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Das deutsch-französische Verhältnis

Heinemann: Nicht bei Phillipi sahen sie sich gestern wieder, sondern im ‚Chez Philipe' im elsässischen Blaesheim bei Straßburg tafelten Jacques Chirac, Lionel Jospin und Gerhard Schröder sowie ihre Außenminister. Über die Speisekarte wollen wir nicht ausführlich berichten; nur soviel: Der Saumagen, der 16 Jahre lang die deutsch-französischen Beziehungen mitprägte - das eine oder andere mal vielleicht auch belastet hat -, blieb außen vor. Das Treffen war nötig, weil der deutsch-französische Motor stottert. Besonders deutlich waren die Fehlzündungen beim EU-Gipfel in Nizza zu hören. Dort benahmen sich beide wie Konkurrenten, nicht wie Partner. Am Telefon ist Friedrich Merz, der Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion. Guten Morgen.

    Merz: Guten Morgen Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Merz, wie bewerten Sie das Treffen und das, was gestern beschlossen wurde?

    Merz: Es war ja ganz offensichtlich ein Krisentreffen, nachdem das deutsch-französische Verhältnis in den letzten zwei Jahren erheblich gelitten hatte darunter, dass es in Frankreich eine schwierige innenpolitische Lage gibt, aber auch besonders, dass es in Deutschland eine grobe Vernachlässigung des deutsch-französischen Verhältnisses durch die neue Bundesregierung gegeben hatte. Das alles ist in Nizza dann offen ausgebrochen. Und da musste wohl gestern abend wohl Schadensbegrenzung betrieben werden. Das konkrete Ergebnis mit den Atommülltransporten bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass es im deutsch-französischen Verhältnis wieder zurückgeht zu den Rechtsverpflichtungen, die Deutschland eingegangen ist gegenüber Frankreich. Also, ein dringend notwendiges Treffen. Und wenn die Vereinbarung jetzt gemacht worden ist, dass man sich alle 6 bis 8 Wochen in Zukunft sieht, dann ist das das, was in den früheren Jahren immer gemacht worden ist zwischen Deutschland und Frankreich, nämlich eine sehr enge Abstimmung zwischen diesen beiden Ländern, ohne die in Europa kein Fortschritt möglich ist.

    Heinemann: Aber Spannung gab's doch immer. Ich erinnere an die einseitige Anerkennung Sloweniens und Kroatiens durch die Bundesregierung, die Frankreich doch ziemlich überrascht hat, oder die Wiederaufnahme der Atomtests oder die Einführung der Berufsarmee. Damals war die Bundesregierung überrascht.

    Merz: Es gibt im deutsch-französischen Verhältnis natürlich immer unterschiedliche Interessen. Beide Länder wissen aber, dass sie nur gemeinsam für eine dauerhafte politische Friedens- und Freiheitsordnung in Europa sorgen können, und es hat sich da in den letzten zwei Jahren - seit dem Antritt der neuen Bundesregierung - qualitativ etwas verändert. Es wird immer weniger über gemeinsame Sachpositionen miteinander gesprochen, und dafür werden dann aus Deutschland Reden gehalten, die in Frankreich auf größte Vorbehalte stoßen. Ich will Ihnen zwei Beispiele sagen: Der Bundesaußenminister hat im Mai des letzten Jahres als sogenannter ‚Privatmann' in der Berliner Humboldt-Universität einen Vortrag zu Europa gehalten. Das ist in Frankreich auf großes Erstaunen, auf Ablehnung gestoßen. Seitdem hat es eine deutliche Abkühlung der beiden Außenminister miteinander gegeben. Der Bundeskanzler hat kurz vor dem Gipfel in Nizza im Deutschen Bundestag in einer Regierungserklärung öffentlich verlangt, man müsse für Deutschland im Rat eine höhere Stimmenzahl als Frankreich haben. Damit hat er gegenüber Frankreich die Machtfrage gestellt. Er konnte sich nicht durchsetzen in Nizza; er musste in Nizza Schadensbegrenzung betreiben, und als Ergebnis ist ein extrem kompliziertes Abstimmungsverhalten im Rat herausgekommen. So etwas hätte es früher nicht gegeben. Diese Bundesregierung hat das deutsch-französische Verhältnis vernachlässigt. Wenn sie jetzt zurückkehrt zu einer engen deutsch-französischen Kooperation, dann ist das gut. Aber es sind zwei Jahre verlorengegangen.

    Heinemann: Was spricht denn dagegen, auch nationale Interessen von deutscher Seite mal anzusprechen?

    Merz: Es spricht überhaupt nichts dagegen, im Gegenteil. Beide Länder müssen natürlich auch ihre eigenen Interessen wahrnehmen . . .

    Heinemann: . . . aber wenn die Regierung es macht, kritisieren Sie es . . .

