Durak: Könnte so unsere künftige europäische Sicherheitspolitik aussehen?
Klaiber: Also, ich muß Ihnen sagen: Ich habe den Vorspann nicht gehört. Deshalb weiß ich Ihre Frage nicht.
Durak: Ich habe das Problem geschildert, was wäre, wenn wir in Europa innerhalb der EU der EU-Integration folgend auch eine gemeinsame Armee bilden würden, eine Europaarmee, spezialisiert nach den Nationen und den Erfahrungen der Nationen.
Klaiber: Also, das ist ein sehr interessanter Gedanke, der langfristig sicher verfolgt werden muß. Aber kurzfristig ist es wahrscheinlich noch nicht möglich, denn die Sicherheit und die Verteidigung sind die Dinge, die wohl als Allerletztes aus der Souveränität der Nationen herausgelöst werden können.
Durak: Welche Vorteile aber, Herr Kleiber, würde uns eine solche Europaarmee, auch wenn sie langfristig käme, bieten?
Klaiber: Also, es würde sicher eine Menge Vorteile bieten. Man könnte die verschiedenen Waffenkategorien den einzelnen Ländern zuordnen, und die Entscheidungsfindung wäre wahrscheinlich schneller, als sie heute ist. Andererseits muß ich sagen: Das, was wir gerade im Kosovo erlebt haben - die Zusammenarbeit der europäischen Nationen - hat vorzüglich geklappt.
Durak: Und sollte also fortgesetzt werden in dieser Art, sollten wir wieder in Krisensituationen kommen?
Klaiber: Ja, es handelt sich ja doch um folgendes Problem: Die Tatsache, daß die Europäer im Vergleich zu den Vereinigten Staaten militärisch weniger Beiträge geleistet haben, liegt daran, daß die einzelnen Nationen wahrscheinlich nicht für die heutige Zeit ausreichende Strukturen und vernünftige Ausbildung erreicht haben. Und hier muß noch etwas getan werden. Ich glaube, das ist aber möglich durch eine gute und verbesserte Zusammenarbeit unter den Nationen, denn die Interoperabilität zwischen den Nationen durch die Mitgliedschaft in der NATO ist vorzüglich.
Durak: Vor der Zusammenarbeit sollte aber das Fitmachen sozusagen im eigenen Hause gehören. Damit sind wir zwangsläufig bei der Bundeswehr. Die Diskussion um eine Europaarmee rankt sich ja auch um die Diskussionen, wie und wo bei der Bundeswehr gespart werden muß. Nun wissen wir: Die Bundeswehr ist gut, was die Krisenreaktionskräfte angeht, sie ist etwas schwächer, was die herkömmliche Landesverteidigung angeht. Sie haben Defizite angesprochen bei den Nationen, und sie meinen auch die Bundeswehr?
Klaiber: Also, mit Sicherheit hat auch die Bundeswehr noch Nachholbedarf. Aber wir müssen sehen, daß die Bundeswehr anders als andere Nationen in Europa bis zur Wiedervereinigung eine völlig andere Ausrichtung gehabt hat, nämlich die Ausrichtung ausschließlich in Richtung Landesverteidigung. Das hat sich erst in den letzten 10 Jahren langsam gebildet, und solche Reformen lassen sich ja nicht übers Knie brechen. Und insofern habe ich viel Verständnis, daß hier nun eine Reformkommission eingesetzt ist, um die neue Herausforderung zu prüfen und danach dann die Reformen vorzunehmen.
Durak: Wie wird denn in der NATO in Brüssel überhaupt diese Spardiskussion um die Bundeswehr aufgenommen? Da geht es ja sehr hart zur Sache hier.
Klaiber: Also, ich gebe Ihnen zu, daß in Brüssel natürlich alle Bemühungen, Verteidigungshaushalte weiter zu senken - vor allem nach den Erfahrungen jetzt in Bosnien und Kosovo -, nicht gerade beglückende Reaktionen auslösen. Aber andererseits wissen wir auch: Jede Nation ist für ihr eigenes Glück und für ihre eigene Ausrüstung verantwortlich. Und so, wie die Bundeswehr jetzt ist, kann sie natürlich immer noch enorme Beiträge für die gemeinsame Sache leisten.
Durak: Sie ist aber an den Grenzen der Belastbarkeit angekommen, gerade, was die Krisenreaktionskräfte angeht, sagen die Kritiker. Wird das dort auch so gesehen?
Klaiber: Das ist richtig, aber das gilt nicht nur für die Bundeswehr. Wir alle müssen unsere Überlegungen danach ausrichten, daß wir keinen Großangriff einer nicht mehr existierenden Sowjetunion zu erwarten haben, sondern möglicherweise für Krisen vernünftige Kräfte bereitstellen müssen. Und diese Reform - die treffen alle. Und vor allem eines möchte ich noch sagen: Es ist natürlich schon richtig, daß in den letzten zehn Jahren alle Länder in Europa die Ausgaben für die Verteidigung zurückgefahren haben - aus eben diesem Grunde. Aber jetzt müssen wir erkennen, daß aus anderen Krisengründen wir nunmehr uns überlegen müssen, ob wir nicht etwas zu weit gegangen sind, ob wir nicht diesen Trend der immer weiter zurückgehenden Verteidigungsausgaben umkehren müssen.
