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"Das Hauptproblem liegt bei der Regierung in Mali"

Die außenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Kerstin Müller, kritisiert die Pläne der Bundesregierung für eine Ausbildung der malischen Armee. Ohne eine Friedensfahrplan sei das unverantwortlich. Deutschland solle dabei helfen, die Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS und die Afrikanische Union in die Lage zu versetzen, den Konflikt zu lösen.

Kerstin Müller im Gespräch mit Christiane Kaess | 14.01.2013
    Christiane Kaess: Auf internationaler Ebene wird schon seit Monaten diskutiert über einen Militäreinsatz im westafrikanischen Mali. Doch dann ging alles ganz schnell: Am vergangenen Freitag griffen französische Truppen in Mali ein, in der sogenannten "Operation Serval". Der Name Serval ist angelehnt an die gleichnamige afrikanische Wüstenkatze. Ein Merkmal dieser Katze: Sie lebt als Einzelgänger. Ob mit Absicht oder nicht - der Name symbolisiert jetzt einen militärischen Alleingang. Aber in Paris gibt es bereits Kritik und Erwartungen an die anderen Europäer.

    Am Telefon mitgehört hat Kerstin Müller, außenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. Guten Tag, Frau Müller.

    Kerstin Müller: Guten Tag, Frau Kaess!

    Kaess: Frau Müller, Analysten gehen davon aus, hätte Frankreich jetzt nicht eingegriffen, wäre der malische Staat gefallen. War also die entschlossene Intervention Frankreichs jetzt richtig?

    Müller: Also ich halte das nach wie vor für eine sehr hoch riskante Aktion. Und vor allen Dingen glaube ich, wenn nicht ein politischer Prozess möglichst schnell und bald eingeleitet wird, das nicht von sozusagen nachhaltiger Dauer geprägt sein wird. Dann wird man vielleicht kurzfristig den islamistischen Vormarsch abgewehrt haben, aber man wird keine dauerhafte Stabilisierung des Landes erreichen. Und ich muss sagen: Die Bundesregierung, da ist ja eher Chaos. De Maizière sagt dieses, der Außenminister sagt jenes. Ich glaube einfach, dass die Bundesregierung sehr lange unterschätzt hat, wie brisant die Lage in der Sahelregion ist. Man hätte schon lange mit einem politischen Prozess anfangen müssen. Und das Hauptproblem liegt bei der Regierung in Mali.

    Kaess: Noch mal kurz zurück zu dem Einsatz. Sie sprechen von einem hohen Risiko. Haben wir auf der anderen Seite nicht ein hohes Risiko, dass Mali ganz schnell ein islamistischer Staat werden könnte oder ein neues Somalia?

    Müller: Ja. Aber auch mit diesem Einsatz ist nicht ausgeschlossen, dass er das wird. Noch mal: Wenn es kein politisches Konzept für eine Veränderung der Regierung in Mali gibt, Reformen angepackt werden, Reformen auf den Weg gebracht werden, Wahlen irgendwann stattfinden, solange es also einen solchen Friedensfahrplan nicht gibt, wo auch die reformbereiten Kräfte in der Regierung mit den dialogbereiten sozusagen auf der islamischen Seite, islamistischen Seite in Dialog eintreten, wenn es das nicht gibt, dann wird das meines Erachtens wahrscheinlich sowieso nicht auszuschließen sein. Also noch mal: Das ist vielleicht eine kurzfristige Abwehr des islamistischen Vormarsches. Ich finde, dass Deutschland viel zu lange gezögert hat und die Europäische Union viel zu lange gezögert hat, hier dauerhaft mit zivilen Mitteln auf eine politische Reform, auf einen politischen Prozess zu drängen. Das war absehbar, dass das so passieren würde, wie es jetzt passiert ist.

    Kaess: Aber wenn Sie so den politischen Prozess betonen, verstehe ich Sie trotzdem richtig, dass Sie auf der anderen Seite auch sagen, ohne eine militärische Intervention geht es nicht?

    Müller: Würde ich so nicht sagen.

    Kaess: Sondern?

    Müller: Beauftragt sind vor allen Dingen die ECOWAS. Also ich glaube, was jetzt wichtig wäre - auch da hat man viel zu lange gezögert: Meines Erachtens müssten die Afrikanische Union und die ECOWAS und nicht wieder die ehemalige Kolonialmacht, die ja Teil des Problems in der ganzen Region ist, hier eingreifen, sondern wir müssen jetzt alles daran setzen, dass die ECOWAS, also die Regionalorganisation, die Afrikanische Union, so ja auch der UN-Sicherheitsratsbeschluss, in die Lage versetzt werden, solche Krisen selber anzupacken. Auch da hat man bisher viel zu lange gezögert und das nicht konsequent seit Jahr und Tag getan.

    Kaess: Aber die ECOWAS wünscht sich ja ein Eingreifen von außen und Alassane Ouattara, der Vorsitzende der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, die eben eine Eingreiftruppe nach Mali schicken will, der wird eventuell bei seinem Besuch in Berlin diese Woche - das haben wir gerade von unserem Korrespondenten gehört - um logistische Unterstützung bitten. Sollte die Regierung das denn ablehnen?

