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"Das erinnert mich schon sehr an die DDR"

Sachsens Kultusminister Steffen Flath hat den Vorstoß von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen zum Ausbau der Kinderbetreuung erneut kritisiert. Er glaube nicht, dass durch mehr Krippenplätze mehr Kinder geboren würden, sagte der CDU-Politiker. Zudem ignoriere seine Parteikollegin die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien. Danach sei es für das Kind besser, wenn es nicht schon im Alter von einem Jahr fremdbetreut werde.

Moderation: Jürgen Liminski | 15.02.2007
    Jürgen Liminski: "Wo Kinder sind, da ist ein goldenes Zeitalter." Diesen Satz des deutschen Frühromantikers Novalis zitiert die Bundesfamilienministerin gern. Novalis, mit bürgerlichem Namen Friedrich von Hardenberg, lebte in Thüringen und Sachsen, und dort war bis vor 17 Jahren das goldene Zeitalter sozusagen abgeschoben in Krippen und Heimen. Gegen eine Renaissance dieser Abschiebepraxis wehrt sich der sächsische Kultusminister Steffen Flath. Einmal DDR sei genug, wirft er der Parteifreundin von der Leyen vor.

    Aber haben sich die Zeiten nicht doch geändert, geht es den Kindern in den Krippen des Jahres 2007 nicht besser? Ist Frau von der Leyen wirklich vergleichbar mit Margot Honecker? Zu diesen und anderen Fragen begrüße ich nun den Kultusminister. Guten Morgen Herr Flath!

    Steffen Flath: Guten Morgen Herr Liminski!

    Liminski: Herr Flath, die Bundesfamilienministerin betreibt offenkundig eine Kampagne, ein halbes Dutzend Interviews in knapp zwei Wochen. Sie haben sich schon im Dezember gegen die Krippenoffensive gewandt. Wie begründen Sie Ihren Vorwurf vom DDR-Denken, das in dieser Offensive stecke?

    Flath: Nun ja, ich habe zwei Drittel meines Lebens in der DDR gelebt, und da reflektiert man natürlich zwangsläufig. In der DDR war es so: Es gab keinen gesetzlichen Zwang, die Kinder in die Krippe zu geben, aber es gab de facto einen Zwang, der ausgeübt wurde, indem man den Müttern zwölf Monate die Möglichkeit gegeben hat, auch Geld zu geben, dass sie zu Hause das machen konnten, und dann war der Weg vorbestimmt, möglichst schnell in die Krippe. Und daran habe ich mich jetzt wieder erinnert, als dieses Elterngeld, was durchaus ein vernünftiger Ansatz ist, aber was eben den Eltern nicht mehr die Wahlfreiheit bietet, auch ein Kind wenigstens bis zum dritten Lebensjahr zu Hause zu erziehen und bilden, den Weg hat man jetzt abgeschnitten, und das erinnert mich halt schon sehr an die DDR, weil es widerspricht im Grunde auch vielen Vorträgen, die ich gehört habe, weil ich mich seit 15 Jahren im Deutschen Familienverband engagiere.

    Liminski: Nun sagt Frau von der Leyen und sagen andere Parteifreunde von Ihnen auch, Arbeitsplatzbeschaffung sei die beste Sozialpolitik, und eine zufriedene, weil außer Haus erwerbstätige Mutter, sei eine bessere Mutter als eine, die zu Hause frustriert herumsitze, und dafür sind Krippen doch notwendig, oder?

    Flath: Man kann auf Krippen nicht verzichten, natürlich nicht, so realistisch bin ich auch, und was die Arbeitsmarktpolitik betrifft oder die Wirtschaftspolitik insgesamt, da ist natürlich viel dran. Ich meine, den Beweis haben wir hier ja hingelegt. Wir haben seit Jahren in Sachsen ein sehr, sehr gutes Angebot bei Kinderbetreuungseinrichtungen. Es hat nun nicht dazu geführt, dass hier etwa die Geburtenzahlen hochgeschnellt sind, sondern die sind genauso zurückgegangen wie in anderen Bundesländern. Sogar darüber hinaus sind Frauen hier abgewandert, obwohl sie so gute Betreuungsmöglichkeiten hatten, was wiederum ein Zeichen dafür ist, dass woanders es eben mehr Arbeitsplätze gibt, vielleicht auch bessere Verdienstmöglichkeiten gibt. Da gibt es schon überall einen Zusammenhang.