Durak: Sehen sie denn überhaupt eine Chance - jetzt auf Deutschland bezogen, und wir können uns ja nur im Grunde mit Deutschland beschäftigen -, daß da ein Stop kommen wird?
Klaiber: Also, ich bin im Moment hier internationaler Beamter und für die NATO zuständig. Wir verfolgen die Diskussion in Deutschland natürlich sehr aufmerksam, und wir hoffen natürlich, daß die Kürzungen auf ein absolutes Minimum beschränkt werden können und daß die Reformvorhaben relativ rasch durchgeführt werden können.
Durak: Herr Kleiber, kehren wir zurück zum Thema Europaarmee, das ja nicht separat von den Diskussionen um die Bundeswehr laufen kann, Sie haben es eingangs schon kurz angedeutet. Wie steht es denn mit dem politischen Einfluß der einzelnen Nationen auf eine mögliche gemeinsame Armee? Läßt sich da ein Konsens finden? Was denken Sie?
Klaiber: Das ist eine vollkommen berechtigte Frage. Es geht im Grunde genommen bei der ganzen Diskussion um eine europäische Sicherheits- und Verteidigungskraft darum, ob die Nationen politisch bereit sind, diesen weitgehenden Schritt zu gehen. Und bei dem Europäischen Rat in Köln ist ja beschlossen worden, die europäische Sicherheitsidentität zu stärken. Und auf diesem Weg müssen wir nun deutlich voranschreiten. Ich darf Ihnen sagen: Auch der amerikanische Bündnispartner stellt sich dieser Diskussion mit großem Interesse, weil auch unsere amerikanischen Freunde daran interessiert sind, daß die Europäer in diesem Bereich leistungsfähiger werden.
Durak: Wer könnte denn ineinander aufgehen? Die Europaarmee in der NATO? - Das geht nicht ganz. Oder die NATO in der Europaarmee? Auch das geht irgendwie nicht ganz. Wie könnte das aussehen?
Klaiber: Nein, diese Frage ist ja schon vorentschieden, daß wir eine unabhängige autonome europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität anstreben, aber im Falle der Notwendigkeit auch auf Ressourcen der NATO zurückgreifen können. Insofern wird hier eine europäische Identität geschaffen, jedenfalls wird sie angestrebt. Aber sie wird nicht in die Richtung gehen, daß dabei dann Ressourcen von der NATO abgezogen oder Ressourcen von Europa der NATO zugeordnet werden, sondern daß hier eine intensive Zusammenarbeit und Ergänzung erreicht wird.
Durak: Aber noch einmal einfach und praktisch gedacht. Identität hin und her: Es handelt sich ja um Mann und Maus sozusagen. Habe ich hier die Europasoldaten und dort die NATO-Soldaten?
Klaiber: Nein, nein. Es gibt ja schon - wie Sie wissen - das Euro-Corps, es gibt eine enge Zusammenarbeit zwischen den Niederländern und Deutschen. Es gibt eine andere enge Zusammenarbeit zwischen Dänen, Polen und Deutschen. Also, hier gibt es ja schon multinationale Gruppierungen, und die müssen nur ausgeweitet und ausgebaut werden. Dann läßt sich so eine Identität über kurz oder lang schaffen.
Durak: Unter Verzicht der nationalen Armeen?
Klaiber: Ja sicher. Das muß das endgültige Ziel sein. Nur sagte ich Ihnen ja schon am Anfang, daß die Aufgabe gerade einer nationalen Armee der größte Schritt des Verlustes der Souveränität anlangt, und dann muß der politische Wille noch ausgebildet werden in diese Richtung.
Durak: Noch ein Wort aus Ihrer Brüsseler Erfahrung, Herr Kleiber. Die Diskussion hier, was das Sparen angeht, bewegt sich auch um die Dauer der Wehrzeit. Und wir schauen auf die Krisenreaktionskräfte - da sind ja keine Wehrpflichtigen dabei, aber immerhin. Wehrpflicht reduzieren auf fünf Monate - läßt sich so eine Armee vernünftig aufrecht erhalten?
Klaiber: Also, es kommt darauf an, wie es organisiert ist. Ich persönlich meine: So ein Gedanke sollte zumindest geprüft werden. Insgesamt meine ich aber, für die Bundesrepublik Deutschland hat die Wehrpflicht die Integration unserer Streitkräfte in die Gesellschaft gebracht, und man sollte daran festhalten. Und ich bin auch der Meinung: Die Diskussion um eine Berufsarmee ist sicher auch berechtigt. Aber man muß wissen, daß eine Berufsarmee letztlich teurer ist, als die Armee der Wehrpflichtigen.
Durak: Dankeschön. Das war Klaus-Peter Kleiber, Chef der politischen Abteilung der NATO, stellvertretender NATO-Generalsekretär. Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Kleiber, nach Brüssel.
Klaiber: Bitte sehr, auf Wiederhören.