    Merz: . . . nein, ich sage nur: Wir müssen wissen auch als Deutsche, dass wir Frankreich gegenüber eine besondere Verpflichtung haben, weil diese beiden großen Länder in der geopolitischen Mitte in Europa den Schlüssel in der Hand haben, über die zukünftige politische Entwicklung des gesamten Kontingents. Diese beiden Länder sind seit dem Ende des zweiten Weltkrieges die beiden Länder, die bis jetzt immer für jeden Fortschritt in Europa gemeinsam gesorgt haben. Das ist seit 1963 sogar auf eine gemeinsame vertragliche Grundlage gestellt worden. Und insofern müssen gerade wir immer darauf achten, dass wir alles, was wir tun, immer auch unter dem Blickwinkel prüfen, ob die Franzosen es in Europa mit uns gemeinsam tun können. Wenn wir das getan haben in der Vergangenheit, gab es Fortschritte. Wenn das nicht getan wird, gibt es Probleme. Und ich habe vor mir liegen ein Buch, das ich in den letzten Tagen gelesen habe von Philipe Delmas, der geschrieben hat über den nächsten Krieg mit Deutschland. Er nennt das eine ‚Streitschrift aus Frankreich' - mit einem sicherlich überzogenen Titel. Aber ein solches Buch wäre vor zwei oder vor fünf Jahren nicht erschienen. Also, es ist aller Anlass gegeben, mit Frankreich die Beziehungen auf eine neue Basis zu stellen - so wie sie früher war. Und die Bundesregierung tut gut daran, in Zukunft engere Konsultationen mit Frankreich zu haben, als sie es in der Vergangenheit gehabt hat.

    Heinemann: Was war so schrecklich an Joschka Fischers Rede an der Humbodt-Universität? Er hat ganz klar gesagt, er ist für die Einführung föderaler Elemente in Europa, einen direkt gewählten Europäischen Präsidenten. Das sind doch keine Verbrechen.

    Merz: Herr Heinemann, ich bin weit davon entfernt, dem Bundesaußenminister Verbrechen vorzuwerfen. Es geht um die Frage, ob er sich geschickt verhalten hat, die Frage, ob er das, was er dann in einer Rede angeblich als Privatmann - von Herrn Eichel hören wir umgekehrt, dass ein Minister immer im Dienst ist - gehalten hat in Deutschland, ob er das vorher mit den französischen Partnern auch auf diplomatischem Wege einmal besprochen hat. Die Franzosen sind von dieser Rede völlig überrascht gewesen. Und das, was Fischer vorgeschlagen hat, ist das glatte Gegenteil von dem, was in der französischen Ratspräsidentschaft bis Ende des letzten Jahres praktiziert worden ist, und zwar unter deutscher Beteiligung. Hier ging es immer wieder um kleine Schritte. Fischer hat eine völlige Neufassung und Neuformulierung der Europäischen Verträge vorgeschlagen, sehr zur Überraschung und auch zur Verärgerung der Franzosen. So etwas hat die französische Ratspräsidentschaft nachhaltig belastet, und es war mit eine Ursache dafür, dass der Vertrag von Nizza so unbefriedigend ausgefallen ist, wie er ausgefallen ist. Das haben wir alle im Deutschen Bundestag bedauert; aber Fischer hat mit seiner Rede erheblich dazu beigetragen.

    Heinemann: Vor der Vereinigung war die Arbeitsteilung klar. Die Deutschen hatten wirtschaftlich die Nase vorn, Frankreich politisch. Sollte das so bleiben?

    Merz: Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass Frankreich psychologisch Deutschland, seitdem es wiedervereinigt ist, ein nicht unerhebliches Problem hat. Frankreich hat einen Nachbarn im Osten, der jetzt von der Bevölkerungszahl - wie von der Größe noch einmal gewachsen ist. Und das Gleichgewicht zwischen Deutschland und Frankreich, das immer auch eine Basis für den Fortschritt in Europa war, ist zu Lasten Frankreichs und zu Gunsten der Bundesrepublik Deutschland verändert worden. Deswegen lege ich Wert darauf - und wir praktizieren das in der Unionsfraktion -, dass wir in vielen politischen Fragen die Abstimmung mit Frankreich suchen. Ich will ein Beispiel sagen. Volker Rühe und Francois Leotón haben gestern in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG einen gemeinsamen Artikel für eine glaubwürdige Sicherheitspolitik in Europa geschrieben - einen gemeinsamen Beitrag, ganz konkret für die Außen- und Sicherheits- und Verteidigungspolitik gemeinsame Positionen eingenommen. Die Bundesregierung ist um Schadensbegrenzung bemüht; wir machen konkrete Vorschläge für die Politik in der Zukunft. Das sind - glaube ich - gute Beispiele, die man gerade aus der Opposition heraus deutlich machen kann, was uns das deutsch-französische Verhältnis auch für die Zukunft bedeutet.

    Heinemann: Dann müssten Sie eigentlich sehr einverstanden sein mit Joschka Fischers Freiburger Rede. Da hat er sich klar zum Nationalstaat und zur Rolle der Nationalstaaten innerhalb Europas bekannt.

