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"Das findet dann erst statt, wenn der Bagger kommt"

Gerd Landsberg wünscht sich für kommende Großprojekte eine bessere Öffentlichkeitsarbeit. Es mache keinen Sinn, mit einer Informationskampagne zu beginnen, wenn das Planverfahren bereits laufe. Allerdings müssten die Kosten für die Kampagnen in die Projektkosten mit einfließen.

Gerd Landsberg im Gespräch mit Gerd Breker | 01.12.2010
    Gerd Breker: Der Schlichter hat gesprochen, der Stresstest kann kommen, aus "Stuttgart 21" ist "Stuttgart 21 plus" geworden, wobei dieses Plus auch dafür stehen könnte, dass das Bauprojekt noch etwas teurer werden könnte. Mit dem Spruch von Heiner Geißler ist gestern etwas in dieser Republik Einmaliges zu Ende gegangen. Streitende Parteien setzen sich an einen Tisch und tauschen zivilisiert Argumente aus. So weit, so gut. Nur am Ende steht ein Spruch, der lautet "weiter bauen", was zu Beginn auch schon klar war. Die Schlichtung ist vorbei. Gibt es Sieger und Besiegte, oder haben alle gewonnen? Der Tag danach, die Ernüchterung in der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Das Großprojekt "Stuttgart 21" hat diese Republik schon verändert. Die repräsentative Demokratie, sie hat ihre Grenzen gesehen. Die Bürger wollen mit einbezogen werden, sie misstrauen der Politik und vor allem den Politikern, die entscheiden und erwarten, dass die Regierten blind glauben, dies sei zu ihrem besten. "Stuttgart 21" offenbarte eine Glaubwürdigkeitskrise zwischen Wählern und Gewählten. Ob diese mit einer Schlichtung überwunden ist, darf bezweifelt werden. Politik und Politikvermittlung, sie müssen sich ändern. Am Telefon bin ich nun verbunden mit Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer und Präsidiumsmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Guten Tag, Herr Landsberg.

    Gerd Landsberg: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Was lernen wir aus der Schlichtung zu "Stuttgart 21", ein Einzelfall, oder wird das ein Beispiel für die Zukunft werden?

    Landsberg: Ich hoffe nicht, dass es ein Beispiel für die Zukunft wird, denn das würde ja bedeuten, dass wir jede Menge Schlichtungsverfahren bekommen, denn es gibt ja viele Großprojekte, ich erinnere nur an den Ausbau der alternativen Energie. Da brauchen wir fast 3600 Kilometer neues Leitungsnetz, das sind Hochspannungsleitungen. Wenn man da in dieser Form überall einen Schlichter bräuchte, wäre das sehr schwerfällig. Ich denke aber, wir können etwas daraus lernen, dass nämlich die bisherigen Formen der Bürgerbeteiligung einfach nicht mehr so angenommen werden, aber vielleicht auch nicht mehr so zeitgemäß sind, wie sie sein sollten.

    Breker: Das Vertrauen der Wähler in die Weisheit der Gewählten ist einfach dahin und Großprojekte werden dann immer schwerer durchzusetzen?

    Landsberg: Den Eindruck kann man gewinnen. Aus meiner Sicht hängt das auch ein bisschen mit der Finanz- und Wirtschaftskrise zusammen. Die Menschen sind einfach misstrauisch. Sie haben lange den Bankern und dem System vertraut und plötzlich heißt es nein, das funktioniert alles nicht mehr und jetzt müsst ihr Steuerzahler bezahlen, und das gilt natürlich auch für solche Großprojekte, die wir allerdings brauchen. Das ist für einen Wirtschaftsstandort unverzichtbar. Und es ist ja auch nicht so, dass es nicht genügend Beteiligungsformen gibt, nur die sind eben sehr stark formalisiert. Da findet also eine Bürgerversammlung statt, dann gehen die Menschen dahin, meistens sind es natürlich wenige und werden informiert. Viele, die sich interessieren, haben keine Zeit, oder gehen generell nicht zu so etwas. Ich glaube, da muss man das ganze Planungsrecht sich noch mal kritisch anschauen und sagen, können wir das nicht im Internetforum machen, können wir nicht auch dafür werben. Das ist ja letztlich auch eine Frage des Kommunikationsmarketings. Da sind wir noch in den Kinderschuhen im Planungsrecht. Andererseits, glaube ich, müssen wir auch dafür sorgen, dass das Planungsrecht straffer wird. Es dauert einfach zu lange. Wenn Sie sich das Beispiel Stuttgart nehmen, das ganze Verfahren läuft seit 15 Jahren. Und wenn man mal ins Ausland schaut, das geht da sehr viel schneller. Ich denke, Bürgerbeteiligung verbessern, mehr Internetforen, aufklären, offene Kommunikation, aber dafür vielleicht das formalisierte Planungsrecht deutlich straffen.

