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Das Ende des Eberhard Diepgen

18.02.2002
    Capellan: Am Telefon begrüße ich nun den früheren Berliner Kultursenator Christoph Stölzl. Herr Stölzl, bei den Berliner Christdemokraten kann es eigentlich nur aufwärts gehen. Würden Sie das so unterschreiben?

    Stölzl: Jedenfalls ist es gut, dass sich die Dinge jetzt dramatisch rühren und die Partei das getan hat, was sie schon im letzten Sommer hätte tun sollen, nämlich energisch einzufordern, dass nach diesem Erdrutsch, der im letzten Sommer stattgefunden hat, tatsächlich über Personen, aber auch über Inhalte sozusagen nicht nur höflich, hinter vorgehaltener Hand gesprochen wird, sondern mit den demokratischen Mitteln der Abstimmung weiter vorgegangen wird.

    Capellan: Woran ist denn Diepgen am Ende gescheitert?

    Stölzl: Er ist eigentlich daran gescheitert, glaube ich, dass er der Partei schuldig geblieben ist zu erklären, was im letzten Frühjahr eigentlich passiert ist. Man muss ja bedenken, dass die Berliner CDU Eberhard Diepgen aus guten Gründen im Grunde immer blind gefolgt ist. Er hat es verstanden - was eine Riesenleistung ist -, diese sozial auseinanderklaffende Stadt zusammenzuhalten und, wie Spötter sagten, der beste Sozialdemokrat der CDU zu sein, d.h. keine Barrikaden, keine Straßenschlachten, keine Aufstände, keine Massenstreiks, obwohl Berlin durch die Folgen der Einigung gerüttelt und geschüttelt wurde. Das hat er wirklich großartig gemacht. Er hat dafür im Herbst 1999, glaube ich, 42 Prozent bekommen, und Sympathiewerte um die 75 Prozent. In diesem völlig rätselhaften Vorgang seit dem Beginn der Bankenaffäre, wo er sich im Grunde immer im Schweigen gehüllt hat, hat eigentlich niemand verstanden, warum er so gehandelt hat, warum er ins Verderben gerannt ist und uns mitgenommen hat. Diese große Erklärung ist eben auch am Samstag ausgeblieben, obwohl ich mir das von ihm gewünscht hätte, ihm auch das nochmals vorher gesagt hatte. Und darum, glaube ich, ist diese Abstrafung erfolgt. Er hat eine große Niederlage zu verantworten gehabt, denn er war der Landeschef und der Staatschef, und dann muss er, glaube ich, durch eine öffentliche Reue gehen, und er hat das nicht gewollt, und er hat das nicht getan. Ich bin überzeugt, wenn er gesagt hätte, ich gehe zurück in den Kiez, wo ich herkomme, ich gehe nach Neukölln, ich gehe auf die Bundesliste Nr. 5, 6, lass uns nochmals von unten anfangen, dann hätte man ihn wahrscheinlich auf den Schultern weggetragen.

    Capellan: Er hat stattdessen seinen Kritikern wiederholt wörtlich Klugscheißerei vorgeworfen. Also diese Arroganz, hat sie dann am Ende auch dazu geführt, dass er nun so abgestraft wurde?

    Stölzl: Ich glaube nicht, dass es Arroganz ist. Er ist ein ganz bescheidener Mann. Es war politische Taktik. Und dieser Trick, die kleinbürgerlichen Massen gegen die reichen Leute zu mobilisieren, hat eben nicht funktioniert, weil die Leute wussten, wer da schreibt, ist ja im Grunde der alte Freundeskreis von Diepgen, das sind diejenigen, die besonders enttäuscht waren.

    Capellan: Als Nr. 1 geht nun Günter Nooke, ein Ostdeutscher, in das Rennen um die Bundestagswahl. Eine richtige Entscheidung?

    Stölzl: Ich finde schon. Das ist der Bezirk Mitte, der inzwischen mit Wedding vereinigt ist, der auch Westen ist, aber das hat sich alles vollkommen verwischt. Ich finde es schon sehr gut, dass diese Ostdeutsche oder DDR-Bürgerrechtsbewegung und die Leute dieser ersten Stunde von 1989/1990, die wir ein bisschen aus den Augen verloren haben, wieder in den Vordergrund rücken. Dort tritt Herr Nooke gegen Herrn Thierse an, also zwei Seiten, Leute, die wahrscheinlich im Herbst 1989 gar nicht weit voneinander entfernt waren. Das muss man ganz klar sehen. Es ist als Symbol sichtbar, dass hier etwas Neues beginnt.

    Capellan: Steht denn Nooke auch für einen anderen Umgang mit der PDS?

    Stölzl: Das weiß ich nicht. Da bin ich mir gar nicht so sicher. Ich bin, wie jeder weiß, gar nicht für einen sogenannten anderen Umgang mit der PDS, weil die Auseinandersetzung mit denen, die die DDR Diktatur getragen haben und sich nicht von ihr gelöst haben - das ist das Entscheidende -, etwas ist, was, glaube ich, wie eine Wunde in Berlin ist. Gegen die, die in andere Parteien gegangen sind - da gibt es ein paar -, hat ja überhaupt niemand etwas. Das sind diejenigen, die an den Staatssozialismus geglaubt haben, und dann 1989 nachgedacht haben, das ist in der Tat vollkommen falsch gelaufen. Im Grunde ist ein ganzes Land ausgeplündert worden, bespitzelt worden, wir wollen weiter Politik machen, aber nicht im alten Fahrwasser. Gegen die hat ja gar niemand etwas, sie sind ja wirklich begrüßt worden, wenn sie die Grenze überschritten haben. Aber die Frage, wie man mit der PDS, die faktisch strukturell ja die SED weiterhin ist, umgeht, kann man sozusagen nicht nur mit einem Modewechsel begründen. Zehn Jahre sind gar nichts. Die Deutschen haben inzwischen gelernt, dass auch die Dinge zwischen 1933 und 1945 so sind, als seien sie gerade erst passiert. Deswegen finde ich schon, dass man sehr ernsthaft von den PDS-Mitgliedern einfordern muss, dass sie genauer Auskunft geben, nicht nur sagen, schwamm drüber, zehn Jahre sind eine lange Zeit, lass uns mal zur Tagesordnung übergehen.

    Capellan: Aber Sie glauben schon, dass Günter Nooke integrieren könnte, nicht nur in der immer noch geteilten Stadt, sondern auch innerhalb des CDU-Landesverbandes?

    Stölzl: Da bin ich mir ganz sicher. Er ist ein ganz seriöser Mann, der sehr ruhig ist, das strahlt er ja auch aus, und ich glaube, dass er jedenfalls für die Funktion, in der er gewählt ist, Spitzenkandidat, der richtige Mann ist. Es ist ja nicht unbedingt ein Parteiamt.

    Capellan: Folgt das daraus? Sollte er den Landesvorsitz der Berliner Christdemokraten übernehmen?

    Stölzl: Keine Ahnung. Da muss ich eins sagen, die Christdemokraten haben jetzt ein dreiviertel Jahr lang im Grunde etwas versäumt, was sie tun müssten, nämlich zunächst mal die Ziele und die Inhalte definieren, und dann über Personen reden. Dieser Landesvorstand ist - das muss man außerhalb Berlin deutlich sagen - eine Stadt, die zugleich Land heißt. In Wahrheit ist es aber eine Stadt. Für diese CDU-Opposition in der Stadt ist Frank Steffel ganz klar im Parlament, und um ihn dreht sich das Ganze. Welche Rolle daneben dieser Landesvorsitzende haben soll, muss die Partei zunächst definieren. Bisher haben sie immer - und das sieht man auch am Scheitern Diepgens - über Personen pausenlos die Strippen gezogen ohne genauer nachzufragen, welche Rolle hat denn dieses Amt. Das ist nicht geschehen, und ich hoffe, das wird jetzt geschehen, dass man sagt, was muss er oder sie tun, in welchen Milieus muss sich das auswirken, ist es mehr ein Gutmensch, der die Partei, die zerstritten ist, wieder versöhnt, aber nichts für sich selbst will, oder ist es ein Sprecher, der bewusst dialektisch anders spricht, als der Fraktionsvorsitzende, oder muss es unbedingt der Fraktionsvorsitzende selber sein, damit man sagt, wir bauen eine mächtig ausstrahlende Persönlichkeit auf. Die Variationen sind ja durchaus diskutabel, darüber ist überhaupt noch nicht geredet worden, sondern wer will was werden, und das finde ich ganz falsch. Wir sind eine Opposition, da kann man keine Macht verteilen, sondern arbeiten.

    Capellan: Aber das Diskutieren über Personen hat ja bereits wieder angefangen. Da wird Joachim Zeller genannt, Bezirksbürgermeister in Mitte, ehemaliger Generalsekretär der Christdemokraten. Was halten Sie von ihm als möglichen CDU-Chef in der Hauptstadt?

    Stölzl: Ich kann mich dunkel erinnern, dass Herr Zeller, als er als Bürgermeister gewählt wurde, weil er auch von anderen Parteien mitgewählt wurde, gewisse Versicherungen abgeben musste, sozusagen in Parteiämtern zurückhaltend zu sein. Es gibt eine ganz Reihe von Persönlichkeiten, die sicher in Frage kommen, wenn wir die Rolle des Landes definiert haben. Ich bin da ganz unentschieden. Ich sage, zunächst muss geschehen, was leider Diepgen nicht getan hat, nämlich genau zu erklären, welche Rolle muss dieser Landesvorsitzende spielen.

    Capellan: Also erst mal die inhaltliche Diskussion, wie Sie es eben geschildert haben.

    Stölzl: Hätte man über die Spitzenkandidatur gesprochen, wäre man gar nicht auf Diepgen gekommen, weil man schon im Wahlkampf gesagt hätte, bitte nicht schon wieder Bilder von Diepgen und Landowski. Hätte man darüber nüchtern nachgedacht statt über die Frage, was schulden wir Eberhard Diepgen, wäre es für ihn überhaupt nicht zu diesem Desaster gekommen. Nochmals: Erst Sachdiskussion, dann Personen.

    Capellan: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio