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Das Geheimnis der Stinkewale

Biologie. - Beinahe wären die nordpazifischen Grauwale ausgerottet worden, erst ein Jagdverbot der Internationalen Walfangkommission brachte eine Erholung der Bestände. Dennoch werden jährlich rund 140 der Tiere erlegt, doch ihr Fleisch ist immer öfter ungenießbar - denn es riecht nach Chemikalien.

Von Arndt Reuning |
    Seit ungefähr vier Jahrzehnten kennt das Volk der Tschuktschen im äußerten Nordosten von Russland das Phänomen der stinkenden Wale. Aber erst in den vergangenen zehn Jahren häufen sich die Fälle. Das Fleisch von erlegten Grauwalen riecht nach Chemielabor. Noch nicht einmal die Schlittenhunde wollen es fressen. Die erste, naheliegende Vermutung war natürlich, dass sich im Gewebe der Meeresriesen Giftstoffe aus der Erdölindustrie angesammelt hatten. Ein Vergleich zwischen dem Fleisch von stinkenden und nicht-stinkenden Artgenossen zeigte aber: Der Geruch stammt nicht von industriellen Chemikalien, sondern von natürlichen, die im Körper der Wale beim Stoffwechsel gebildet werden. Aber offenbar ist irgend etwas aus dem Gleichgewicht geraten, vermutet Professor Lee Cooper vom Zentrum für Umweltwissenschaften an der Universität von Maryland. Er kennt die Futtergründe der Meeressäuger.

    "Wir arbeiten dort oben im nördlichen Bering-Meer und der Tschuktschensee, wo diese Tiere fressen. Ich interessiere mich als Biogeochemiker für die Kreisläufe des organischen Materials im Wasser. Wenn sich die Biologie dieses Systems ändert, dann beeinflusst das am Ende auch die Wale."

    Am Anfang der Kette befindet sich das pflanzliche Plankton, vor allem Algen. Die sinken auf den Meeresgrund und ernähren die kleinen Flohkrebse, die dort im Schlamm leben. Und diese Kleinstlebewesen wiederum stehen bei den Grauwalen ganz oben auf dem Speiseplan. Normalerweise. Aber offenbar finden die Säuger in letzter Zeit nicht mehr genug davon zu fressen und müssen deshalb von ihren Fettreserven zehren. So ähnlich wie bei Menschen, die auf Atkins-Diät sind, also eine extrem Kohlenhydrat arme Kost zu sich nehmen. Die Gefahr dabei: Im Körper entstehen durch den ungewohnten Stoffwechsel übermäßig viele Ketone. Und genau diese Klasse von chemischen Verbindungen trägt hauptsächlich zu dem Walgestank bei. Den Rückgang der kleinen Krebse hat Lee Cooper vor Ort beobachten können.

    "Irgendetwas tut sich da. Wir sehen diese Flohkrebse jetzt nicht mehr an jenen Orten, wo wir sie vor 15, 20 Jahren noch gesehen haben. Und die Beschaffenheit der Sedimente ist anders, die Korngröße hat sich gewandelt. Es ist an vielen Stellen sandiger geworden, was bedeutet, dass die Strömungsgeschwindigkeit zugenommen hat."

    Die Strömungsverhältnisse in der Beringstraße, also in der Meeresenge zwischen Russland und Alaska, sind besonders wichtig für das Gedeihen der Flohkrebse. Denn das Wasser transportiert Nährstoffe heran, welches das pflanzliche Plankton erblühen lässt. Allerdings ist Meeresströmung nicht gleich Meeresströmung.

    "Auf der russischen Seite fließt sehr nährstoffreiches Wasser durch die Beringstraße. Hauptsächlich stammt das aus dem Nordpazifik und ist aus den Tiefen hochgestiegen, so einige hundert Meter. Wenn es ans Sonnenlicht gelangt, dann beginnt diese starke Algenblüte. Auf der anderen Seite der Beringstraße, auf der kanadischen, gibt es eine ganze Menge Frischwasser, das ins Meer fließt. Aus dem Yukon und anderen großen Flüssen."

    Das enthält aber deutlich weniger Nährstoffe. Das Problem ist nun: Weil es in dem Polargebiet durch den globalen Klimawandel immer wärmer wird, strömt immer mehr Oberflächenwasser in die Beringstraße - und verdünnt den nährstoffreichen Strom aus der Tiefe. Die Folge: Die Algen blühen nicht mehr so stark, die Flohkrebse müssen hungern, und auch die Wale finden keine Nahrung mehr und stinken. Somit wäre dieses merkwürdige Phänomen eine weitere Folge der Erderwärmung.