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Das Gesamtkonzept der Hartz-Studie

    Engels: Bundeskanzler Schröder gibt heute im Bundestag eine Regierungserklärung zur Wirtschaftspolitik und zur Lage am Arbeitsmarkt ab. In der letzten Sitzungswoche vor der parlamentarischen Sommerpause will der Kanzler also Bilanz eines selbst so genannten Kernstücks rot/grüner Politik ziehen. Doch hinter den offiziellen Verlautbarungen diskutiert das politische Berlin derzeit vor allem über ein Thema: über die Vorschläge der sogenannten Hartz-Kommission zur Arbeitsmarktreform. Peter Hartz, Personalvorstand bei VW, hat in Fachgesprächen mit Experten ein Gesamtpaket entworfen, mit dem er es für möglich hält, die Arbeitslosenzahl innerhalb von drei Jahren zu halbieren. - Am Telefon begrüße ich nun Isolde Kunkel-Weber. Sie ist Mitglied im Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und sie sitzt auch in der eben angesprochenen Hartz-Kommission. Guten Morgen!

    Kunkel-Weber: Guten Morgen Frau Engels.

    Engels: Die vorab bekannt gewordenen Eckdaten der Hartz-Kommission sorgen ja für Wirbel. Auf Skepsis im Gewerkschaftslager stoßen vor allem die Pläne, Arbeitslosengeld in leicht zu errechnenden Pauschalen auszuzahlen und Arbeitslosengeld und -hilfe zeitlich zu begrenzen. Hat Herr Hartz das eigentlich mit Ihnen schon abgestimmt?

    Kunkel-Weber: Wir haben in der Kommission in unterschiedlichen Strängen diskutiert. Da sind einmal die vielen Teilprojekte, in denen wir zu einer Fülle von Fragen zum Teil konsensual, zum Teil kontrovers diskutieren, und es gibt jetzt neuerdings die Vorschläge, die Herr Hartz vorgestellt hat, die sich im übrigen natürlich auch zum großen Teil aus den Diskussionen in den Teilprojekten entwickelt haben. Diese Vorschläge diskutieren wir zur Zeit mit ihm in der Tat.

    Engels: Das heißt aber, Sie haben diese Vorschläge von Herrn Hartz noch nicht abgesegnet?

    Kunkel-Weber: Ja, nicht nur ich. Sie sind auch noch nicht von der Kommission abgesegnet. Ich glaube, dass man das in der öffentlichen Diskussion vielleicht auch noch mal deutlich machen kann. Es gibt noch keine konkreten Beschlüsse der Kommission in ihrer Gesamtheit. Es gibt eine Reihe von Vorschlägen. Es gibt eine Tendenz zu einem Profil des Abschlußberichtes, aber die ersten Entscheidungen fallen erst in den nächsten Wochen.

    Engels: Gibt es denn Dinge, die Peter Hartz bereits vorgestellt hat, die Sie schon jetzt überhaupt nicht mittragen können?

    Kunkel-Weber: Die Gewerkschaften haben von Anfang an deutlich gemacht, dass eine Leistungskürzung bzw. eine Kürzung der Lohnersatzleistungen oder gar eine Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für uns nicht in Frage kommt. Nun gibt es allerdings in einem Projekt eine Entwicklung, die uns zuversichtlich macht, dass dieses vielleicht verhindert werden kann.

    Engels: Welche Entwicklung wäre das?

    Kunkel-Weber: Da gibt es eine Überlegung zu sagen, es ist vielleicht sinnvoller, nicht über die Kürzung von Leistungen zu diskutieren, sondern über die Frage, welche unterstützenden Instrumente kann man anlegen, um Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen, bzw. die Frage, wenn wir selber an das glauben, was wir an innovativen Vorschlägen machen werden, dann wird der Arbeitsmarkt sich in der Tat entlasten und dann sind die Fragen nach Kürzungen ohnehin obsolet. Im übrigen gibt es die Überlegung, ein Unterscheidungskriterium mit der Kommission zu diskutieren, nämlich nach erwerbsfähigen und nichterwerbsfähigen Arbeitsuchenden. Das wäre in der Tat ein neuer Ansatz, der nicht zu Leistungskürzungen führen muss.

    Engels: Nehmen wir mal einen zentralen Punkt der Hartz-Kommission, wo im Moment die Eckdaten bekannt sind, heraus. Da geht es ja vor allen Dingen darum, Langzeitarbeitslose in so genannte Personal-Service-Agenturen, die den Arbeitsämtern angegliedert werden, zu überführen und dann zu Tariflöhnen an Unternehmen zu verleihen. Ist das denn ein Kern, mit dem Sie auf jeden Fall leben können?

    Kunkel-Weber: Das ist in jedem Fall eine gute Idee und ein kluger Vorschlag: zum einen präventiv tätig zu werden, das heißt Arbeitslosigkeit zu verhindern, und zum anderen über eine Transfergesellschaft wenn man so will die Nähe zum Arbeitsmarkt durch das Verleihen von Beschäftigten zu verkürzen. In der Tendenz finde ich den Vorschlag gut. Wir diskutieren im Moment, wie denn diese Personal-Service-Agentur ausgestattet sein muss, wie ihre Rechtsform ist. Es gibt da noch ganz viele Fragen, die noch nicht beantwortet sind. Die stelle ich auch kritisch. Ich glaube das ist meine Aufgabe in der Kommission. Ich bin aber zuversichtlich, dass dort ein Konstrukt herauskommen kann, das uns wirklich helfen kann, Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern und vielleicht auch den Einstieg in die Arbeitslosigkeit zu verhindern.

