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Das häßlichste Haus der Welt

Viel Geld hat es gekostet, das Juwel aus den Werkstätten der Technologie-Tüftler, doch jetzt passt es nicht in die gute Stube. Wo sonst aber soll es stehen und vom besseren Leben künden als in jenem Raum, der die bürgerliche Identität par excellence verkörpert? Allerdings ist Thomas Jones kein Bürger, sondern als Bergmann ein stolzer Proletarier, und daß er sich zu solchen Geldausgaben verleiten lässt, zeigt fast schon Dünkel an. Er fühlt sich auch nicht ganz wohl, als der Fuhrmann das gute Stück ins Haus trägt, nur seine Frau Cathrin strahlt vor Glück über - die Radiotruhe? Den Farbfernsehboliden? Die Hifi-Kombination? Wir schreiben das Jahr 1899, und die Krönung des technologischen Fortschritts besteht aus einer viktorianischen Standuhr mit fein ziseliertem Ziffernblatt und einem mächtigen Pendel. Dass in der Schiefergrube am selben Tag ein Streik ausbricht, kann Thomas Jones trotz aller Zweifel an der Nützlichkeit seiner Neuerwerbung nicht vom Kauf abhalten. Denn Jones ist Waliser, Abkömmling jener bekanntermaßen bockigen Ureinwohnerschaft im Südwesten der britischen Insel, deren konsonantenreiche, aber ziemlich unverständliche Sprache sie seit Jahrhunderten zu beliebten Witzfiguren macht.

Florian Felix Weyh |
    Auch Peter Ho Davies ist Waliser, allerdings nur zur Hälfte. Zur anderen Hälfte fließt chinesisches Blut durch seine Adern, und die ungewöhnliche Mischung mag ein Grund für seine genealogische Neugier sein. Wo komme ich her, wo liegen meine Wurzeln?, fragt sich der dreiunddreißigjährige Autor in den zentralen Erzählungen des vorliegenden Bandes, und die Antworten fallen originell aus. Wo andere Altersgenossen mit autobiographischen Fragmenten operieren, ihre Kindheit in den Siebzigern verklären, durchwandert Davies vier Generation britischer Empire-Historie. Von Burenaufständen in Südafrika bis zum kommunistischen Befreiungskampf in Malaysia reicht sein Blick. Überliefertes mischt sich mit Erfundenem und verschmilzt zum modernen Sagenstoff.

    Da wäre etwa der Kinoplakatemaler Lee. Durch einen unglücklichen Zufall fällt er im malayischen Dschungel in die Hände einer Partisanenbande, die sich sein Talent auf ganz eigene Art zunutze machen: Förderhin muß er ihre Greueltaten mit Papier und Bleistift dokumentieren, und das im heroischen Stil amerikanischer Filmplakate. Lee überlebt die Rolle der Kunstgeisel und kassiert zum Schluß auch noch eine saftige Belohnung, als er der britischen Besatzungsmacht den Kopf des Bandenführers abliefert. Eigenhändig abgeschnitten, was der britische Offizier mit einem Wort kommentiert: "Barbaren". Denn wer das tut, was die distinguierten Gentlemen aus der Downing Street befehlen, ist ein Wilder; die Zivilisation zeichnet sich dadurch aus, Befehle nur zu geben, nicht sie auch noch auszuführen.

    Keine Frage, das Spannungsfeld zweier Kulturen, in dem Peter Ho Davies aufgewachsen ist, bekommt seiner Literatur ausgezeichnet. Die Erzählungen sind von einer atmosphärischen Dichte und Farbigkeit, die einerseits an Kipling erinnert, den Urvater aller Dschungelprosa, andererseits an Dylan Thomas, den walisischen Trinkerheld mit der bildmächtigen Sprache, und manchmal klingt auch der Tonfall des frühen Bruce Chatwin durch. Von ihm könnte der Titel der Sammlung stammen. "Das häßlichste Haus der Welt" steht kurz vorm Ende der Zivilisation, nicht in Patagonien, sondern in Wales. Es verdankt seine Entstehung einem archaischen Gesetz, dem zufolge jedermann viertausend Quadratmeter sein eigen nennen dürfe, der ein Haus an einem Tag erbaue und eine Nacht darin schlafe. Pferdefuß: Stein muss es schon sein. Für Ästhetik bleibt da keine Zeit, genausowenig wie im Falle der Standuhr. Ihr kunstvoller Holzaufsatz wird kurzerhand mit Axt und Säge demontiert. Nun passt sie zwar in die gute Stube, aber gegen Bares einwechseln kann man sie auch nicht mehr.