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Das Ende für den Rheinischen Merkur

Die katholische Bischofskonferenz hat entschieden, den "Rheinischen Merkur" einzustellen. Der Kölner Kardinal Meisner sei "gelegentlich missvergnügt" gewesen über einzelne Inhalte, sagt Chefredakteur Michael Rutz. Generell sei das Arbeiten als Journalist in der Redaktion der Wochenzeitung aber ein freies gewesen.

Michael Rutz im Gespräch mit Dirk Müller | 25.11.2010
    Dirk Müller: Das Ende einer publizistischen Institution, 1946 zum ersten Mal erschienen, heute erscheint er zum letzten Mal: der Rheinische Merkur. Die letzte Ausgabe der katholischen Wochenzeitung, die vielen immer viel zu konservativ war, anderen zu liberal. Für dritte wiederum lag genau in diesem Widerspruch die Stärke des Blatts. Doch es waren zuletzt wohl zu wenige, die den Merkur gelesen haben, fallende Abonnentenzahlen, immer weniger Anzeigen. So hat die katholische Bischofskonferenz dann einen Schlussstrich gezogen, den Rheinischen Merkur eingestellt. Begründung: Die Millionenverluste sind einfach zu hoch. Dabei gibt es noch eine andere Lesart: für den Kölner Kardinal Joachim Meisner war die Zeitung zu weltoffen, zu wenig linientreu. Brigitte Baetz berichtet:

    Nach Angaben von Insidern hatte er zum Schluss nur noch 14.000 zahlende Abonnenten. Dieser Niedergang der Auflage plus Überalterung der Leserschaft führten dazu, dass sich Deutschlands katholische Würdenträger das Intelligenzblatt aus Bonn nicht mehr länger leisten wollten, allen voran der konservative Kölner Kardinal Meisner.

    Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz:

    "Dass der 'Rheinische Merkur' aufgegeben wurde in der jetzigen Form, ist ein trauriger, aber notwendiger Entschluss, den die Gesellschafter des 'Rheinischen Merkur' getroffen haben. Die Anteilseigner, also die einzelnen Bischöfe, haben gesagt, wir können es in der gegenwärtigen auch finanziellen Situation der Kirche auf Dauer uns nicht mehr leisten, einen Zuschuss von 2,6 Millionen Euro im Jahr zu zahlen. Daher ist dieser Entschluss gefallen."

    1946 war der "Rheinische Merkur" von Franz Albert Kramer gegründet worden, einem von den Nazis verfolgten Journalisten. "Es gibt keinen größeren Namen, zu dem wir greifen könnten", schrieb er in seinem ersten Leitartikel. Im 19. Jahrhundert war der "Rheinische Merkur" des katholischen deutschen Patrioten Josef Görres eine publizistische Speerspitze im Kampf gegen Napoleon gewesen, europäische Ausrichtung plus christlicher, konservativ bis liberaler Fundierung.

    Vor allem in den Adenauer-Jahren hat der neue "Rheinische Merkur" die politische Debatte in der Bundesrepublik mitgeprägt. Seit den 60er-Jahren jedoch ging es mit seiner Bedeutung bergab. Ähnlich wie das "Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt" der Evangelischen Kirche, das 2000 eingestellt wurde, wurde seine journalistische Qualität stets gelobt, die Zeitung jedoch immer weniger gelesen und vor allem immer weniger gekauft.

    Wie viel Publizistik kann sich die Kirche leisten, wie viel muss sie sich leisten? Diese Fragen stellen sich beide großen christlichen Konfessionen in Deutschland seit langem. Beide setzen inzwischen vor allem aufs Internet und auf den guten alten Pfarr- beziehungsweise Gemeindebrief mit Informationen für die Gläubigen. Für eine kritische journalistische Stimme scheint da wenig Platz. Der "Rheinische Merkur" wird für mindestens ein Jahr erst einmal nominell weiterleben, mit nur noch wenigen Mitarbeitern als sechsseitige Beilage der Wochenzeitung "Die Zeit". Ob die bisherigen Abonnenten dieses Angebot annehmen werden, muss sich noch zeigen.

    "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo ist zuversichtlich:

    "Wir gehen da mit großem Tatendrang ran und ich glaube auch, dass wir was Gutes hinkriegen."

    Müller: Informationen von Brigitte Baetz. Am Telefon begrüße ich nun den Chefredakteur des "Rheinischen Merkur", Michael Rutz. Guten Morgen.

    Michael Rutz: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Rutz, sind Sie sauer auf den Kardinal?

    Rutz: Also zunächst mal muss man sagen, die Katholische Kirche hat 40 Jahre eine solche Wochenzeitung gehalten. Das ist ein Anlass zu sagen, das war richtig so. Sie einzustellen, glaube ich, ist ein Fehler, der auch eines Tages die Katholische Kirche reuen wird, denn es braucht eine solche Stimme in Zeiten, in denen sich sowohl die Gesellschaft in eine Richtung entwickelt, wie auch die individuellen Einstellungen, die eigentlich für eine christliche Organisation wie einer Kirche Anlass sein müssten, hier hinterher zu sein und zu schauen, dass alles in die Richtung läuft, in die man es haben will.

    Müller: Wie bewerten Sie die Rolle von Joachim Meisner?

    Rutz: Ich möchte da nicht spekulieren. Ich weiß aus persönlichen Gesprächen mit ihm, dass er gelegentlich missvergnügt war über den einen oder anderen Inhalt. Aber generell muss man sagen, dass das Arbeiten als Journalist beim Rheinischen Merkur ein freies gewesen ist, und diese freie Arbeit über die letzten 16 Jahre habe ich sehr geschätzt.