    Nur glaube ich nicht, dass nun in Sachsen mehr Krippen dazu führen würden, dass hier mehr Kinder geboren werden. Das kann ich nicht herleiten, das kann ich auch nicht verstehen. Ich verstehe wohl, dass es in Westdeutschland einen Nachholbedarf gibt und dass dort vielleicht Kommunen zukünftig mehr tun sollten, auch was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf betrifft. Aber in Sachsen sehe ich da keinen Nachholbedarf.

    Liminski: Die Kritik richtet sich auch weniger auf die Notwendigkeit von Krippenplätzen, sondern natürlich a) die Kosten, aber b) auch, dass die Familienpolitik doch ein bisschen was anderes sei als eine Unterabteilung der Arbeitsmarktpolitik, so hat der CSU-Politiker Glück das gestern hier an dieser Stelle im Deutschlandfunk bezeichnet. Was ist denn Ihrer Meinung nach die Familienpolitik?

    Flath: Also unbestritten gilt es in der Familienpolitik auch, dass man sich bemühen sollte von staatlicher Seite her, den Frauen ganz einfach die Vereinbarkeit mit dem Beruf zu erleichtern. Das ist unbestritten. Aber auf der anderen Seite - und das interessiert mich eben als Kultusminister besonders - muss ich doch auch mal fragen: Was ist denn für das Kind das Beste? Und hier sollten sich ganz einfach mehr Forscher, mehr Experten zu Wort melden, die doch ganz einfach den Nachweis erbracht haben, dass es aus der Sicht des Kindes zunächst mal in den ersten zwei bis drei Jahren sehr, sehr wichtig ist, Vertrauen, Vertrauen in eine Bezugsperson zu bekommen, und diese Zeit, na ja, auch da denke ich wieder an die DDR zurück. Das war nun freilich nicht gerade so ein schöner Anblick, wenn morgens 6:00 Uhr an der Bushaltestelle Mütter mit dem einjährigen Kind standen, also wenn ich dann daran denke, dass sie vielleicht schon früh um vier oder halb fünf aus dem Schlaf gerissen worden sind…

    Also ich will nur sagen, man muss immer mehrere Dinge berücksichtigen. Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist das eine, und das andere, dass wir möglichst in den Schulen mal später Kinder haben wollen, wo es ein Fundament gibt, wo es eine Familie gibt, wo es einen Halt gibt, wo es Vertrauen gibt, wo es Ausgeglichenheit gibt. Das muss doch auch gestattet sein, das mal zu beleuchten, und da werde ich zum Ergebnis kommen, dass es nun nicht unbedingt das Beste für das Kind ist, nach zwölf Monaten in eine Fremdbetreuung zu kommen.

    Liminski: Sie sprechen vom Kindeswohl und von den Ergebnissen der Bindungsforschung. In der Tat gibt es aus dem Ausland mahnende Stimmen von Entwicklungspsychologen und anderen Experten vor zu viel Fremdbetreuung. Aber Einzelkindern täte es doch gut, im Umgang mit anderen Kindern soziale Kompetenz zu erlernen?

    Flath: Das kommt aber ein bisschen später. Auch hier würde ich darauf verweisen, dass es viele Studien gibt, dass es zunächst einmal beim Kind, je kleiner es ist, auch das Verhältnis zur Bezugsperson, meist die Mutter, es kann auch der Vater sein, es kann vielleicht eine Großmutter sein, und dass das Behaupten in der Gemeinschaft auch gegenüber Gleichaltrigen, also ich denke mal, wenn man da mit drei Jahren beginnt, dann hat man da noch nichts versäumt.

    Liminski: Noch einmal zur Krippenoffensive mit dem Kampagnencharakter, Herr Flath. So eine weit ausladende Medienkampagne kann eigentlich nur mit Zustimmung der Bundeskanzlerin geschehen, und der Präsidiumsbeschluss der CDU vor ein paar Tagen zu dieser Krippenoffensive weist auch darauf hin. Halten Sie Ihre DDR-Kritik an der Bundesfamilienministerin auch dann aufrecht, wenn sie die Meinung der Bundeskanzlerin widerspiegelt?

    Flath: Also mir ging es mit meiner Meinungsäußerung nicht darum, jetzt einen Konflikt zur Bundeskanzlerin, die ich ja sehr schätze, heraufzubeschwören. Darum ging es nicht. Ich denke aber, wir leben in einem freien Land, und es ist gerade auch für die CDU wichtig, in einer so grundlegenden Frage - denn Familienpolitik war immer aus meiner Sicht eine Kernkompetenz der CDU - eine Auseinandersetzung zu führen, mit dem Ziel, dass man sicherlich sich verständigen kann auf ein "sowohl als auch". Man muss auf der einen Seite natürlich Betreuungsplätze anbieten, und auf der anderen Seite aber auch ist die Gesellschaft sehr darauf angewiesen, die Familie zu stärken, auch in ihrer freien Entscheidung zu stärken, dass verschiedene Lebensläufe möglich sind.

    Denn was ich jetzt feststelle, ist, dass sich viele außerordentlich engagierte Eltern und Mütter regelrecht vor dem Kopf gestoßen fühlen, wenn sie hören, das Beste ist nach zwölf Monaten das Kind in professionelle Hände zu geben. Da verschlägt es den Leuten regelrecht die Sprache, weil sie haben sich daran gewöhnt, dass sie wenig Anerkennung bekommen, aber dass sie nun ausgerechnet auch noch von der CDU jetzt vor die Frage gestellt werden, dass sie sich rechtfertigen müssen, wenn sie nämlich ihr Kind - und das sind gar nicht so wenige, wie ich aus Zuschriften erfahren habe, die sich sehr liebevoll zu Hause um den Nachwuchs kümmern -, dass sie keinerlei Anerkennung bekommen und sich darüber hinaus rechtfertigen müssen. Und das verdient ganz einfach mal in der Öffentlichkeit angesprochen zu werden.

    Liminski: Herr Flath, zu den Kosten der Krippenoffensive: Der baden-württembergische Ministerpräsident übt Kritik, weil der Bund sich hier in die Belange der Länder einmische. Nach Aussagen von Frau von der Leyen geht es um drei Milliarden, nach Berechnungen des Familiennetzwerkes, die sich auf die Zahlen des nordrhein-westfälischen Familienministeriums stützen, handelt es sich um mindestens acht Milliarden. Hat die Krippenoffensive angesichts dieser Größenordnung und des Widerstandes in den Ländern überhaupt eine realistische Chance?

    Flath: Also als Signal für Kommunen in Westdeutschland hat es sicherlich eine Chance, einen Anstoß zu bekommen in Gemeinden, in Stadträten, in Kreistagen diese Diskussion aufzunehmen. Wer das Ganze bezahlt, ist eigentlich jetzt auch keine Frage der Familienpolitik, sondern das muss ausgestritten werden mit Gremien, Städte- und Gemeindetag oder Landkreistag, und ich hoffe mal nicht, dass es am Ende so ausgeht, dass möglicherweise der Bund dann eher Familien noch in die Tasche greift, wie das durchaus jetzt beim Elterngeld ja leider geschehen ist.

    Ich meine, das ist relativ wenig beachtet worden, dass man nämlich das Kindergeld, die Bezugsdauer verkürzt hat, damit den Familien in die Tasche gegriffen, um das Elterngeld zu finanzieren. Deshalb halte ich es nicht für statthaft, das Geld den Familien zu holen, um es zum Beispiel jetzt in Krippen zu stecken. Wenn das aus den kommunalen Haushalten, weil sie vielleicht auch jetzt bessere Steuereinnahmen haben, finanziert wird, wäre dagegen nichts einzuwenden.

    Liminski: Nach Finanzminister Steinbrück sollte man das grundgesetzlich gesicherte steuerliche Existenzminimum für Kinder außer Kraft setzen, um die Krippenplätze zu finanzieren. Damit ist Frau von der Leyen vielleicht einverstanden, aber findet diese Aufhebung eines Grundrechtes auch eine Mehrheit in der Union?

    Flath: Davon gehe ich mal nicht aus, dass es da eine Mehrheit gibt, weil wer bisher Familienpolitik betrieben hat, war im Grunde das Bundesverfassungsgericht, und es gibt mehrere Urteile, die darauf hinweisen, dass das Existenzminimum der Kinder zu berücksichtigen ist, und die Politik wurde eher ermahnt von den Richtern, dort mehr zu tun als bisher, dass nämlich eben es nicht dazu kommt, dass Familien im Vergleich zu kinderlos Lebenden benachteiligt werden. Deshalb halte ich für keinen Ausweg, etwa dort an das Existenzminimum ranzugehen.

    Liminski: Skepsis und Zweifel an der Krippenoffensive der Großen Koalition wachsen. Das war Steffen Flath, Kultusminister im Freistaat Sachsen. Besten Dank für das Gespräch, Herr Flath!

    Flath: Bitteschön!