Klaus Remme: Es war ein Eklat, in der vergangenen Woche, der erst im Januar 2004 gewählte Vorsitzende der jüdischen Gemeinde zu Berlin, Albert Meier, warf nach einem internen Kampf das Handtuch. Die Krise gipfelte darin, dass es Untreuevorwürfe gab, es gab Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft in der Gemeinde und Ursache dieses Konfliktes ist ein seit längerem schwelender Streit zwischen dem Vorsitzenden und den russischstämmigen Zuwanderern. Diese Konstellation gibt es natürlich nicht nur in Berlin, die gibt es in vielen jüdischen Gemeinden in Deutschland. In den vergangenen Jahren hat sich natürlich die Zusammensetzung durch viele Juden aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion hierzulande verändert. Am Telefon ist jetzt Michael Fürst, er ist Landesvorsitzender der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen, auch Direktoriumsmitglied im Zentralrat, guten Morgen Herr Fürst.
Michael Fürst: Guten Morgen Herr Remme.
Remme: Herr Fürst, ist dieser Fall ein Einzelfall in Berlin und kann somit eigentlich abgetan werden?
Fürst: Natürlich ist der Fall in dieser besonderen Lage in Berlin etwas Bedeutsames, auf Grund der Größe der Jüdischen Gemeinde Berlin, aber er ist kein Einzelfall an sich, denn wir sind in Deutschland rund 80 jüdischen Gemeinden und in 80 jüdischen Gemeinden gibt es natürlich auch Konflikte und die haben nicht nur, wie es in ihrer Anmoderation schien, etwas mit dem Verhältnis deutsche Juden - russische Juden zu tun, wobei man ja durchaus sagen muss, die deutschen Juden sind ja in der absoluten Minderheit, denn die ehemaligen jüdischen Gemeinden vor der Integration der russischen Juden waren ja ursprünglich mal polnische jüdische Gemeinden, denn die jüdischen Gemeinden in Deutschland sind aufgebaut worden nach dem Krieg von polnischen Juden. Also wir haben jetzt, sage ich mal, so ein Gemix von deutschen, polnischen und russischen Juden.
Remme: Aber was ist das für ein Konflikt? Ist das ein soziokultureller oder ist das ein religiöser Streit?
Fürst: Das hat mit Religion überhaupt nichts zu tun. Das schließe ich völlig aus, Sehn Sie, ich mache das Geschäft nun 25 Jahre und wir haben einen stetigen Wechsel in unseren Vorständen gehabt und nun haben wir eine überwiegende Zahl von russischen Juden da und diese russische Juden wollen auch eine gewissen Macht haben. Das hat aber mit Religion wenig zu tun. Gerade die Jüdische Gemeinde Berlin ist ja nun das Beispiel dafür, dass man unter einem Dach alle Glaubensrichtungen, von Reform zu Orthodox, aufnehmen kann.
Remme: Ist denn die Befürchtung richtig, dass durch diese Entwicklung die jüdischen Gemeinden dahin gehend verändert werden, dass sie eher einem, sagen wir mal, russischem Kulturverein gleichen, als religiösen Gemeinschaften?
Fürst: Auch das ist nicht richtig. Die jüdische Gemeinde ist zunächst einmal einen jüdische Gemeinde und kein russischer Kulturverein. Es kommt ein wenig darauf an, wie man eine Gemeinde führt und man muss natürlich erkennen, dass die neuen Mitglieder auch eine gewisse Position erreichen wollen, die darf man nicht unterdrücken. Wenn ich von vornherein versucht hätte, hier meine neuen russischen Mitglieder in Niedersachsen aus den Vorstandsämtern auszuschließen, wie es in vielen jüdischen Gemeinden Deutschlands geschehen war, sie, sage ich mal, quasi zehn Jahre lang nicht zuzulassen, wie es einige Satzungen sogar vorgesehen haben, dann kann ich von vornherein erwarten, dass es Skandale gibt, dass es Krach gibt, dass es solche Auswüchse gibt, wie auch in Berlin, aber das sind überwiegend menschliche Probleme. Hier in Berlin gibt es einen Zweikampf zwischen den beiden führenden Personen und da die zweite Person nun eine ganz starke russische Macht hinter sich hat, hat nun, bedauerlicher Weise muss ich sagen, der jetzige Vorsitzende das Handtuch geworfen.
