Schulz: Geschlossenheit war das wichtigste Signal, das die SPD gestern ausgesandt hat - nach dem Erdbeben vom Wochenende, dem überraschenden Rücktritt Kurt Becks vom Parteivorsitz und der Rekrutierung Franz Münteferings, der (so hat er es jedenfalls gestern gesagt) nur ein zehnminütiger Entscheidungsprozess vorangegangen war. Nun bekommt die SPD also einen neuen und gleichzeitig ehemaligen Chef. Gestern sind Frank-Walter Steinmeier, Außenminister und Kanzlerkandidat in spe, und Franz Müntefering, Bundestagsabgeordneter und Parteivorsitzender in spe, gemeinsam vor die Presse getreten. Gewählt werden sollen sie auf dem Sonderparteitag am 18. Oktober.
Findet die Partei nun aus den Turbolenzen? - Das ist in den nächsten Minuten unser Thema. Am Telefon begrüße ich den Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Struck. Guten Morgen!
Struck: Guten Morgen, Frau Schulz.
Schulz: Herr Struck, "die kann mich mal" haben Sie mal gesagt und offen gelassen, wen oder was Sie genau damit meinten. Hätte es geholfen, wenn Kurt Beck ab und zu mal gesagt hätte, ihr könnt mich mal?
Struck: Nein, das hätte nicht geholfen, denn es waren ja ganz schwierige Entscheidungsprozesse in den letzten Wochen und Monaten zu bewältigen, insbesondere natürlich die Frage, wie geht die SPD mit der Partei "Die Linke" um, wie reagieren wir auf die Situation in Hessen. Dieses Zitat von mir, "die kann mich mal", hat sich auf die CDU bezogen. Das ist dann eine Reaktion, die man in einer solchen Situation, wie wir sie hatten, nun wirklich nicht noch mal aussprechen kann, sondern es geht darum, wie geht es jetzt weiter und wie reagieren wir auf die Situation, die sich innerhalb der letzten Monate ergeben hat in Bezug auf die Darstellung der SPD und die Stellung der SPD im Meinungsbild der Bevölkerung.
Schulz: Herr Struck, und dazu gehört gewiss auch die Ursachensuche. Wen hat Kurt Beck denn gemeint mit dem Vorwurf der Intrige, der laut geworden ist?
Struck: Ich glaube, dass er nicht konkret irgendeine Person gemeint hat, sondern er hatte ja zu beklagen - und ich habe das auch mit zu beklagen gehabt -, dass es wohl aus den eigenen Reihen Stichwortgeber an die Journalisten gegeben hat.
Schulz: Aber das werden doch konkrete Personen gewesen sein?
Struck: Ich kann nun aber keine konkrete Person benennen, die im Grunde seine Autorität als Parteivorsitzenden angezweifelt haben und schon die Frage, die ja zu entscheiden war, mit der Kanzlerkandidaten-Entscheidung verbunden haben nach dem Motto, er kann nicht Kanzlerkandidat sein und er darf auch nicht mehr Parteivorsitzender bleiben. Dass er dann daraus die Konsequenzen gezogen hat, bedauere ich sehr.
Schulz: Herr Struck, Sie werden mit den Worten zitiert, Sie seien in einer Phase, in der Sie aus Ihrem Herzen keine Mördergrube mehr machen müssen. So zitiert Sie der "Spiegel" kurz nach Ihrem 65. Geburtstag. Dann die Frage: Sind die Ereignisse vom Wochenende mit dem Begriff "Putsch" gut beschrieben?
Struck: Nein. Der Begriff wäre eindeutig falsch. Ich glaube, dass sich da in den letzten Monaten und Wochen, vor allen Dingen auch in den letzten Tagen einiges aufgebaut hat bei Kurt Beck, der sich selbst natürlich die Frage gestellt hat, muss er das eigentlich alles noch erdulden und ertragen, was über ihn Böses in den Zeitungen steht oder in den Berichterstattungen über seine Veranstaltungen zu lesen war. Da ist an irgendeiner Stelle dann auch natürlich die Grenze der Belastbarkeit erreicht. Ich kann das nachvollziehen. Niemand muss seine Selbstachtung aufgeben, weil er ein bestimmtes Amt hat.
