Capellan: Herr Rüttgers, Schily lobt ausdrücklich auch das Zuwanderungskonzept der Union. Was spricht denn jetzt noch gegen eine schnelle parteiübergreifende Einigung?
Rüttgers: Eigentlich spricht nichts dagegen. Wenn Bundesinnenminister Schily die Kraft hat, sich in seinen eigenen Reihen durchzusetzen, dann fände ich es richtig, wenn wir noch den Versuch machen, das in dieser Legislaturperiode umzusetzen. Ein solches Einwanderungsbegrenzungs- und Integrationsgesetz sollte nach meiner Auffassung möglichst aus dem Wahlkampf herausgehalten werden. Wenn es einen breiten Konsens gibt, dann spricht ja nichts dagegen, das jetzt anzupacken.
Capellan: Wo sehen Sie denn noch Unterschiede?
Rüttgers: Ich glaube auf der einen Seite ist sich natürlich der Bundesinnenminister darüber im klaren, dass er noch einige Diskussionen mit den Grünen und der linken Seite in seiner Partei führen muss. Da wird es vor allen Dingen darauf ankommen, ob dort wirklich die Bereitschaft besteht, von multikulturellen Illusionen Abstand zu nehmen und zu sagen, was wir wollen ist ein Gesetz, mit dem die Integration der hier lebenden und zu uns kommenden Ausländer in diese Gesellschaft sichergestellt werden kann.
Capellan: Interessiert Sie eigentlich noch was die Süssmuth-Kommission vorlegen wird?
Rüttgers: Natürlich, weil es immer wichtig ist, was kluge Leute vorlegen. Aber nach dem was man hört, wird das ja auch auf der Linie der Vorschläge sein, welche die CDU-Kommission unter Peter Müller vorgelegt hat.
Capellan: Wie stehen Sie denn zu dem, was Schily gestern gesagt hat bezüglich der Quoten, dass die flexibel sein müssten?
Rüttgers: Ich glaube, dass es nicht möglich ist, eine Gesamtquote vorzulegen und dann jeweils zu sagen, so viel in diesem Jahr. Die CDU und ich selbst haben ja auch schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt darauf hingewiesen, dass wir bei dem was wir an humanitären Verpflichtungen im Rahmen des Asylrechts und im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention übernommen haben nicht mit Quoten arbeiten können, dass aber umgekehrt für jede gesteuerte Zuwanderung, die wir jetzt organisieren, der Maßstab sein muss, wie viele Menschen wir in diese Gesellschaft integrieren können. Das ist nicht so abstrakt wie sich das anhört, sondern bedeutet zum Beispiel, dass wir den Forderungen der deutschen Industrie, jetzt schnell billige Arbeitskräfte ins Land zu holen, widerstehen werden.
Capellan: Herr Rüttgers, warum wollen Sie eigentlich das Thema jetzt grundsätzlich aus dem Wahlkampf heraushalten? Vor ein paar Monaten noch hat sich das auch bei der Union noch ganz anders angehört.
Rüttgers: Ich habe keine Probleme damit, das zu diskutieren, auch dann wenn um Stimmen gekämpft wird. Jedes Thema hat aber seine Zeit und wenn es die Chance gibt, zu einem großen Einvernehmen bei einem solchen Thema zu kommen, was ja schon über Jahre, ja Jahrzehnte diskutiert wird, dann sollte man diese Chance nutzen.
Capellan: Geht das auch auf Erfahrungen zurück, die Sie möglicherweise im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen gemacht haben? Sie haben den Slogan "Kinder statt Inder" geprägt. Stehen Sie noch dazu oder haben Sie Angst, eine solche Diskussion wieder loszutreten?
Rüttgers: Den habe ich nie gebraucht, aber darauf kommt es nicht an, sondern das spannende ist ja, dass das was ich damals gesagt habe, mehr Ausbildung statt mehr Einwanderung, inzwischen von fast allen führenden Leuten der SPD laut verkündet wird. Das zeigt, dass selbst wenn man eine Zeit lang beschimpft wird man sich letztlich mit einer richtigen These durchsetzt.
Capellan: Wie steht es denn mit der deutschen Leitkultur, ein Begriff, den ja Friedrich Merz, der Unionsfraktionschef, geprägt hat? Davon findet sich jetzt auch im Konzept der Union nichts mehr. Warum eigentlich nicht?
