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"Das Gesetz brechen, um Recht wieder herzustellen"

Der Jurist Fabian von Schlabrendorff gehörte von Anfang an zum Widerstand gegen das Nazi-Regime. 1944 wurde er festgenommen, trotz eines Freispruchs blieb er bis zur Befreiung durch die Alliierten in Haft. 1967 wurde von Schlabrendorff Richter am Bundesverfassungsgericht.

Von Jens Brüning | 03.09.2005
    Der Rechtsanwalt und Notar Fabian von Schlabrendorff hielt am 20. Juli 1957 im Ehrenhof des Bendler-Blocks in Berlin die Hauptansprache zum Gedenken an die hingerichteten Hitler-Attentäter.

    "Es gibt eben Zeiten, in denen muss - um das Recht wiederherzustellen - das Gesetz gebrochen werden."

    Fabian von Schlabrendorff sprach aus eigenem Erleben: Er gehörte zum Widerstand von Anfang an. Schon 1928 brachte er an der Universität Halle eine Gruppe zusammen, die sich gegen den anwachsenden Nationalsozialismus unter Studenten und Dozenten zur Wehr setzte. Nach der Annexion Österreichs und der Sudetenkrise nutzte Fabian von Schlabrendorff seine Verbindungen nach England, um auf die Kriegsgefahr hinzuweisen. Von Schlabrendorff entstammte einer alteingesessenen märkischen Adelsfamilie. Auf die Frage, ob die Bezeichnung "reaktionärer Junker" auf ihn zutreffe, antwortete er:

    "…dass ich durchaus Kraft meiner Abstammung junkerlichen Gefühlen nicht ferne stehe. Als Reaktionär freilich nicht, denn dazu bin ich zu frühzeitig in meinem Leben mit einem aus dem Kommunismus stammenden Manne wie Ernst Niekisch zusammengetroffen, der die große Verbindung immer schlagen wollte von Deutschland zu Moskau, zum bolschewistischen Russland."

    Seit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges suchten die Offiziere des Widerstands immer dringender nach einer Gelegenheit, Adolf Hitler umzubringen. Im März 1943 ergab sich anlässlich des Besuchs des obersten Kriegsherrn an der Ostfront eine Chance. Fabian von Schlabrendorff hatte alles vorbereitet:

    "Bomben, so groß wie eine kleine Flasche Cointreau. Die waren mit einem Zünder versehen. Dieser Zünder bestand aus einer Glashülle. Man konnte diese Flasche zerbrechen. Geschah dies, so trat die Flüssigkeit aus und zerfraß den Draht, so schloss der Zündbolzen nach vorne und zündete die Bombe."

    Als Geschenk an einen Offizier im Führerhauptquartier getarnt, sollte die Bombe in Hitlers Flugzeug explodieren. Das Flugzeug landete jedoch sicher in Ostpreußen. Der Zündvorgang war wie geplant abgelaufen, aber wegen der großen Kälte im Frachtraum des Flugzeugs kam es nicht zur Explosion. Die Vorbereitungen zum Staatsstreich wurden fortgesetzt. Als Hitler den Anschlag am 20. Juli 1944 überlebte, wurde auch Fabian von Schlabrendorff verhaftet und vor dem Volksgerichtshof unter Roland Freisler angeklagt. Seine Verhandlung war im Februar 1945.

    "Als ich gerufen wurde, begann Freisler diese Verhandlung mit den Worten: "Vor den Schranken dieses Gerichtes steht ein Mensch, der in den Sumpf hinabgestoßen gehört, aus dem er kommt." Kaum hatte er diesen Satz gesagt, ertönten die Sirenen."

    Die Sirenen heulten, weil amerikanische Bombergeschwader einen Angriff auf Berlin flogen. Freisler unterbrach die Verhandlung. Alle gingen in den Keller.

    "Und mit einem Male wurde auch das Gebäude des Volksgerichtshofs getroffen. Ein Deckenbalken stürzte in unserem Keller herunter, drückte auf der einen Seite einem Justizwachtmeister den Brustkorb ein und schlug auf der anderen Seite Roland Freisler auf den Kopf."

    Freisler war tot. Bei der nächsten Verhandlung wurde Schlabrendorff freigesprochen. Die Gestapo, die ihn gefoltert hatte, hielt ihn trotzdem weiter in Haft. Bis zu seiner Befreiung durch amerikanische Soldaten Anfang Mai 1945 wurde er in verschiedenen Konzentrationslagern festgehalten. Nach dem Krieg war Fabian von Schlabrendorff erfolgreich als Rechtsanwalt tätig. Man trug ihm hohe politische Ämter an. Aber er ließ sich erst 1967 zum Richter am Bundesverfassungsgericht wählen. Seine Begründung für diese Zurückhaltung war:

    "Wenn das Schicksal einem Menschen eine solche Aufgabe zudiktiert hat wie mir, in einem so revolutionären Zeitalter mit so eigenmächtigem Handeln an der Grenze von Recht und Sitte, dann soll man sich mit einem solchen Schicksal begnügen und nicht seine Hand dazu hergeben, nachher noch in einem demokratischen Staatswesen eine politische Rolle spielen zu wollen."