Ich will noch einmal sagen: Ich war von dieser Entscheidung überrascht. Ich habe ihn auch versucht, von dieser Entscheidung abzuhalten. Letztlich muss man aber natürlich respektieren, wenn jemand sagt, in dieser Situation kann ich das nicht mehr weitermachen, es muss jetzt ein Neuanfang mit neuen Personen erfolgen.
Schulz: Und die beiden neuen Personen sind gestern vor die Pressekonferenz getreten. Es hat dort eine Szene gegeben, auf die ich Sie gerne noch mal ansprechen möchte. Da sagt Franz Müntefering wenn auch mit einem Augenzwinkern über Frank-Walter Steinmeier, er habe das Abstimmungsergebnis etwas unterkühlt vorgetragen. Taut er bis zum Wahlkampf noch auf?
Struck: Ja. Ich denke schon, dass wir natürlich jetzt einen langen Weg noch vor uns haben. Es sind irgendwie noch 383 Tage bis zur Bundestagswahl. Die SPD ist im Augenblick in keiner guten Lage, jedenfalls was die Meinungsumfragen angeht. Aber dass das natürlich besser wird, versteht sich von selbst. Wir haben jetzt die Chance für einen Neuanfang mit Franz Müntefering als Parteivorsitzendem und wir haben jetzt die so genannte K-Frage entschieden. Wir wollen, dass Frank-Walter Steinmeier Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wird. Beide sind ein gutes Team. Ich zähle mich auch dazu als Fraktionsvorsitzender für die SPD-Bundestagsfraktion. Wir werden gemeinsam schon die SPD aus dieser Situation wieder herausführen. Es geht aber vor allen Dingen darum - das waren auch die Gespräche gestern -, dass wir geschlossener auftreten als bisher, dass wir nicht auftreten, als seien wir jetzt verschiedene Parteien, die sich unter irgendeinem Oberdach versammelt haben, sondern dass wir gemeinsam ein bestimmtes Ziel haben.
Schulz: Ja, aber welche Anhaltspunkte haben Sie dafür, dass diese Geschlossenheit jetzt auch tatsächlich trägt? Andrea Nahles hat gestern schon gesagt, nun müsse es auch ein Entgegenkommen der anderen Seite geben.
Struck: Ich halte überhaupt nichts davon, dass man permanent von der Seite und jener Seite redet, also von zwei verschiedenen Seiten, die in der SPD existieren.
Schulz: Also es gibt keine Flügelkämpfe bei der SPD, hat es auch nie gegeben?
Struck: Natürlich gibt es in der SPD verschiedene Flügel. Das ist ja gar keine Frage. Eine große Volkspartei hat sowohl auf der linken als auch auf der rechten Seite - die Union hat das übrigens auch - bestimmte Gruppierungen. Aber jetzt geht es darum, dass alle gemeinsam ein gemeinsames Ziel anstreben. Das gemeinsame Ziel ist: Ablösung von Frau Merkel und die Wahl von Frank-Walter Steinmeier zum Bundeskanzler. Dass wir uns in inhaltlichen Fragen weitgehend einig sind, das haben die Papiere gezeigt, die am Wochenende beraten und entschieden werden sollten. Das werden auch die Beratungen der SPD-Bundestagsfraktion zeigen, die in dieser Woche mit einer Klausurtagung die Arbeit wieder aufnimmt.
Schulz: Das haben aber die Papiere, die in der letzten Woche aufgetaucht sind, nicht gezeigt, in denen rund 60 Abgeordnete eine Abkehr des Kurses der Agenda 2010 fordern.
Struck: Dazu wollte ich gerade etwas sagen, bevor Sie mich unterbrochen haben. Es gibt immer Leute, die natürlich eine andere Position in bestimmten Fragen haben. Das ist ja gar keine Frage, dass auch in meiner Fraktion welche der Meinung sind, wir müssten die Entscheidung, dass die Rente erst mit 67 begonnen werden kann, korrigieren. Das gibt es in der Union auch, was die Wirtschaftspolitik zum Beispiel angeht. Aber das muss diskutiert werden. Die Entscheidungen sind getroffen, auch auf dem Parteitag in Hamburg, und wir werden natürlich auch in den nächsten Wochen und Monaten die Entscheidungen nach wie vor zu treffen haben, denn die Arbeit hört ja nicht auf im Deutschen Bundestag. Ich fordere alle Mitglieder meiner Fraktion, auch die Mitglieder der Partei auf, natürlich zu diskutieren. Eine stumme Partei ist eine dumme Partei, Frau Schulz. Trotzdem, es geht dann darum: Wenn Entscheidungen getroffen worden sind, dann muss man sich auch daran halten.
Schulz: Sie haben inhaltliche Argumente jetzt allerdings nicht genannt, die Sie zum Beispiel denen entgegenhalten wollen, die sich auf die Studie berufen, die die Hans-Böckler-Stiftung jüngst publiziert hat, nach der die realen Bruttolöhne auseinanderdriften, wonach die Geringverdiener fast 14 Prozent weniger haben als noch vor Jahren und die Mehrverdiener mehr als drei Prozent mehr.
Struck: Ja, gut. Es ist ja gar keine Frage und kein Geheimnis, dass wir darum kämpfen, diese Spanne wieder zu verringern, dass wir zum Beispiel massiv über Mindestlöhne diskutieren, dass wir auch entsprechende Gesetze eingebracht haben.
Schulz: Die sie aber nicht durchsetzen können in der Großen Koalition.
Struck: Mal langsam! - Ja, gut. Ich meine, wir beschließen etwas und wir werden es in anderen Konstellationen durchsetzen. Wenn Sie mit mir inhaltlich über Arbeitsmarktpolitik diskutieren wollen, können wir das gerne machen. Dass die SPD sich da nichts vorzuwerfen hat, was die eigenen Positionen angeht, das ist aus meiner Sicht selbstverständlich. Ich kann aber den Koalitionspartner, die Frau Merkel und die konservative Union, nicht davon überzeugen, dass wir einen gesetzlichen Mindestlohn festlegen müssen. Das muss dann der Wähler entscheiden, indem er entsprechend andere Mehrheiten in Deutschland herbeiführt.
Schulz: Ich möchte Sie noch mit einem Zitat konfrontieren. Oskar Lafontaine, der Chef der Partei "Die Linke", hat ja enttäuschte Sozialdemokraten zum Wechsel aufgerufen. Welche Argumente halten Sie ihm entgegen?
Struck: Ich glaube, dass er völlig ungeeignet ist, Sozialdemokraten zum Wechsel zu bewegen. Jemand der wie Lafontaine vor der Verantwortung wegläuft, der absurde historische Bewertungen zum Beispiel des Themas Zwangsvereinigung der SPD und SED, damals KPD jetzt plötzlich in die Welt setzt, der den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan als Krieg bezeichnet und unsere Soldaten im Grunde in die Situation von Okkupanten und so etwas bringt, der ist nun wirklich nicht geeignet, ernsthaft für Politik einzustehen. Dass er auch eine Partei vertritt, eine Partei führt, die unrealistische Vorschläge macht, was zum Beispiel Wirtschafts- und Sozialpolitik angeht, die viel, viel Geld in die Hand nehmen müsste, im Jahr 150 Milliarden Euro mehr als bisher, um die Vorstellungen umzusetzen, das werden wir deutlicher machen. "Die Linke" ist eine Partei, die nur eine populistische Politik vertritt, die niemals realisiert werden kann, auch nicht unter solchen Vorzeichen, dass sie eventuell mal eine absolute Mehrheit hat.
Schulz: Wie wollen Sie das deutlich machen, Herr Struck, in einer Großen Koalition, in der Sie an die Koalitionsvereinbarung gebunden sind?
Struck: Nun lassen Sie mich doch mal ausreden! Entweder machen wir beide das Interview oder wir machen keines.
Schulz: Ja, aber gerade weil wir jetzt zum Interview verabredet sind, würde ich die eine oder andere Frage auch gerne einflechten wollen.
Struck: Sie müssen mich aber doch wirklich mal ausreden lassen. Ich rede über eine Partei, die nicht in der Lage ist, realistische Politik für Deutschland zu machen - wir haben ja die Parteitage in Cottbus und anderswo verfolgt; wir haben das auch dokumentiert -, die mit Vorstellungen auftritt, die nicht zu verwirklichen sind. Wir können es uns nicht leisten, dass unser Staat sich noch mit zusätzlichen 150 Milliarden Euro im Jahr verschulden soll. Wir haben jetzt schon über 42 Milliarden alleine an Zinsen zu bezahlen, ohne dass auch nur ein Euro zurückgezahlt wird. Insofern werden wir klar machen, dass man eine solche Partei nicht wählen kann.
Schulz: Herr Struck, geben Sie mir die Chance, Ihnen noch eine Frage zu stellen?
Struck: Ja, jetzt gebe ich Ihnen die Chance.
Schulz: Sie haben ja gerade daran erinnert, dass wir zum Interview verabredet sind.
Struck: Ja, genau.
Schulz: Hält die Große Koalition bis zum kommenden Herbst?
Struck: Natürlich hält die Große Koalition. Ja, klar. Wir haben nicht den Auftrag, uns jetzt in den Wahlkampf zu stürzen. Wir haben eine Menge Aufgaben noch zu erledigen. Ich nenne nur als Stichwort "Umsetzung von Klimapaketen", die so genannte Föderalismusreform, die Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern, die Stabilisierung des Bundeshaushaltes. Also es steht noch einiges an, das wir auch noch gemeinsam mit der Union bewältigen werden.
Schulz: Und wie hoch beziffern Sie die Wahrscheinlichkeit, dass die Projekte, die Sie gerade genannt haben, bis zum September 2009 stehen?
Struck: Das ist ein bisschen schwierig. Die so genannte Föderalismusreform ist ja eine Reform, ein Vorhaben, das sich nicht am üblichen Streit zwischen Konservativen und Sozialdemokraten orientiert, sondern zwischen armen und reichen Ländern, zwischen Bund und Ländern. Ich bin ja mit Günther Oettinger zusammen Vorsitzender dieser Kommission. Ich bin optimistisch, dass wir Ergebnisse erreichen können, aber es ist noch ein hartes Stück Arbeit, das wir bis Ende des Jahres bewältigen wollen.
Schulz: Im Interview mit dem Deutschlandfunk - so wollen wir es nennen, Herr Struck - Peter Struck.
Struck: Wieso? Das war ein Interview!
Schulz: Das freut mich, dass Sie das auch so sehen.
Struck: Das machen wir das nächste Mal ein bisschen anders. Dann lassen Sie mich ausreden und ich lasse Sie auch ausreden. Okay?
Schulz: So verabreden wir uns. - Peter Struck, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Haben Sie vielen Dank!
Struck: Bitte sehr. Tschüß!
Findet die Partei nun aus den Turbolenzen? - Das ist in den nächsten Minuten unser Thema. Am Telefon begrüße ich den Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Struck. Guten Morgen!
Struck: Guten Morgen, Frau Schulz.
Schulz: Herr Struck, "die kann mich mal" haben Sie mal gesagt und offen gelassen, wen oder was Sie genau damit meinten. Hätte es geholfen, wenn Kurt Beck ab und zu mal gesagt hätte, ihr könnt mich mal?
Struck: Nein, das hätte nicht geholfen, denn es waren ja ganz schwierige Entscheidungsprozesse in den letzten Wochen und Monaten zu bewältigen, insbesondere natürlich die Frage, wie geht die SPD mit der Partei "Die Linke" um, wie reagieren wir auf die Situation in Hessen. Dieses Zitat von mir, "die kann mich mal", hat sich auf die CDU bezogen. Das ist dann eine Reaktion, die man in einer solchen Situation, wie wir sie hatten, nun wirklich nicht noch mal aussprechen kann, sondern es geht darum, wie geht es jetzt weiter und wie reagieren wir auf die Situation, die sich innerhalb der letzten Monate ergeben hat in Bezug auf die Darstellung der SPD und die Stellung der SPD im Meinungsbild der Bevölkerung.
Schulz: Herr Struck, und dazu gehört gewiss auch die Ursachensuche. Wen hat Kurt Beck denn gemeint mit dem Vorwurf der Intrige, der laut geworden ist?
Struck: Ich glaube, dass er nicht konkret irgendeine Person gemeint hat, sondern er hatte ja zu beklagen - und ich habe das auch mit zu beklagen gehabt -, dass es wohl aus den eigenen Reihen Stichwortgeber an die Journalisten gegeben hat.
Schulz: Aber das werden doch konkrete Personen gewesen sein?
Struck: Ich kann nun aber keine konkrete Person benennen, die im Grunde seine Autorität als Parteivorsitzenden angezweifelt haben und schon die Frage, die ja zu entscheiden war, mit der Kanzlerkandidaten-Entscheidung verbunden haben nach dem Motto, er kann nicht Kanzlerkandidat sein und er darf auch nicht mehr Parteivorsitzender bleiben. Dass er dann daraus die Konsequenzen gezogen hat, bedauere ich sehr.
Schulz: Herr Struck, Sie werden mit den Worten zitiert, Sie seien in einer Phase, in der Sie aus Ihrem Herzen keine Mördergrube mehr machen müssen. So zitiert Sie der "Spiegel" kurz nach Ihrem 65. Geburtstag. Dann die Frage: Sind die Ereignisse vom Wochenende mit dem Begriff "Putsch" gut beschrieben?
Struck: Nein. Der Begriff wäre eindeutig falsch. Ich glaube, dass sich da in den letzten Monaten und Wochen, vor allen Dingen auch in den letzten Tagen einiges aufgebaut hat bei Kurt Beck, der sich selbst natürlich die Frage gestellt hat, muss er das eigentlich alles noch erdulden und ertragen, was über ihn Böses in den Zeitungen steht oder in den Berichterstattungen über seine Veranstaltungen zu lesen war. Da ist an irgendeiner Stelle dann auch natürlich die Grenze der Belastbarkeit erreicht. Ich kann das nachvollziehen. Niemand muss seine Selbstachtung aufgeben, weil er ein bestimmtes Amt hat.
Ich will noch einmal sagen: Ich war von dieser Entscheidung überrascht. Ich habe ihn auch versucht, von dieser Entscheidung abzuhalten. Letztlich muss man aber natürlich respektieren, wenn jemand sagt, in dieser Situation kann ich das nicht mehr weitermachen, es muss jetzt ein Neuanfang mit neuen Personen erfolgen.
Schulz: Und die beiden neuen Personen sind gestern vor die Pressekonferenz getreten. Es hat dort eine Szene gegeben, auf die ich Sie gerne noch mal ansprechen möchte. Da sagt Franz Müntefering wenn auch mit einem Augenzwinkern über Frank-Walter Steinmeier, er habe das Abstimmungsergebnis etwas unterkühlt vorgetragen. Taut er bis zum Wahlkampf noch auf?
Struck: Ja. Ich denke schon, dass wir natürlich jetzt einen langen Weg noch vor uns haben. Es sind irgendwie noch 383 Tage bis zur Bundestagswahl. Die SPD ist im Augenblick in keiner guten Lage, jedenfalls was die Meinungsumfragen angeht. Aber dass das natürlich besser wird, versteht sich von selbst. Wir haben jetzt die Chance für einen Neuanfang mit Franz Müntefering als Parteivorsitzendem und wir haben jetzt die so genannte K-Frage entschieden. Wir wollen, dass Frank-Walter Steinmeier Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wird. Beide sind ein gutes Team. Ich zähle mich auch dazu als Fraktionsvorsitzender für die SPD-Bundestagsfraktion. Wir werden gemeinsam schon die SPD aus dieser Situation wieder herausführen. Es geht aber vor allen Dingen darum - das waren auch die Gespräche gestern -, dass wir geschlossener auftreten als bisher, dass wir nicht auftreten, als seien wir jetzt verschiedene Parteien, die sich unter irgendeinem Oberdach versammelt haben, sondern dass wir gemeinsam ein bestimmtes Ziel haben.
Schulz: Ja, aber welche Anhaltspunkte haben Sie dafür, dass diese Geschlossenheit jetzt auch tatsächlich trägt? Andrea Nahles hat gestern schon gesagt, nun müsse es auch ein Entgegenkommen der anderen Seite geben.
Struck: Ich halte überhaupt nichts davon, dass man permanent von der Seite und jener Seite redet, also von zwei verschiedenen Seiten, die in der SPD existieren.
Schulz: Also es gibt keine Flügelkämpfe bei der SPD, hat es auch nie gegeben?
Struck: Natürlich gibt es in der SPD verschiedene Flügel. Das ist ja gar keine Frage. Eine große Volkspartei hat sowohl auf der linken als auch auf der rechten Seite - die Union hat das übrigens auch - bestimmte Gruppierungen. Aber jetzt geht es darum, dass alle gemeinsam ein gemeinsames Ziel anstreben. Das gemeinsame Ziel ist: Ablösung von Frau Merkel und die Wahl von Frank-Walter Steinmeier zum Bundeskanzler. Dass wir uns in inhaltlichen Fragen weitgehend einig sind, das haben die Papiere gezeigt, die am Wochenende beraten und entschieden werden sollten. Das werden auch die Beratungen der SPD-Bundestagsfraktion zeigen, die in dieser Woche mit einer Klausurtagung die Arbeit wieder aufnimmt.
Schulz: Das haben aber die Papiere, die in der letzten Woche aufgetaucht sind, nicht gezeigt, in denen rund 60 Abgeordnete eine Abkehr des Kurses der Agenda 2010 fordern.
Struck: Dazu wollte ich gerade etwas sagen, bevor Sie mich unterbrochen haben. Es gibt immer Leute, die natürlich eine andere Position in bestimmten Fragen haben. Das ist ja gar keine Frage, dass auch in meiner Fraktion welche der Meinung sind, wir müssten die Entscheidung, dass die Rente erst mit 67 begonnen werden kann, korrigieren. Das gibt es in der Union auch, was die Wirtschaftspolitik zum Beispiel angeht. Aber das muss diskutiert werden. Die Entscheidungen sind getroffen, auch auf dem Parteitag in Hamburg, und wir werden natürlich auch in den nächsten Wochen und Monaten die Entscheidungen nach wie vor zu treffen haben, denn die Arbeit hört ja nicht auf im Deutschen Bundestag. Ich fordere alle Mitglieder meiner Fraktion, auch die Mitglieder der Partei auf, natürlich zu diskutieren. Eine stumme Partei ist eine dumme Partei, Frau Schulz. Trotzdem, es geht dann darum: Wenn Entscheidungen getroffen worden sind, dann muss man sich auch daran halten.
Schulz: Sie haben inhaltliche Argumente jetzt allerdings nicht genannt, die Sie zum Beispiel denen entgegenhalten wollen, die sich auf die Studie berufen, die die Hans-Böckler-Stiftung jüngst publiziert hat, nach der die realen Bruttolöhne auseinanderdriften, wonach die Geringverdiener fast 14 Prozent weniger haben als noch vor Jahren und die Mehrverdiener mehr als drei Prozent mehr.
Struck: Ja, gut. Es ist ja gar keine Frage und kein Geheimnis, dass wir darum kämpfen, diese Spanne wieder zu verringern, dass wir zum Beispiel massiv über Mindestlöhne diskutieren, dass wir auch entsprechende Gesetze eingebracht haben.
Schulz: Die sie aber nicht durchsetzen können in der Großen Koalition.
Struck: Mal langsam! - Ja, gut. Ich meine, wir beschließen etwas und wir werden es in anderen Konstellationen durchsetzen. Wenn Sie mit mir inhaltlich über Arbeitsmarktpolitik diskutieren wollen, können wir das gerne machen. Dass die SPD sich da nichts vorzuwerfen hat, was die eigenen Positionen angeht, das ist aus meiner Sicht selbstverständlich. Ich kann aber den Koalitionspartner, die Frau Merkel und die konservative Union, nicht davon überzeugen, dass wir einen gesetzlichen Mindestlohn festlegen müssen. Das muss dann der Wähler entscheiden, indem er entsprechend andere Mehrheiten in Deutschland herbeiführt.
Schulz: Ich möchte Sie noch mit einem Zitat konfrontieren. Oskar Lafontaine, der Chef der Partei "Die Linke", hat ja enttäuschte Sozialdemokraten zum Wechsel aufgerufen. Welche Argumente halten Sie ihm entgegen?
