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'Das Gequatsche muss aufhören, es muss gehandelt werden'

    Remme: Mit Reaktionen auf das Wahlergebnis war es gestern so eine Sache - schließlich wusste man nicht so richtig, worauf man eigentlich reagieren sollte, es regierte nämlich die Unsicherheit. Wer lag denn nun vorne, die Union oder die SPD? Und mit welchem Koalitionspartner würde welche Bundesregierung auf die Beine zu bringen sein? Man muss sich noch einmal vor Augen halten: es sind auf SPD und Union rund 37 Millionen Stimmen entfallen und nicht einmal 9000 haben den Ausschlag gegeben, den Unterschied, den Vorsprung für die SPD. Am Telefon begrüße ich Michael Sommer, den DGB-Chef. Herr Sommer, guten Morgen.

    Sommer: Guten Morgen.

    Remme: Herr Sommer, wie lange waren Sie auf? Sind Sie, wie viele andere, die natürlich heute auch arbeiten müssen, ins Bett gegangen und haben gesagt: Na, wir werden sehen, wenn wir aufwachen?

    Sommer: Ich war bis zwei Uhr auf. Ich kannte die Hochrechungen, die ja zum Schluss gleich waren, wobei ich sagen muss: herzlichen Glückwunsch ans ZDF, die waren von vorne bis hinten richtig. Dann bin ich relativ beruhigt ins Bett gegangen, weil ich ja wusste, dass ich heute morgen mit Ihnen reden muss.

    Remme: Ich nehme an, Sie freuen sich.

    Sommer: Es ist manches für uns leichter, weil wir nicht den unmittelbaren Druck auf die Tarifautonomie, auf die Mitbestimmung spüren, wenn die beiden Parteien, die jetzt weiterregieren werden, bei ihren Wahlversprechen bleiben, wovon ich ausgehe. Andererseits: es gibt viel zu tun in diesem Land und das wird auch in den nächsten vier Jahren hart werden.

    Remme: Liegt denn an der Nähe zwischen Gewerkschaften und SPD in diesem Falle nicht auch eine Gefahr, nämlich dass eine nötige Konfrontation ausbleibt?

    Sommer: Nein. Die Gewerkschaften werden immer in allererster Linie Interessenvertreter ihrer Mitglieder sein und wir sind auch Einheitsgewerkschaften, es ist an der ein oder anderen Stelle von der Union behauptet worden, wir würden den Charakter verlieren. Wir verlieren ihn nie. Und wenn es not tut, werden wir auch eine Regierung kritisieren, die eine falsche Politik macht, und zwar unabhängig davon, wer das Parteibuch hat als Kanzler. Uns geht es darum, dass wir insgesamt dieses Land voranbringen bei einer sozial gerechten Modernisierung der Gesellschaft.

    Remme: Herr Sommer, ist das eine Art zweite Chance, die Gerhard Schröder hier erhält?

    Sommer: Das ist eine Fortsetzung der ersten Chance. Ob das jetzt eine zweite ist, das überlasse ich mal anderen. Wichtig ist, dass wir jetzt wirklich nach vorne kommen bei der Gesundheit, bei der Gleichstellung der Geschlechter, bei wirklich Arbeit schaffen. Und übrigens auch, was mir ein besonderes Anliegen ist, dass wir endlich nicht nur von Lebensbegleitung lernen reden, sondern es auch organisieren.

    Remme: Halten Sie es für einen Vor- oder Nachteil, dass in dieser jetzt neu zu schmiedenden Koalition zwischen den Partnern, die sich ja kennen, der SPD und den Grünen, aufgrund des Wahlergebnisses ein etwas stärkerer Akzent wohl auf grüner Politik liegt?

    Sommer: Ach wissen Sie, ich bin kein Hellseher. Ich weiß nur, dass viele Wähler, die gestern grün gewählt haben, eigentlich rot-grün gewählt haben und daran sollten sich diejenigen, die bei den Grünen agieren, auch erinnern.

    Remme: Sie haben gestern in einem Fernsehinterview gesagt: Die Leute sind das Gequatsche satt. Was muss jetzt geschehen, damit die Leute zufrieden werden?

    Sommer: Die Leute wollen, dass endlich gehandelt wird. Beim Thema Arbeit geht es um die rasche Umsetzung der Hartz-Vorschläge und zwar aller und nicht nur ein paar. Man darf Hartz nicht als Steinbruch betrachten. Es geht darum, dass wir wirklich bei der Bildung weiterkommen, dass wir seit Jahrzehnten den Frauen versprechen, dass wir endlich Ernst machen mit der Gleichstellung der Geschlechter und ich will, dass wir in diese Legislaturperiode wirklich vorankommen. Das geht nicht alleine über den Bund, aber da werden wichtige Akzente gesetzt. Es gibt wirklich unendlich viel zu tun bei einer sozial gerechten Modernisierung dieser Gesellschaft und ich betone sozial gerecht; und da muss das Gequatsche aufhören und gehandelt werden.

    Remme: Es muss jetzt schnell gehandelt werden, jetzt werden wir natürlich erst einmal Wochen erleben, in denen diese politische Maschinerie anläuft, sich das Parlament etabliert, die Koalition geschmiedet werden muss. Wann denken Sie, werden wir denn so weit sein, dass man sagen kann: jawoll, die Dinge sind auf einem guten konkreten Weg?

    Sommer: Ich hoffe, dass das so schnell wie möglich geht. Die letzten Monate und Wochen waren ja auch davon geprägt, dass nicht mehr gehandelt wurde sondern Wahlkampf geführt und wir müssen jetzt wieder handeln.

    Remme: Michael Sommer, der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Herr Sommer, ich bedanke mich für das Gespräch.

    Sommer: Bitte.

    Link: Interview als RealAudio