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"Das EU-Land Italien schaut den Roma-Jägern tatenlos zu"

Der König der Roma im rumänischen Sibiu, Florin Cioaba, hat den EU-Beitritt Rumäniens im Grundsatz als positiv bewertet. Zwar hätten sich die sozialen Verhältnisse, in denen Roma lebten, nicht gebessert. Dafür erhielten sie nun politische Anerkennung als Minderheit. Die zunehmende Diskriminierung der Roma vor allem in Italien verurteilte Cioaba aufs schärfste.

Moderation: Sabine Adler |
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Angst vor so genannten Billigarbeitern aus Osteuropa war eine der Hauptsorgen vor der Erweiterung der Europäischen Union. Mit Schutzklauseln wurde diesen Sorgen Rechnung getragen. Die Folge: Nicht jeder Arbeitnehmer etwa aus Rumänien oder Bulgarien darf also schon in Deutschland leben und arbeiten. Schon plant die Bundesregierung, diese Einschränkung der Freizügigkeit um zwei weitere Jahre zu verlängern. Doch die Abschottungspolitik funktioniert nicht immer. Die neue Regierung Berlusconi in Italien will sich deshalb jetzt mit neuen Mitteln gegen unerwünschte Gäste zur Wehr setzen. Sämtliche eingewanderte Roma sollen per Fingerabdruck registriert werden - angeblich zum Schutz der Roma-Kinder, die zum Betteln gezwungen werden. Nicht nur für Menschenrechtsgruppen ein unglaublicher Skandal. Sabine Adler hat in Hermannstadt den König der Roma in Rumänien Florin Cioaba getroffen und mit ihm über die schwierige Lage seiner Minderheit gesprochen.

    Sabine Adler: König Cioaba, wir befinden uns hier in einem ganz besonderen Raum Ihrer Villa, wofür wird dieser Raum genutzt?

    Florin Cioaba: Dies ist der Thronsaal, in dem ich meine hohen Gäste empfange: Politiker, Geschäftsleute. Hier trifft sich auch der Thronrat. Und meine Krönung hat hier stattgefunden, 1997, vor elf Jahren - direkt am Sarg meines Vaters, der hier aufgebahrt war.

    Adler: Ihre Visitenkarte zeigt sie mit Zepter und Krone, die Sie jetzt aber nicht tragen.

    Cioaba: Die Krone besteht aus massivem Gold, wie das Zepter. Beides liegt in der Bank. Für uns Nomaden war das Gold außerordentlich wichtig, weil wir schließlich nicht in Grundstücke und Häuser investieren konnten. Gold konnte in kleinen Portionen mitgenommen und überall versteckt werden. Für die Frauen war es eine wichtige Mitgift. Sie konnten nicht heiraten, wenn sie keine Goldmünzen hatten.

    Adler: Es gibt mehrere Roma-Könige und sogar einen selbsternannten Kaiser. Wen vertreten Sie? König welches Reiches sind Sie?

    Cioaba: In Europa gibt es ungefähr zwölf Millionen Roma. Ich vertrete die Kalderasch, also die Kessel- und Kupferschmiede und Metallarbeiter, und die Lowar, die Händler, einschließlich Importeure und Exporteure. Und jeden, der sich zu uns bekennt und uns anerkennt als Autorität. Das sind nicht alle Roma, aber wer sich durch mich weltweit vertreten fühlt, den vertrete ich auch international und ich repräsentiere das internationale christliche Zentrum der Roma.

    Adler: Zeichnet sich eine Verbesserung der sozialen Lage der Roma mit dem Beitritt zur EU ab?

    Cioaba: Uns geht es in zweifacher Hinsicht jetzt besser: In der kommunistischen Zeit, während der Ceausescu-Diktatur, hatten die Roma keinerlei politische Vertretung gehabt. Wir waren nicht als Minderheit anerkannt, sondern alle Rumänen. Sozial allerdings waren die Roma besser gestellt. Damals hatten alle einen Arbeitsplatz, eine Wohnung, Kinder wurden verpflichtet, zur Schule zu gehen. Es gab Vor- und Nachteile. Nach 1990 wurden wir anerkannt als Minderheit. Wir bekamen eine Fernsehsendung, Zeitungen, haben jetzt mehr als 250 politische und andere Organisationen, einen Roma-Abgeordneten im Parlament. Jetzt dagegen haben viele keinen Arbeitsplatz, leben in schlechten unhygienischen Wohnverhältnissen, unter desaströsen Bedingungen, ohne jeden sozialen Schutz, bekommen ohne Arbeitsplatz keinen Zugang zum Gesundheitswesen. Deshalb suchen viele Roma jetzt ihr Glück jenseits unserer Grenzen, in Frankreich, Spanien oder Italien, wo sie sehr stark diskriminiert werden. Wir haben an den Vorsitzenden der EU-Kommission Barroso und den Vorsitzenden des Europäischen Parlaments appelliert, einzugreifen gegen die katastrophale Diskriminierung der Roma in Italien.

    Adler: König Cioaba, wie Sie hat auch schon Ihr Vater sein Amt als König sehr politisch verstanden. Er kämpfte gegen das Analphabetentum der Roma, für Chancengleichheit. Schon er war - wie Sie jetzt - Vertreter der Roma bei der UNO. Mit den Vorgängen in Italien will sich die EU nächste Woche erneut befassen. Tut sie genug?

    Cioaba: Das EU-Land Italien schaut den Roma-Jägern tatenlos zu und verachtet damit die Rechte anderer EU-Bürger, in diesem Falle der Roma. Roma werden gejagt, umgebracht, ihre Häuser angezündet. Das ist nicht tragbar. Wenn das so weitergeht, muss man von zwei Kategorien von Bürgern sprechen: die einen, die sich der Freizügigkeit und der Bewegungsfreiheit innerhalb Europas erfreuen, und die anderen, die Roma, die als europäische Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Dagegen kämpfen wir von der Weltorganisation der Roma aber auch vom Europäischen Forum der Roma.

    Adler: Die Europäische Union beziffert ihre finanzielle Hilfe vom Jahr 2000 bis 2006 für Roma auf 275 Millionen Euro. Welche Projekte sind sinnvoll, welche dagegen nicht?

    Cioaba: Alle Projekte, die die EU unterstützt, sind für uns wichtig und gut, weil es sich hauptsächlich um Projekte im sozialen Bereich, in der Verbesserung der Infrastruktur handelt. Die meisten Roma wohnen in Ortschaften oftmals ohne fließendes Wasser, Kanalisation, Strom oder Gas. Das sind Lebensverhältnisse, die nicht zu Europa passen. Die wichtigsten Projekte betreffen die Bildung und Ausbildung unserer Kinder. Den Kampf gegen den Analphabetismus müssen wir gewinnen. Wichtig sind aber auch Projekte, die die Gründung von Unternehmen fördern, damit die Menschen selbst Geld erwirtschaften können.

    Adler: Den letzten groß angelegten Versuch, Roma sesshaft zu machen, gab es während der Ceausescu-Diktatur. Vielfach haben Roma in dieser Zeit einfach Land besetzt und bebaut, ohne sich um Eigentumsverhältnisse zu kümmern. Jetzt, da man sich für Privatbesitz und die Eigentumsverhältnisse interessiert, erweist es sich als echtes Problem, dass die meisten der Roma nicht einmal amtlich registriert sind. Deswegen haben sie keinen Zugang zu staatlichen Sozialleistungen. Kindergeld oder Sozialhilfe bekommt nur, wer amtlich gemeldet ist. Die EU nimmt sich dieses Problems an. Mit welchem Erfolg?

    Cioaba: Erstmals, seitdem Rumänien in der EU ist, haben die Roma die Möglichkeit, ihre Papiere in Ordnung zu bringen. Wir haben in Rumänien rund 500.000 Roma gänzlich ohne Papiere. Sie besitzen keinen Personalausweis, keinen Pass, aber auch keinen Eigentumsnachweis für ihren Grund und Boden, ihre Häuser. Inzwischen konnten wir etliche anmelden und langsam hoffen wir, dass das zur Normalität gehört. Ohne die EU-Zuschüsse hätten wir das nicht geschafft.

    Adler: Es gibt durchaus äußerst wohlhabende Roma. Wie steht es um die Solidarität innerhalb der Minderheitengemeinschaft?

    Cioaba: Das ist bei uns nicht anders als in Deutschland, wo die Reichen auch nicht solidarisch sind. Man kann 100, 200, 500 Menschen helfen, aber nicht Millionen. Wir haben mehr als zwölf Millionen Roma europaweit. Selbst wenn einige reich sind, haben sie dennoch nicht das Geld, um allen zu helfen. Das ist die Sache der Regierung und der EU, dafür zu sorgen, dass alle ein Auskommen haben und ein würdiges Leben. Europa hat sich das nicht recht klar gemacht, was nach dem Beitritt mit den vielen Roma geschieht. Brüssel war völlig unvorbereitet auf diese Immigration. Natürlich hätten sie damit rechnen müssen, dass aus Bulgarien, Polen, Tschechien, der Slowakei und Rumänien nicht die Wohlhabenden in den Westen ziehen, sondern die Armen.

    Heckmann: Sabine Adler war das im Gespräch mit Florin Cioaba, dem König der Roma in Rumänien.