Mittwoch, 01. Mai 2024

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Das Große, das Kleine und der menschliche Geist

Stephen Hawking und Roger Penrose:

Ulrich Woelk | 09.04.1999
    Raum und Zeit Aus dem Englischen von Claus Kiefer Rowohlt, 1999, 190 Seiten Preis: 49,80 Mark

    Roger Penrose:

    Das Große, das Kleine und der menschliche Geist Aus dem Englischen von Renate Dohmen Spektrum Akademischer Verlag, 208 Seiten Preis: 39,80 Mark

    Wenn Physiker sich streiten, versteht der Laie in der Regel nicht viel. Deswegen tun sie es zumeist fernab der Öffentlichkeit auf ruhigen Kongressen in stiller Umgebung und familiärer Atmosphäre. Der an einen Rollstuhl gefesselte und durch seinen Weltbestseller "Eine kurze Geschichte der Zeit" bekannt gewordene Cambridge-Professor Stephen Hawking hingegen und Roger Penrose, sein ehemaliger Lehrer und Doktorvater, haben ihre unterschiedlichen Auffassungen über Schwarze Löcher, die Unvollständigkeit der Quantenphysik oder die materiellen Grundlagen des menschlichen Bewußtseins jetzt in Buchform gebracht. Unter dem schlichten Titel "Raum und Zeit" diskutieren sie in je drei Beiträgen die Grundlagen der modernen Physik.

    Es geht, der Titel sagt es bereits, um Grundsätzliches. Raum und Zeit - selbst weder greifbar noch in irgendeiner Weise dinghaft - bilden die Bühne für das Schauspiel des Seins, wobei sich die Zeit als das intellektuell anspruchsvollere Rätsel erweist. Während der Raum isotrop ist, das heißt keine Vorzugsrichtung kennt, fließt die Zeit stets von der Vergangenheit in die Zukunft. Fällt eine Tasse zu Boden, so zerspringt sie, während der umgekehrte Vorgang, daß sich die Scherben spontan wieder zu einer Tasse zusammensetzen, in der Realität offensichtlich nicht vorkommt. Der Vorgang des Zerspringens ist mit einem Informationsverlust, oder - physikalisch präziser ausgedrückt - mit einer Entropiezunahme verbunden: Mit dem Zerspringen der Tasse wird die Unordnung im Universum größer - ein Satz, dem wohl jeder bereitwillig zustimmen wird. Worin also liegt die mit diesem alltäglichen Vorgang verbundene intellektuelle Herausforderung?

    In seinen Beiträgen weist Roger Penrose darauf hin, daß der Vorgang der physikalischen Messung in der Quantenmechanik im Prinzip dem Zerspringen einer Tasse gleicht: Er ist unumkehrbar in der Zeit. Vor einer Ortsbestimmung beispielsweise ist ein Quantenteilchen nämlich, so seltsam es auch klingen mag, im Prinzip überall. Hat man es aber mit einer Messung lokalisiert und dingfest gemacht, dann läßt es sich in dieses Überall nicht mehr zurückschicken. Dieser Einbahnstraßencharakter scheint die physikalische Zeit auf geheimnisvolle Weise mit dem menschlichen Bewußtsein zu verknüpfen: Wir werden älter und niemals jünger; wir können uns immer nur an die Vergangenheit erinnern, niemals aber an die Zukunft.

    Roger Penrose hat seine Gedanken zu diesem Thema in einem zweiten Buch präzisiert. Unter dem Titel "Das Große, das Kleine und der menschliche Geist" widmet er sich den zahlreichen Paradoxien der Quantenphysik, die ihm der Schlüssel zu einer Theorie des Bewußtseins zu sein scheinen. Er hält Bewußtseinsvorgänge für nicht berechenbar, was aber nicht heißen muß, daß sie irrational sind. Denjenigen, die im Gehirn lediglich eine ausgesprochen raffinierte Maschine sehen, begegnet er mit dem Gödelschen Satz, einem komplizierten logischen Theorem, aus dem der britische Mathematiker Alan Turing eine Reihe von subtilen Aussagen für Rechenmaschinen abgeleitet hat.

    Einfach ausgedrückt hat er bewiesen, daß ein perfektes Rechenprogramm, alles berechnen und mithin vorhersagen kann, außer seinen eigenen Aktivitäten. Diese Form der Unberechenbarkeit läßt sich nicht durch Hinzunahme einiger weiterer, geschickter Rechenschritte beheben, sondern sie ist dem Programm wesensimmanent. In diesem Sinne betrachtet Penrose das Gehirn als eine perfekte Quantenmaschine, der es eigen ist, unperfekt zu sein.

    Die Unterschiede in den Ansichten von Stephen Hawking und Roger Penrose sind subtil und ohne Spezialkenntnisse kaum zu durchschauen. Das Blättern in den beiden Büchern gleicht somit häufig dem Blick in eine komplizierte Fabrik, von der man weder so recht weiß, wie sie arbeitet, noch was genau in ihr produziert wird. Eine kosmologische Werksführung ist es mit sporadischen, ins Allgemeinverständliche abschweifenden Erläuterungen. Stephen Hawking, der über ein gesunde Portion Selbstironie verfügt, äußert sich an einer Stelle denn auch dementsprechend. Er schreibt: "Bei mir stellt sich immer ein unbehagliches Gefühl ein, wenn jemand über Bewußtsein spricht, vor allem, wenn dieser Jemand ein theoretischer Physiker ist."