    Müller: Also erstens steht das überhaupt noch nicht fest. Soweit ich weiß, gibt es bereits logistische Zusagen von anderen Ländern. Und ob er nun hier um logistische Unterstützung fragen wird, das weiß ich nicht. Mir ist das nicht bekannt und meines Erachtens, ich halte das für Spekulation und deshalb würde ich darüber auch jetzt nicht reden wollen. Das muss man dann schauen. Aber wichtig ist: Die ECOWAS hat jetzt seit Monaten versucht, eben Truppen aufzustellen, und das ist nicht passiert. Das wäre eben jetzt sehr wichtig und das scheint sich ja jetzt anzubahnen, dass nigerische Soldaten, Benin und Togo, Senegal, dass die jetzt Zusagen gemacht haben. Das heißt, dass ECOWAS im Grunde immer noch sozusagen selbst hier auch letztlich das Problem anpacken und lösen will. Und dann sollte sich auch Frankreich so schnell wie möglich sozusagen dort aus der Front zurückziehen.

    Kaess: Sie sagen, andere Länder haben schon Zusagen gemacht. Dazu gehört zum Beispiel auch Großbritannien. Aber wie lange kann man denn diese Linie durchhalten, dass man immer nur sagt, die anderen sollen sich engagieren, aber die Deutschen bleiben immer außen vor?

    Müller: Wie gesagt, eine Unterstützung von ECOWAS und ein Aufbau und eine Stärkung von ECOWAS, das finde ich richtig. Und auch der Afrikanischen Union, auch das Anschieben eines politischen Prozesses, auch das finde ich richtig. Aber ich bin skeptisch gegenüber diesem nationalen Alleingang, der jetzt quasi stattgefunden hat, zwar völkerrechtlich gedeckt, aber war wohl im Grunde jetzt nicht anders machbar. Aber man muss eben auch die Weiterungen und die Risiken sehen, die diese Aktion auch beinhaltet.

    Kaess: Aber grundsätzlich sind Sie nicht so weit entfernt von der Linie von Bundesverteidigungsminister de Maizière, der sagt, damit sich Mali stabilisiere, könnte Deutschland etwa bei der Ausbildung malischer Sicherheitskräfte helfen?

    Müller: Doch, wir sind meilenweit von de Maizière entfernt, weil de Maizière hat gesagt, er findet alles prima, was die Franzosen machen, und redet jetzt nur wieder von einer Ausbildungsmission.

    Kaess: Aber Sie reden doch auch von Unterstützung.

    Müller: Nein, eine Ausbildungsmission der malischen Armee. Ich habe eben von einer Ausbildung und einer Unterstützung von ECOWAS gesprochen. Eine Ausbildung der malischen Armee in einer Situation, wo dort ein heißer Konflikt ist, wo es keinen Friedensfahrplan gibt, kein Konzept für die Reform des Sicherheitssektors, keine Vermittlung bei Menschenrechten und demokratischen Standards, die gesetzt werden müssen, halte ich jetzt für nicht verantwortbar. Sondern die Bundesregierung muss sich jetzt darauf konzentrieren, dass man ECOWAS und die Afrikanische Union in den Stand versetzt, diesen Konflikt zu lösen, sowohl politisch als auch militärisch. Das habe ich gesagt und das ist meilenweit von dem entfernt, worüber jetzt de Maizière spekuliert hat.

    Kaess: Glauben Sie denn, eine solche Ausbildungsmission bedeutet tatsächlich, so wie de Maizière das sagt, keine Beteiligung an der Rückeroberung des Nordens? Glauben Sie, bei dieser Abgrenzung könnte es bleiben?

    Müller: Nein! Ich glaube, das ist geradezu unmöglich. Man kann doch nicht eine Armee, die gerade im Krieg ist, ausbilden. Dann ist man auch mit im Krieg, das ist ja wohl logisch. Ich glaube, diese Pläne, die man ursprünglich hatte, die muss man jetzt erst mal auf Eis legen, weil dieses Zeitfenster der Gelegenheit ist jetzt erst mal geschlossen. Jetzt muss man sehen, dass Frankreich möglichst schnell abgibt in dieser militärischen Auseinandersetzung an die ECOWAS, an die westafrikanische Regionalorganisation, und an die Afrikanische Union. Und dann kann man, wenn hier die Waffen wieder schweigen, es dann zu einem politischen Prozess kommt, dann kann man wieder auf der Grundlage eines Friedensfahrplans über eine malische Ausbildungsmission nachdenken.

    Kaess: Haben Sie auf der anderen Seite den Eindruck, dass der deutsche Einsatz schon beschlossene Sache ist?

    Müller: Er war, glaube ich, mehr oder weniger beschlossen, bevor die Lage dort eskaliert ist. Ja, das scheint so zu sein. Wobei wir, muss ich klar sagen, vom Parlament hier eher immer hingehalten worden sind. Uns wurde gesagt, es gibt bisher noch nichts genaues, es gibt keinen Beschluss des PSK in der Europäischen Union. Das heißt, wir wurden bisher nur mäßig informiert, was das betrifft. Aber mein Eindruck ist, dass er im Grunde genommen politisch beschlossen war, bevor die Lage jetzt so eskaliert ist. Jetzt ist die Lage eskaliert, Frankreich hat interveniert. Jetzt muss man im Grunde neu denken, was ist zu tun, und ich bleibe bei meiner Linie: Ich halte das nach wie vor für wichtig, dass wir dafür sorgen, dass die Afrikaner selbst in der Lage sind, diese Konflikte anzugehen. Sie bitten auch darum, sie wollen das auch. Und statt die Mittel zu streichen für das Kofi Annan Peacekeeping und Training Centre in Ghana, was wir gemacht haben, müssen wir die massiv aufstocken und müssen die ECOWAS und die Afrikanische Union unterstützen.

    Kaess: Sagt Kerstin Müller, außenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. Danke für das Gespräch, Frau Müller.

    Müller: Bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.