsident Sarkozy hat für seine Zwecke das Defizit kategorisiert:

    "Es gibt das schlechte Defizit, mit dem Verschwendung und unnötige Ausgaben finanziert werden. Dann gibt es ein zweites Defizit, das der Krise zuzuordnen ist, und dann gibt es das Defizit zur Finanzierung der Zukunft. Es ist keineswegs unnormal, Investitionen durch Anleihen zu finanzieren."

    Deshalb hat Sarkozy ein Expertengremium berufen, das nun über Art und Umfang einer Staatsanleihe zur Finanzierung der langfristigen Zukunftsinvestitionen nachdenkt.

    Selbst unter Folter wolle er keine Zahlen zur Höhe der Anleihe nennen, sagte Haushaltsminister Eric Woerth letzten Sonntag.

    Man solle die Diskussion nicht auf Zahlen oder Ausgabebedingungen, sondern auf Sinn und Zweck der Anleihe konzentrieren, so Woerth.

    Die Ausgabebedingungen, sprich Zinsen, freilich werden das einzige sein, was die Anleger interessiert. Denn aus reinem Patriotismus werden auch die Franzosen keine renditearme Staatsanleihe kaufen, um die Haushaltslöcher zu stopfen!