    Müller: Wer ist denn nun verantwortlich dafür gewesen, dass der Rheinische Merkur nach so vielen Jahrzehnten eingestellt wird?

    Rutz: Ja. Wie wir eben richtig gehört haben von Herrn Kopp: Es war die Deutsche Bischofskonferenz, die es am Ende einvernehmlich eingestellt hat.

    Müller: Die konservativen Kräfte?

    Rutz: Es kann sein, dass das ein bisschen obsiegt hat, denn die Stimmungslage war nicht einheitlich, aber am Ende war der Beschluss einheitlich, wie es in der Bischofskonferenz ja so üblich ist. Man muss im Übrigen auch korrigieren: Wir hatten nicht 13.000, sondern 22.000 zahlende Leser zum Schluss, und wenn man die hinzunimmt, die in den Kirchenkreis gingen, dann waren es 36.000.

    Müller: Da gibt es aber unterschiedliche Quellen, Herr Rutz?

    Rutz: Das mag sein.

    Müller: 13.000, 14.000 ist oft zu lesen.

    Rutz: Das ist deswegen nicht richtiger, und deswegen sage ich es auch hier. Aber jedenfalls ist das natürlich auch wenig, das muss man schon sagen, in einer Zeit, in der sich das Leserverhalten zunehmend wandelt und das Mediennutzungsverhalten, und viele jüngere Zielgruppen sich keine Zeitung mehr kaufen. Das ist wahr.

    Müller: Um noch mal über die Ursache zu reden. Sie sind Chefredakteur, aber Sie haben ja trotzdem auch Chefs, Sie haben Eigentümer. Das heißt, Sie waren in Ihrer publizistischen journalistischen Gestaltung zu liberal, zu weltoffen?

    Rutz: Das weiß ich nicht, ob es so gewesen ist. Sehen Sie, Herr Müller, wir hatten einen Auftrag, dieser Auftrag war, eine politische Wochenzeitung zu machen, und wie es im Gesellschaftsvertrag heißt, im Geiste der gleichberechtigten Zusammenarbeit beider Konfessionen. Das war unser Auftrag, der schriftlich festgehalten ist, und das haben wir getan. Zugleich sollten wir Forum sein für die Kirchen, für die innerkirchlichen Debatten und die Debatten, die rund um die Kirche und in den Religionen stattfinden. Dieser Aufgabe sind wir nachgekommen. Das können sie nur machen, wenn in der Redaktion auch ein freier Geist atmet. Es waren und sind alles überzeugte Christen, die diese Zeitung gemacht haben, und insofern war die Zeitung auch ein solches diskursives Forum. Darauf haben wir allerdings Wert gelegt, und weniger als das geht auch nicht.

    Müller: Wie viel Druck haben Sie in den vergangenen Jahren bekommen?

    Rutz: Wenig bis keinen. Das muss man sagen. Wenn ich die deutschen Verlage insgesamt anschaue und die Medien, dort gibt es überall diesen und jenen Druck. Der Druck, den wir gespürt haben, das war schon, das muss ich sagen, auch ein ökonomischer, und diesem ökonomischen Druck sind wir natürlich mit Sparwellen begegnet, aber damit kann man natürlich auf Dauer auch keine Zukunft gewinnen.

    Müller: Gehen wir, Herr Rutz, von der internen auf die Außensicht der Dinge. Warum war der Rheinische Merkur nicht mehr attraktiv genug?

    Rutz: Ich sagte Ihnen ja, zunächst mal hat sich das Medienverhalten gewandelt. Wir haben jede Woche aber 140.000 Leser erreicht, wenn Sie die Reichweitenanalyse von Allensbach zu Grunde legen. Und 140.000 Leser dieser Qualität jede Woche zu erreichen, ist eine Leistung, die man auch sich leisten können will und als Kirche, wie ich finde, muss. Aber es hat im Ökonomischen, wenn man es ganz rein ökonomisch betrachtet, auch nicht gereicht. Wir waren ein selbstständiger kleiner Verlag, da fehlte es dann auch an dem notwendigen Marketing-Geld. Und so ist es jetzt gekommen wie es ist.

    Müller: Warum hat das mit den Anzeigenkunden denn nicht mehr geklappt? War denen das definitiv zu wenig, diese 140.000 Reichweite, wie Sie gerade gesagt haben?

    Rutz: Wir hatten ja Anzeigen. Sie sehen in der letzten Ausgabe, dass wir sogar sehr viele Anzeigen haben. Aber das ist halt in der Summe nicht genug. Das können Sie in der ganzen deutschen Zeitungslandschaft betrachten. Das Anzeigenverhalten wandelt sich auch. Deswegen war es bei uns auch weniger, als es hätte sein müssen.

    Müller: Heute die letzte Ausgabe. Wie geht es mit Ihnen weiter?

    Rutz: Das ist eine nette Frage. Ich mache mir zunächst mal die nächsten vier bis sechs Wochen wenig Gedanken und dann strebe ich zu neuen Ufern, die ich noch suchen werde.

    Müller: Und Ihre Mitarbeiter?

    Rutz: Die Mitarbeiter haben in den letzten Wochen durch gemeinsame Bemühungen schon - viele von ihnen - neue Ufer gefunden. Also ich mache mir bei der Qualität der Mitarbeiter - das war eine exzellente Redaktion - eigentlich keine Sorgen, und die ersten Ergebnisse zeigen, dass das auch berechtigt ist.

    Müller: Wie viele werden arbeitslos werden?

    Rutz: Ich glaube, am Ende keiner.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Michael Rutz, Chefredakteur des Rheinischen Merkur. Vielen Dank, Herr Rutz.

    Rutz: Danke, Herr Müller.