Remme: Ich will gar nicht auf diese Grabenkämpfe in Berlin eingehen, die sind wahrscheinlich im Einzelnen und über Jahre gewachsen, sowie so nicht nachvollziehbar in vier bis fünf Minuten, aber gehen wir noch einmal auf das Leben in den jüdischen Gemeinden in Deutschland allgemein ein. Wenn da nun die Mehrheit aus der ehemaligen Sowjetunion kommt, möglicher Weise zu großen Teilen gar nicht deutsch spricht, in wie weit hat sich das Leben in diesen Gemeinden denn verändert?
Fürst: Na gut, das hat sich schon verändert. Ich will das Beispiel Hannover nehmen. Wir haben in Hannover jetzt eine neue sephardische Gemeinde von bucharischen Juden, die einen anderen Ritus haben. Die wollen natürlich ihren Ritus auch ausüben. Wir müssen uns mit ihnen einigen. Wir haben das Problem, dass wir die Sprache nicht verstehen, das heißt, wir müssen in Vorstandssitzungen miteinander auch teilweise mit Dolmetscher arbeiten. Das führt zu einer gewissen Lähmung, aber ich glaube, die jüdisch-russische Integration ist eine Bereicherung des Judentums in Deutschland.
Remme: In Berlin wird nun behauptet, es besteht die Gefahr einer Spaltung der Gemeinde. Sehen Sie das auch realistisch?
Fürst: Das ist durchaus realistisch, aber auch das würde ich nicht als Bedrohung erkennen, sondern wenn sich eine neue jüdische Gemeinde als russisch-jüdische Gemeinde etablieren wird, so wäre das eine Möglichkeit, die man durchaus in Betracht ziehen könnte, um den ständigen Eklat, den es in Berlin nun schon seit vielen, vielen Jahren gibt, doch zu vermeiden.
Remme: Und da wir diesen Konflikt nicht nur in Berlin haben, wäre das ein Modell für andere Teile in Deutschland?
Fürst: Es wäre durchaus ein Modell, wenn man diese neuen Gemeinden unter einem Dach führen würde. Das wird schwierig sein, weil viele Gemeindemitglieder dazu nicht bereit sind, auch intellektuell vielleicht gar nicht in der Lage sind, das durchzuführen. Aber ich könnte mir schon vorstellen, dass man es auseinander zerren müsste.
Remme: Ich habe das noch nicht verstanden. Was würde die Spaltung dieser Einheitsgemeinde bedeuten?
Fürst: Die Spaltung der Einheitsgemeinde? Es wäre keine Spaltung der Einheitsgemeinde. Die Einheitsgemeinde würde weiter bestehen bleiben. Nur, wir hätte zwei verschiedene Kulturgemeinden: Die eine, die russischsprachige und die andere, die deutschsprachige.
Remme: Ich lese gerade, zumindest in Auszügen, den Staatsvertrag, der geschlossen wurde zwischen Deutschland und dem Zentralrat und da heißt es, dass die Bundesregierung sich verpflichtet, zum Erhalt und zur Pflege des deutsch-jüdischen Kulturerbes beizutragen. Ist das in Gefahr?
Fürst: Überhaupt nicht. Die jüdischen Gemeinden in Deutschland sind jüdische Gemeinden. Das ist erst mal das große Dach, das über allem steht. Wir sind jüdische Gemeinden, wir haben eine jüdische Religion, wir haben jüdischen Gottesdienst, wir alle glauben an einen jüdischen Gott, den gemeinsamen Gott, den wir alle haben und unter diesem Dach fühlen wir uns dann wohl und unter diesem Dach streiten wir uns auch und unter diesem Dach werden wir gemeinsam mit allen Streitigkeiten weiterleben wollen, auch die russischen Juden, die einfach nur, und das muss man auch nachvollziehen können, ein bisschen mehr Macht haben wollen, als sie früher hatten.
Remme: Vielen Dank, das war Michael Fürst, Landesvorsitzender der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen. Vielen Dank für das Gespräch.
Michael Fürst: Guten Morgen Herr Remme.
Remme: Herr Fürst, ist dieser Fall ein Einzelfall in Berlin und kann somit eigentlich abgetan werden?
Fürst: Natürlich ist der Fall in dieser besonderen Lage in Berlin etwas Bedeutsames, auf Grund der Größe der Jüdischen Gemeinde Berlin, aber er ist kein Einzelfall an sich, denn wir sind in Deutschland rund 80 jüdischen Gemeinden und in 80 jüdischen Gemeinden gibt es natürlich auch Konflikte und die haben nicht nur, wie es in ihrer Anmoderation schien, etwas mit dem Verhältnis deutsche Juden - russische Juden zu tun, wobei man ja durchaus sagen muss, die deutschen Juden sind ja in der absoluten Minderheit, denn die ehemaligen jüdischen Gemeinden vor der Integration der russischen Juden waren ja ursprünglich mal polnische jüdische Gemeinden, denn die jüdischen Gemeinden in Deutschland sind aufgebaut worden nach dem Krieg von polnischen Juden. Also wir haben jetzt, sage ich mal, so ein Gemix von deutschen, polnischen und russischen Juden.
Remme: Aber was ist das für ein Konflikt? Ist das ein soziokultureller oder ist das ein religiöser Streit?
Fürst: Das hat mit Religion überhaupt nichts zu tun. Das schließe ich völlig aus, Sehn Sie, ich mache das Geschäft nun 25 Jahre und wir haben einen stetigen Wechsel in unseren Vorständen gehabt und nun haben wir eine überwiegende Zahl von russischen Juden da und diese russische Juden wollen auch eine gewissen Macht haben. Das hat aber mit Religion wenig zu tun. Gerade die Jüdische Gemeinde Berlin ist ja nun das Beispiel dafür, dass man unter einem Dach alle Glaubensrichtungen, von Reform zu Orthodox, aufnehmen kann.
Remme: Ist denn die Befürchtung richtig, dass durch diese Entwicklung die jüdischen Gemeinden dahin gehend verändert werden, dass sie eher einem, sagen wir mal, russischem Kulturverein gleichen, als religiösen Gemeinschaften?
Fürst: Auch das ist nicht richtig. Die jüdische Gemeinde ist zunächst einmal einen jüdische Gemeinde und kein russischer Kulturverein. Es kommt ein wenig darauf an, wie man eine Gemeinde führt und man muss natürlich erkennen, dass die neuen Mitglieder auch eine gewisse Position erreichen wollen, die darf man nicht unterdrücken. Wenn ich von vornherein versucht hätte, hier meine neuen russischen Mitglieder in Niedersachsen aus den Vorstandsämtern auszuschließen, wie es in vielen jüdischen Gemeinden Deutschlands geschehen war, sie, sage ich mal, quasi zehn Jahre lang nicht zuzulassen, wie es einige Satzungen sogar vorgesehen haben, dann kann ich von vornherein erwarten, dass es Skandale gibt, dass es Krach gibt, dass es solche Auswüchse gibt, wie auch in Berlin, aber das sind überwiegend menschliche Probleme. Hier in Berlin gibt es einen Zweikampf zwischen den beiden führenden Personen und da die zweite Person nun eine ganz starke russische Macht hinter sich hat, hat nun, bedauerlicher Weise muss ich sagen, der jetzige Vorsitzende das Handtuch geworfen.
Remme: Ich will gar nicht auf diese Grabenkämpfe in Berlin eingehen, die sind wahrscheinlich im Einzelnen und über Jahre gewachsen, sowie so nicht nachvollziehbar in vier bis fünf Minuten, aber gehen wir noch einmal auf das Leben in den jüdischen Gemeinden in Deutschland allgemein ein. Wenn da nun die Mehrheit aus der ehemaligen Sowjetunion kommt, möglicher Weise zu großen Teilen gar nicht deutsch spricht, in wie weit hat sich das Leben in diesen Gemeinden denn verändert?
Fürst: Na gut, das hat sich schon verändert. Ich will das Beispiel Hannover nehmen. Wir haben in Hannover jetzt eine neue sephardische Gemeinde von bucharischen Juden, die einen anderen Ritus haben. Die wollen natürlich ihren Ritus auch ausüben. Wir müssen uns mit ihnen einigen. Wir haben das Problem, dass wir die Sprache nicht verstehen, das heißt, wir müssen in Vorstandssitzungen miteinander auch teilweise mit Dolmetscher arbeiten. Das führt zu einer gewissen Lähmung, aber ich glaube, die jüdisch-russische Integration ist eine Bereicherung des Judentums in Deutschland.
Remme: In Berlin wird nun behauptet, es besteht die Gefahr einer Spaltung der Gemeinde. Sehen Sie das auch realistisch?
Fürst: Das ist durchaus realistisch, aber auch das würde ich nicht als Bedrohung erkennen, sondern wenn sich eine neue jüdische Gemeinde als russisch-jüdische Gemeinde etablieren wird, so wäre das eine Möglichkeit, die man durchaus in Betracht ziehen könnte, um den ständigen Eklat, den es in Berlin nun schon seit vielen, vielen Jahren gibt, doch zu vermeiden.
Remme: Und da wir diesen Konflikt nicht nur in Berlin haben, wäre das ein Modell für andere Teile in Deutschland?
Fürst: Es wäre durchaus ein Modell, wenn man diese neuen Gemeinden unter einem Dach führen würde. Das wird schwierig sein, weil viele Gemeindemitglieder dazu nicht bereit sind, auch intellektuell vielleicht gar nicht in der Lage sind, das durchzuführen. Aber ich könnte mir schon vorstellen, dass man es auseinander zerren müsste.
Remme: Ich habe das noch nicht verstanden. Was würde die Spaltung dieser Einheitsgemeinde bedeuten?
Fürst: Die Spaltung der Einheitsgemeinde? Es wäre keine Spaltung der Einheitsgemeinde. Die Einheitsgemeinde würde weiter bestehen bleiben. Nur, wir hätte zwei verschiedene Kulturgemeinden: Die eine, die russischsprachige und die andere, die deutschsprachige.
Remme: Ich lese gerade, zumindest in Auszügen, den Staatsvertrag, der geschlossen wurde zwischen Deutschland und dem Zentralrat und da heißt es, dass die Bundesregierung sich verpflichtet, zum Erhalt und zur Pflege des deutsch-jüdischen Kulturerbes beizutragen. Ist das in Gefahr?
Fürst: Überhaupt nicht. Die jüdischen Gemeinden in Deutschland sind jüdische Gemeinden. Das ist erst mal das große Dach, das über allem steht. Wir sind jüdische Gemeinden, wir haben eine jüdische Religion, wir haben jüdischen Gottesdienst, wir alle glauben an einen jüdischen Gott, den gemeinsamen Gott, den wir alle haben und unter diesem Dach fühlen wir uns dann wohl und unter diesem Dach streiten wir uns auch und unter diesem Dach werden wir gemeinsam mit allen Streitigkeiten weiterleben wollen, auch die russischen Juden, die einfach nur, und das muss man auch nachvollziehen können, ein bisschen mehr Macht haben wollen, als sie früher hatten.
Remme: Vielen Dank, das war Michael Fürst, Landesvorsitzender der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen. Vielen Dank für das Gespräch.