Struck: Ich glaube, dass er völlig ungeeignet ist, Sozialdemokraten zum Wechsel zu bewegen. Jemand der wie Lafontaine vor der Verantwortung wegläuft, der absurde historische Bewertungen zum Beispiel des Themas Zwangsvereinigung der SPD und SED, damals KPD jetzt plötzlich in die Welt setzt, der den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan als Krieg bezeichnet und unsere Soldaten im Grunde in die Situation von Okkupanten und so etwas bringt, der ist nun wirklich nicht geeignet, ernsthaft für Politik einzustehen. Dass er auch eine Partei vertritt, eine Partei führt, die unrealistische Vorschläge macht, was zum Beispiel Wirtschafts- und Sozialpolitik angeht, die viel, viel Geld in die Hand nehmen müsste, im Jahr 150 Milliarden Euro mehr als bisher, um die Vorstellungen umzusetzen, das werden wir deutlicher machen. "Die Linke" ist eine Partei, die nur eine populistische Politik vertritt, die niemals realisiert werden kann, auch nicht unter solchen Vorzeichen, dass sie eventuell mal eine absolute Mehrheit hat.
Schulz: Wie wollen Sie das deutlich machen, Herr Struck, in einer Großen Koalition, in der Sie an die Koalitionsvereinbarung gebunden sind?
Struck: Nun lassen Sie mich doch mal ausreden! Entweder machen wir beide das Interview oder wir machen keines.
Schulz: Ja, aber gerade weil wir jetzt zum Interview verabredet sind, würde ich die eine oder andere Frage auch gerne einflechten wollen.
Struck: Sie müssen mich aber doch wirklich mal ausreden lassen. Ich rede über eine Partei, die nicht in der Lage ist, realistische Politik für Deutschland zu machen - wir haben ja die Parteitage in Cottbus und anderswo verfolgt; wir haben das auch dokumentiert -, die mit Vorstellungen auftritt, die nicht zu verwirklichen sind. Wir können es uns nicht leisten, dass unser Staat sich noch mit zusätzlichen 150 Milliarden Euro im Jahr verschulden soll. Wir haben jetzt schon über 42 Milliarden alleine an Zinsen zu bezahlen, ohne dass auch nur ein Euro zurückgezahlt wird. Insofern werden wir klar machen, dass man eine solche Partei nicht wählen kann.
Schulz: Herr Struck, geben Sie mir die Chance, Ihnen noch eine Frage zu stellen?
Struck: Ja, jetzt gebe ich Ihnen die Chance.
Schulz: Sie haben ja gerade daran erinnert, dass wir zum Interview verabredet sind.
Struck: Ja, genau.
Schulz: Hält die Große Koalition bis zum kommenden Herbst?
Struck: Natürlich hält die Große Koalition. Ja, klar. Wir haben nicht den Auftrag, uns jetzt in den Wahlkampf zu stürzen. Wir haben eine Menge Aufgaben noch zu erledigen. Ich nenne nur als Stichwort "Umsetzung von Klimapaketen", die so genannte Föderalismusreform, die Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern, die Stabilisierung des Bundeshaushaltes. Also es steht noch einiges an, das wir auch noch gemeinsam mit der Union bewältigen werden.
Schulz: Und wie hoch beziffern Sie die Wahrscheinlichkeit, dass die Projekte, die Sie gerade genannt haben, bis zum September 2009 stehen?
Struck: Das ist ein bisschen schwierig. Die so genannte Föderalismusreform ist ja eine Reform, ein Vorhaben, das sich nicht am üblichen Streit zwischen Konservativen und Sozialdemokraten orientiert, sondern zwischen armen und reichen Ländern, zwischen Bund und Ländern. Ich bin ja mit Günther Oettinger zusammen Vorsitzender dieser Kommission. Ich bin optimistisch, dass wir Ergebnisse erreichen können, aber es ist noch ein hartes Stück Arbeit, das wir bis Ende des Jahres bewältigen wollen.
Schulz: Im Interview mit dem Deutschlandfunk - so wollen wir es nennen, Herr Struck - Peter Struck.
Struck: Wieso? Das war ein Interview!
Schulz: Das freut mich, dass Sie das auch so sehen.
Struck: Das machen wir das nächste Mal ein bisschen anders. Dann lassen Sie mich ausreden und ich lasse Sie auch ausreden. Okay?
Schulz: So verabreden wir uns. - Peter Struck, der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Haben Sie vielen Dank!
Struck: Bitte sehr. Tschüß!