    Merz: Er hat in seiner Freiburger Rede in der Tat, Herr Heinemann, eine Reihe von Positionen und auch eine Reihe von Begriffen nicht wieder verwendet, die in seiner Berliner Rede für Verwirrung in Frankreich und für Aufregung in Frankreich gesorgt haben. Insofern war er mit der Rede in Freiburg erkennbar darum bemüht, den Schaden einzugrenzen, der bis dahin entstanden war. Deswegen habe ich die Freiburger Rede von Herrn Fischer auch für richtig gehalten.

    Heinemann: Fischer meint, das sind die Werte der französischen Revolution und die der Aufklärung, die die europäische Integration für die Staaten Mittel- und Osteuropas attraktiv machen, also ‚Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit'. Ist der europäische Wertekern nun damit vollständig?

    Merz: Ich glaube, wir können in der Geschichte sogar noch weiter zurückgehen. Wir haben eine über viele Jahrhunderte andauernde gemeinsame Geschichte, denken Sie nur an das Reich Karls des Großen. Hier gibt es eine tiefe Verwurzelung gemeinsamer Geschichte, gemeinsamer Werte, gemeinsamer Grundüberzeugungen, die nicht zuletzt natürlich in der französischen Revolution auch noch einmal zum Ausdruck kamen in der Aufklärung. Das alles ist ein festes gemeinsames Fundament, das beide Länder haben. Wir sollten uns dieses Fundamentes immer wieder gewiss sein, und wir sollten auf diesem Fundament auch die Zukunft Europas gemeinsam aufbauen. Ich muss für meine Person sagen: Ich habe auch persönlich Freude daran, dieses mit den französischen Partnern, die ebenfalls dort in der Opposition sind, kontinuierlich zu besprechen und zu tun - mit gemeinsamen Positionen. Und die Bundesregierung ist gut beraten, dieses wertvolle historische Erbe dieser beiden Länder nicht leichtfertig auf's Spiel zu setzen.

    Heinemann: Herr Merz, wir wollen kurz noch über ein anderes Thema zu sprechen kommen. Das Berliner Verwaltungsgericht hat gestern die 41-Millionen-Mark-Strafe gegen die CDU aufgehoben, die die Bundestagsverwaltung in der Spendenaffäre gegen die Partei verhängt hatte. Die Freude in der CDU ist verständlich, nur werden die schwarzen Kassen dadurch nicht weiß.

    Merz: Das Berliner Verwaltungsgericht hat in der Tat, Herr Heinemann, entschieden, dass die Verweigerung der Parteienfinanzierung durch den Bundestagspräsidenten rechtswidrig war. Die Sache ist nicht endgültig entschieden. Ich habe im Präsidium der CDU mit dafür plädiert, dass wir klagen gegen den Bescheid des Bundestagspräsidenten, weil das Parteiengesetz nach unserer Auffassung keine Rechtsgrundlage dafür enthält, wie er sich verhalten hat. Nun hat Herr Müntefering heute morgen ganz unverblümt öffentlich den Bundestagspräsidenten praktisch aufgefordert, in die Berufung zu gehen. Ich rechne damit, dass Herr Thierse das dann auch tun wird. Insofern ist die Sache nicht endgültig rechtskräftig entschieden. Wir werden uns auf einen längeren Instanzenzug einzurichten haben. Aber die erste Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichtes gibt mir die Zuversicht, dass wir es richtig machen, uns gegen diesen Bescheid auch rechtlich zur Wehr zu setzen.

    Heinemann: Die Botschaft von Berlin lautet: ‚Die Parteien können machen was sie wollen. Wir Steuerzahler werden wegen fehlerhafter Pfennigsbeträge vom Auge des Gesetzes schäl angeblickt'. Da kommt reine Freude auf.

    Merz: Nein, noch einmal: Also, das Parteiengesetz ist an dieser Stelle unklar. Wir haben deswegen schon lange vor dieser Entscheidung des Verwaltungsgerichtes von gestern einen konkreten Vorschlag mit drei Punkten gemacht, wie das Parteiengesetz geändert werden soll, damit solche Unklarheiten in Zukunft beseitigt werden. Unabhängig von der Entscheidung der Gerichte werden wir dabei bleiben. Das Parteiengesetz muss geändert werden, damit in Zukunft solche Unregelmäßigkeiten bei uns, aber bitte auch bei den Sozialdemokraten - in Millionenhöhe dort - nicht mehr durch das Parteiengesetz gedeckt werden. Die SPD hat erhebliche Verstöße gegen das Parteiengesetz mittlerweile zugeben müssen. Es besteht also überhaupt keine Veranlassung dafür, hier selbstgerecht in der Öffentlichkeit aufzutreten.

    Heinemann: Friedrich Merz, der Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion in den Informationen am Morgen im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Merz: Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Heinemann.

    Link: Interview als RealAudio