Rüttgers: Wir wollen keine Parallelgesellschaften. Es kann nicht sein, dass hier in unserem Land zwei unterschiedliche Gesellschaften nebeneinander leben. Insofern ist schon wichtig, dass wir etwa darauf bestehen, dass es obligatorisch Sprachkurse gibt, dass es gegebenenfalls auch Sanktionen für diejenigen gibt, die sich nicht integrieren wollen. Ja ich gehe selber so weit und sage, eigentlich dürfen wir bei diejenigen, die zu uns kommen - und jetzt reden wir nicht von Arbeitskräften, die hier im Bereich der Höchstqualifizierten arbeiten wollen, sondern etwa im Familiennachzug bei unseren türkischen Mitbürgern oder bei der Frage der Aussiedler -, darauf bestehen, dass sie vorher wenn sie zu uns kommen auch einen Sprachkursus machen.
Capellan: Das entspricht ungefähr auch den Vorstellungen der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck von den Grünen, die gestern noch gesagt hat, wir brauchen ein Integrationskonzept. Brauchen wir das wirklich?
Rüttgers: Ja das brauchen wir, weil hinter der ganzen Diskussion ja steht, dass alle politischen Gruppierungen und auch viele außerhalb der politischen Lager bisher Illusionen nachgelaufen sind. Genauso wie es nirgendwo auf dieser Welt eine funktionierende multikulturelle Gesellschaft gibt, genauso war es eine Illusion zu sagen, es gibt keine Zuwanderung nach Deutschland. Es ist ja das Positive im Moment, dass die Grünen von dieser Illusion Abstand nehmen, sie könnten alles multikulturell organisieren, die SPD von dieser falschen These abrückt, dass man nur einen deutschen Pass verleihen muss und sofort sei jemand integriert und die CDU sich dem Problem Zuwanderung stellt.
Capellan: Wie sieht es denn aus mit der Integration innerhalb Ihrer Partei? Da ist von Bülent Arslan zu hören, dem Vorsitzenden des deutsch-türkischen Forums der Union. Er wollte ein Bundestagsmandat für den Wahlkreis Hagen holen. Er ist gescheitert und da wurde ihm von Parteifreunden gesagt, ein Moslem könne nicht Repräsentant einer christlichen Partei sein. Wie sieht das denn der NRW-Landeschef?
Rüttgers: Ich bedauere die Entwicklung um Bülent Arslan sehr. Das zeigt, dass wir bei solchen Fragen sicherlich noch ein ganzes Stück des Weges vor uns haben. Auf der anderen Seite bin ich stolz darauf, dass wir in der CDU hier im Westen solche Fragen überhaupt diskutieren. Bülent Arslan ist Mitglied meines Landesvorstandes. Er ist Vorsitzender des deutsch-türkischen Forums in meiner Partei, wo viele Hunderte auch türkischstämmige Mitbürger sich politisch in der CDU engagieren. In diesem Fall aus Hagen ist sicherlich - Sie haben es gerade zitiert - auch der eine oder andere Satz gesagt worden, der besser nicht gesagt worden wäre. Ich werde jetzt in den nächsten Tagen noch mal mit Bülent Arslan reden, um zu sehen wie wir dort weiter kommen.
Capellan: Kann Bülent Arslan wirklich noch als Beweis dafür herhalten, dass die CDU ausländerfreundlich ist, eine ausländerfreundliche Partei?
Rüttgers: Ja, gerade weil wir diese Diskussion führen. Schauen Sie viele erwarten ja gar nicht, dass in der CDU solche Diskussionen überhaupt stattfinden. Auf der anderen Seite gilt das eben auch für einen Deutschen türkischstämmiger Herkunft, dass er sich Mehrheiten beschaffen muss und dass man nicht aufgestellt wird, weil die Parteiführung das will, sondern das muss überall durchgesetzt werden.
Capellan: Das letzte Wort in dieser Sache ist also noch nicht gesprochen?
Rüttgers: Nein!
Capellan: Herr Rüttgers, abschließende Frage, eine Prognose von Ihnen. Werden wir in dieser Legislaturperiode noch ein Zuwanderungsgesetz bekommen?
Rüttgers: Ich halte die Chancen für sehr, sehr groß und kann nur an jeden appellieren, das jetzt auch zu machen und voranzutreiben und nicht unter Blick auf angebliche Schwierigkeiten bei der Diskussion zurückzuschrecken.
Capellan: Jürgen Rüttgers war das, der stellvertretende Vorsitzende der CDU. - Ich danke Ihnen, Herr Rüttgers, und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio