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Das giftige Erbe Katrinas

Umwelt. - Zwar hat der Super-Hurrikan "Katrina" New Orleans inzwischen passiert, doch mit der Überflutung der zu großen Teilen unter dem Meeresspiegel gelegenen Stadt drohen weitere, möglicherweise sehr nachhaltige Schäden. Umweltexperten versuchen derzeit, die Folgen der Flut abzuschätzen.

Von Volker Mrasek | 30.08.2005
    "Trümmerteile fliegen über unsere Köpfe hinweg. Es ist unglaublich, mit welcher Kraft die Natur hier wütet."

    Reporter des US-Nachrichtensenders CNN berichteten gestern direkt aus Louisiana und Mississippi, als Katrina über die Südstaaten hinweg zog.

    "Die Mobilfunk-Masten liegen am Boden, die Telefonleitungen auch. Es gibt keinen Strom mehr."

    Am Ende kam es aber nicht zum Worst-Case-Szenario - zum denkbar schlimmsten Katastrophenfall. Der wäre eingetreten, wenn Katrina mitten durch New Orleans gefegt wäre. Auch so sind die Schäden allerdings enorm. Der Geo-Ingenieur Ivor van Heerden inspiziert sie in diesen Minuten. Der gebürtige Südafrikaner forscht im Hurrikan-Zentrum der Staatsuniversität von Louisiana in Baton Rouge. Van Heerden direkt vom Pontchartrain-See im Norden von New Orleans:

    "Gerade eben ist ein Deich am See gebrochen, und die City von New Orleans steht im Moment zu vier Fünfteln unter Wasser. In manchen Stadtteilen beträgt der Pegel jetzt knapp vier Meter. Die Lage ist kritisch, weil nur ganz wenige der vorhandenen Entwässerungspumpen einsatzbereit sind. Es müssen welche von anderswo her beschafft werden. Außerdem muss zuerst einmal der gebrochene Damm abgedichtet werden, da New Orleans unterhalb des Meeresspiegels liegt. Es ist ähnlich wie in den Niederlanden: Man muss erst den Deich reparieren, ehe man daran gehen kann, das Wasser abzupumpen."

    Es werde mehrere Wochen dauern, bis die Stadt wieder trockengelegt sei, sagt van Heerden und kann seine große Sorge nicht verhehlen. In den überschwemmten Stadtrandzonen gibt es nach Angaben des Wissenschaftlers Öl-Raffinerien, Chemiewerke und auch Industrie- und Hausmüll-Deponien. Daher sei wohl unausweichlich, dass sich auch Giftstoffe in den Fluten ausbreiteten. Van Heerden hat aber noch ein großes Problem ausgemacht:

    "Es sieht so aus, als ob das Trinkwasser verseucht ist. Es gab mehrere Lecks im Versorgungssystem. Man müsste es also abkochen. Doch es gibt ja keinen Strom in New Orleans. Also kann man kein Wasser erhitzen. Wir rechnen deshalb mit einer Vielzahl von Magen-Darm-Erkrankungen. Hinzu kommt: Die Mücken-Populationen hier werden unter den gegenwärtigen Umständen gewaltig anwachsen. In Louisiana kommt das West-Nil-Fieber vor, eine Virus-Erkrankung, die von Mücken übertragen wird und tödlich verlaufen kann. Gerade ist die Zeit dafür. Wir erwarten deshalb, dass die Fälle von West-Nil-Fieber nun rapide ansteigen."

    New Orleans liegt am Rande des Mississippi-Deltas. Der Strom führt gewaltige Sediment-Mengen mit sich. Die würde er normalerweise im Marschland zwischen New Orleans und der Golfküste ablagern. Doch Hochwasser-Schutzdeiche entlang des Flusses verhindern das. Das Sediment landet so draußen im Meer und geht dem Marschland verloren. Die Folge: Das Land sinkt immer weiter ab. Und mit ihm auch New Orleans. Stellenweise liegt die Stadt bereits knapp vier Meter unterhalb des Meeresspiegels. Das erklärt das hohe Überschwemmungsrisiko.

    Deiche und Dämme würden erst recht nichts nutzen, wenn ein Hurrikan New Orleans direkt träfe. Die Flutwelle, die der Sturm vor sich her triebe, würde sowohl den Mississippi zum Überlaufen bringen wie auch den Pontchartrain-See im Norden der Stadt. Die Forscher vor Ort haben dazu Szenarien entwickelt. Nach ihren Prognosen stünde das Wasser dann sechs Meter hoch in den Straßen, und das vermutlich drei Monate lang. Vielleicht würden ja jetzt Lehren aus dem neuerlichen Wirbelsturm gezogen, hofft Ivor van Heerden. Am wichtigsten sei, das Marschland in Louisiana wieder herzustellen. Davon sind in den letzten Jahren rund 4.000 Quadratkilometer verloren gegangen:

    "Wir wissen, dass diese Küsten-Feuchtgebiete eine natürliche Schutzbarriere sind. Sie bremsen Sturmfluten und nehmen den Hurrikans einen Teil ihrer Energie. Deswegen sollten wir sie unbedingt renaturieren. "