    Breker: Politik müsste vielleicht auch lernen, Herr Landsberg, dass Argumente wie Sachzwänge, Alternativlosigkeit, vertragliche Verpflichtungen einfach keine überzeugenden Argumente mehr sind.

    Landsberg: Das ist zweifellos richtig. Man muss natürlich auch anerkennen, die politischen Fragen werden immer komplizierter. Ob sie das Gesundheitssystem nehmen, das Steuersystem, Gorleben, das zu erklären ist schwer. Aber zu tun gegenüber dem Bürger, also das müsst ihr jetzt so akzeptieren, das ist falsch. Man kann eigentlich alles erklären, man muss das natürlich entsprechend vorbereiten und auch einen langen Atem haben. Wenn wir noch mal auf Stuttgart kommen: Es macht natürlich nicht Sinn, mit einer Informationskampagne zu beginnen, wenn die Bagger schon fahren. Das muss viel früher geschehen. Wir müssen jetzt zum Beispiel schon auch dafür werben, wofür brauchen wir diese Hochspannungsleitungen, weil wir nämlich sonst keine alternative Energie in der Geschwindigkeit haben, wie wir uns das alles wünschen. Das findet dann erst statt, wenn der Bagger kommt und der einzelne Strommast errichtet werden soll, beziehungsweise wenn das Planverfahren läuft. Also ein langer Atem und man muss fairerweise sagen, das muss natürlich auch in die Kosten eines solchen Projektes eingebunden werden. Wenn ich mir vorstelle, es gab zu keinem Zeitpunkt am Stuttgarter Bahnhof eine Infobox, wo man sich das mal anschauen konnte, wie sieht das hinterher aus, was ist der Vorteil, was ist der Nachteil. Das war in Berlin ganz anders, und auch wenn man ins Ausland schaut: In Wien wird genau das gleiche gemacht, da kommt der Kopfbahnhof unter die Erde, mit Zustimmung der Bevölkerung, aber auch mit einer anders begleiteten Informationskampagne.

    Breker: Sie haben gesagt, in Sachen Energieversorgung kommen weitere Großprojekte auf uns zu. Die Infrastruktur dafür ist notwendig. Nur der Einzelne, der sieht seine eigene Betroffenheit und bezweifelt am Ende den Nutzen des großen Ganzen.

    Landsberg: Das ist ein Problem. Jeder ist natürlich für alternative Energie, aber letztlich kommt für den Einzelnen natürlich der Strom aus der Steckdose und sowie es ihn persönlich betrifft, ist die Begeisterung dann geringer. Aber auch das kann man aufbrechen. Man wird auch akzeptieren müssen, sie können nicht bei jedem Projekt alle mitnehmen, es gehört auch zur Demokratie, dass Menschen Mehrheitsentscheidungen akzeptieren, auch wenn sie selber davon nicht überzeugt sind. Aber auch dafür muss man wiederum werben.

    Breker: Die Schlichtung zu "Stuttgart 21" war ja für die Fernsehanstalt Phönix ein Quotenbringer. Offenbar interessieren sich die Menschen und sie wollen auch irgendwo das Fachchinesisch verstehen. Was lernen wir daraus?

    Landsberg: Wir lernen daraus, dass die Bürger vielleicht gar nicht so politikverdrossen sind, wie das immer dargestellt wird. Sie wollen eingebunden werden, sie wollen sich auch fachlich einbringen können. Wir können ja auch vieles lernen. Auch der Schlichterspruch zeigt ja, dass viele Aspekte auch der Kritiker aufgenommen wurden. Ich denke, das ist eine Chance und kein Risiko und es ist ein klares Signal, die Demokratie funktioniert, wenn auch nicht immer nach den Regeln, wie wir sie bisher aufgestellt haben, oder wie sie sich manche Politiker wünschen.

    Breker: Herr Landsberg, glauben Sie an die Lernfähigkeit der Politik?

    Landsberg: Ich bin überzeugt von der Lernfähigkeit der Politik. Ich bin auch überzeugt von der Demokratie.

    Breker: Die Meinung des Hauptgeschäftsführers des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, im Deutschlandfunk.