Simon: Herr Schäfer, befürchten auch Sie ein auf Dauer verschlechtertes deutsch-amerikanisches Verhältnis?
Schäfer: Nein, das glaube ich nicht. Wenn der Dunst des Wahlkampfes sich verzogen hat, und das ist ja wohl der Fall, wird man gewisse Probleme, die es gegeben hat, überwinden können. Ansätze dazu gibt es schon auf beiden Seiten. Ich kann feststellen, dass auch die amerikanische Seite in Person von Außenminister Powell bereits gestern in dieser Richtung tätig geworden ist. Ich glaube, man muss da, wo verbale Entgleisungen, wie sie in Amerika gesehen werden, geschehen sind, Konsequenzen zeigen – auf der anderen Seite in der Sache allerdings hart bleiben. Hier gibt es wirklich überhaupt keine Frage, dass wir hier die gleiche Politik, die wir aus den verschiedensten Gründen für richtig halten, weiter verfolgen müssen, und zwar alle deutschen Parteien.
Simon: Das heißt also, die Irak-Position der Bundesregierung als solche halten Sie durchaus für in der Sache richtig?
Schäfer: Ja, es ist ja nicht nur die Irakpolitik der Bundesregierung. Wir sind uns ja alle einig, dass Saddam Hussein ein gefährlicher Gegner ist. Aber es kann nicht angehen, dass unilateral eine Macht der Welt sich über alles hinwegsetzt und einen Angriffskrieg beginnt, der auch in Amerika auf ganz erhebliche Bedenken stößt, und zwar nicht nur im Bereich der amerikanischen Opposition und intellektueller Kritiker, sondern natürlich auch von ganz hochrangigen Politikern, die auch die Frage stellen, was eigentlich wird denn nach diesem Krieg geschehen, wollen sie denn da jahrelang den Irak besetzen, was wird mit der Destabilisierung der Region sein, wie wird der Terrorismus wieder aufleben, wenn man ein Volk angreift? All das sind natürlich ganz, ganz schwierige Fragen. Wir stimmen bei vielen überein, aber die Methode muss man sicher bedenken. Und wenn sich die Vereinigten Staaten durchsetzten in der UNO, eine Resolution zu bekommen, die ihnen möglicherweise die Legitimität zu eine Angriff gibt, dann wird man sehen müssen, wie sich die Dinge weiter entwickeln. Aber ich gehe davon aus, dass wir uns nicht an einer sechsten Front militärisch beteiligen können und wollen, und ich halte das auch durchaus für richtig.
Simon: Das ist die inhaltliche Seite. Wie bewerten Sie denn, auch aus Ihrer Erfahrung im Auswärtigen Amt, die Reaktionen derzeit aus Washington, auch zum Beispiel die demonstrative Nichtbeachtung der neuen alten Regierung?
Schäfer: Ach ja, gut, wissen Sie, darüber gibt es inzwischen auch Artikel, die das Ganze etwas ins Lächerliche ziehen und sagen: 'So kann man nicht miteinander umgehen'. Es ist ja auch eine überzogene Reaktion, das wird sich wieder geben. Man wird sich in Washington damit abfinden, dass man vier Jahre lang es mit einer Regierung zu tun haben wird in Deutschland, die sich nicht verändert hat, auch wenn man das vielleicht gehofft hat. Daraus wird man, wie das in der Politik üblich ist, Schlüsse ziehen. Ich erinnere mich an ein halbes Jahr vor dem Fall der Mauer an eine sehr intensive Auseinandersetzung zwischen der damaligen Bundesregierung, der ich ja angehört habe – 1989, also Kohl/Genscher – und den Amerikanern. Damals war die Rede von 'Genscherismus'. Die FDP und Herr Genscher wurden heftig kritisiert, weil sich Genscher gegen die Modernisierung der Kurzstreckenwaffen ausgesprochen hatte – unmittelbar, bevor wir ja schon – das Ganze war ja schon im Gange – eine Übereinstimmung mit der Sowjetunion erzielen konnten, sowohl über die DDR als auch über den ganzen Wegfall der bisherigen Sowjetpolitik. Es waren die gleichen Leute, die heute diese etwas robuste Politik fahren, und zwar Herr Cheney als Verteidigungsminister, sagte: 'Das kommt überhaupt nicht in Frage, wir verhandeln nicht mit den Sowjets, wir werden diese Waffen modernisieren, aufrüsten'. Das wäre ein schwerer Rückschlag gewesen für die ganz schwierigen Verhandlungen, die damals Genscher führte. Genscher selbst berichtet über diese Situation in seinen Memoiren sehr ausführlich und warnt davor, in einer solchen Situation nach Washington zu fahren, sondern in einer vernünftigen Weise Einfluss auf die amerikanische Regierung zu nehmen.
Simon: Das heißt jetzt also – bezogen auf die heutige Situation – nicht allzu viel Demutsgesten aus Berlin nach Washington?
Schäfer: Nein, sondern durchaus klarmachen, dass das, was möglicherweise im Ton falsch war – da gab es sicherlich einige Schroffheiten, die man abbauen muss – ja nicht heißt, dass man antiamerikanisch gesinnt ist. Wir haben, wenn man das bedenkt, in den vergangenen Jahrzehnten ein großes Netzwerk und mannigfaltige Bindungen zwischen beiden Ländern aufgebaut. Vielleicht waren wir immer ein bisschen arg folgsam, und vielleicht ist das auch der Grund, weshalb die Amerikaner bei uns gereizter reagieren, als es bei Frankreich der Fall ist, das ja nun immer wieder sich durchaus nicht als so folgsam erwiesen haben. Vielleicht ist das eine Überraschung für die amerikanische Regierung, dass die Deutschen jetzt vielleicht etwas stärker als früher ihre eigenen Interessen ins Feld führen.
Simon: Ganz herzlichen Dank. Das war Helmut Schäfer, zu Zeiten der CDU-FDP-Koalition lange Jahre Staatsminister im Auswärtigen Amt über die deutsch-amerikanischen Beziehungen.
Link: Interview als RealAudio