    Engels: Der Vorsitzende Ihrer Gewerkschaft ver.di, also Frank Bsirske, hat sich ja bislang skeptisch geäußert. Er fürchtet unter anderem, dass durch die eben angesprochene Förderung von Leiharbeitsverhältnissen auch Stammbelegschaften gefährdet sein können. Sehen Sie die Gefahr?

    Kunkel-Weber: Die sehe ich auch und deswegen müssen wir dort über Mechanismen diskutieren, die so etwas verhindern können. Es wäre ja kontraproduktiv, wenn wir mit den Personal-Service-Agenturen einen Mechanismus sozusagen legalisieren, über den Stammbelegschaften entlassen werden können und im Drehtüreffekt billigere Arbeitskräfte wieder hereingeholt werden können. Genau weil wir solche kritischen Fragen stellen, ist die Diskussion aber auch noch im Fluss und man wird gucken müssen, ob man dort Mechanismen einzieht, die solchen Missbrauch wenn Sie so wollen verhindern.

    Engels: Die Ergebnisse Ihrer Kommissionsarbeit sollen erst Mitte August vorgestellt werden. Trotzdem wird nun schon überall diskutiert. Auch die FDP will heute in die Debatte zentrale Vorschläge der Hartz-Kommission schon als Antrag in den Bundestag einbringen, um eine Abstimmung darüber zu erreichen. Halten Sie das für sinnvoll?

    Kunkel-Weber: Das halte ich nicht nur für nicht sinnvoll, sondern auch für eine Instrumentalisierung der Ideen in der Hartz-Kommission im Sinne von Wahlkampfpolitik. Ich glaube, dass dies der Kommission nicht gerecht wird, die viele Vorschläge diskutiert und die am Ende ein Gesamtkonzept vorlegen wird. Das muss man würdigen und nicht einzelne Punkte herausgreifen, je nachdem ob sie für die eigene Politik förderlich sind oder nicht. Das ist keine Kommission, die per se über Leistungskürzungen oder gar Personalabbau bei der Bundesanstalt für Arbeit diskutiert. Ich bin wirklich davon überzeugt, dass es uns darum geht - und zwar allen Kommissionsmitgliedern -, einen wichtigen Beitrag zur Senkung der Arbeitslosigkeit zu leisten. Es würde uns und unserer Arbeit nicht gerecht werden, einzelne Instrumente dort herauszupacken und die öffentlich zu diskutieren. Es wird am Ende ein Konzept geben. Auch die Personal-Service-Agentur kann beispielsweise nur dann erfolgreich sein, wenn an einer anderen Stelle über wirtschaftspolitische und wirtschaftsfördernde Maßnahmen auch die Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden, in welche die Personal-Service-Agentur vermitteln kann. Insofern muss man die Bausteine alle zusammenfügen und am Ende das Gesamtkonzept abwarten.

    Engels: Hat Peter Hartz dann einen Fehler gemacht, schon mit diesen Eckdaten an die Öffentlichkeit zu gehen?

    Kunkel-Weber: Ich glaube es blieb ihm gar nichts anderes übrig. Wir hatten in der Kommission vereinbart, uns möglichst nicht öffentlich zu äußern, bis wir konkrete Ergebnisse als Kommission haben. Diese Vereinbarung hat über vier Monate gehalten. Das finde ich schon mal sehr bemerkenswert. Am Ende sind erste Informationen dann doch in die Öffentlichkeit geraten und Peter Hartz musste sozusagen in die Offensive gehen, um deutlich zu machen, dass es uns hier nicht um Kürzungen, Entlassungen und Personalabbau geht, sondern um einen konstruktiven Beitrag. Insofern ist sein Vorstoß vielleicht jetzt sogar für etwas gut, dass wir nämlich deutlich machen können, dass wir ein Gesamtkonzept diskutieren.

    Engels: Aber wenn ich Ihrer Argumentation folge, sollte doch Bundeskanzler Schröder vielleicht zu diesem Komplex eher schweigen, statt eine Regierungserklärung zum Thema Arbeitsmarkt abzugeben?

    Kunkel-Weber: Ich weiß nicht, was der Bundeskanzler heute erklären wird. Ich gehe davon aus, dass auch er erklären wird, dass man die Ergebnisse der Kommission erst mal abwarten sollte und dann überprüfen kann, was davon politisch kurzfristig, mittelfristig und langfristig umzusetzen ist.

    Engels: Denken Sie denn, Sie werden den Zeitplan einhalten können, tatsächlich mit konkreten Vorschlägen bis Mitte August aufzuwarten, denn noch sind ja sehr viele Fragezeichen an die Umsetzung der einzelnen Punkte gesetzt?

    Kunkel-Weber: Ich bin nach wie vor zuversichtlich. In jedem Fall werden wir unseren Bericht nicht vor dem 16. August vorlegen können. Wir haben jetzt noch mal eine Reihe von Sondersitzungen eingeschoben, weil in der Tat noch ganz viele Fragen offen sind. Alle Kommissionsmitglieder und ihre Teams, die drum herum mitarbeiten, arbeiten auf Hochtouren. Das wird noch eine schwierige Geschichte werden, aber ich bin zuversichtlich: am 16. August werden wir etwas präsentieren können.

    Engels: So weit Isolde Kunkel-Weber. Sie ist Mitglied im Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und Mitglied der sogenannten Hartz-Kommission. - Ich bedanke mich für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio