Stefan Heinlein: Rache für die Mohammed-Karikaturen. Der Kofferbomber von Köln Jihad Hamad hat gestanden. Sein Motiv: Hass auf den Westen, auf eine Gesellschaft von Ungläubigen. Doch trotz des Geständnisses bleiben Fragen. Wie kam es zur Radikalisierung des 20-jährigen Studenten und seines fast gleichaltrigen Mittäters? Warum planten sie den Massenmord an unschuldigen Menschen? Fest steht: Die Islamisten-Szene hat ihre Wurzeln auch in Deutschland. Die Generalbundesanwältin Monika Harms informiert heute in Berlin über den Kampf gegen diese wachsende Gefahr. Im Mittelpunkt der Ermittlungen steht zunehmend auch das Internet. Das Netz sei das neue Trainingscamp der Terroristen, so warnt Innenminister Schäuble. Der "Spiegel-Online"-Redakteur Yassin Musharbasch beschäftigt sich seit langem mit der islamistischen Terrorszene im Internet und hat ein Buch über die neue El Kaida geschrieben. Arbeitet der neue El-Kaida-Terrorist tatsächlich eher mit dem Laptop und weniger mit der Kalaschnikow?
Yassin Musharbasch: Ganz sicher ist das der Fall. Kalaschnikow ist in dem Sinne lange nicht mehr zum Einsatz gekommen, Laptops mit Sicherheit tagtäglich und an vielen verschiedenen Orten.
Heinlein: Welche Rolle spielt denn das Internet insgesamt für die islamistische Terrorszene? Ist es tatsächlich ein Trainingscamp, eine Art Fernuniversität, wie Wolfgang Schäuble es jetzt gesagt hat?
Musharbasch: Ja, das ist schon der treffende Begriff. Es erfüllt mehrere Funktionen. Ein Teil des dschihadistischen Internet beschäftigt sich mit der Verbreitung von Ideologie, das bedeutet mit der Erklärung, warum bestimmte Gruppen Feinde sind, warum man sie bekämpfen muss, warum das religiös gerechtfertigt ist. Ein zweiter Strang betrifft eben das Training. Es ist in gewisser Weise Ersatz für die verloren gegangenen Trainingscamps in Afghanistan. Dort finden sie also Anleitungen zum Sprengstoffmischen, für den Bombenbau, für die Organisation einer Zelle, für die Finanzierung einer Zelle und so weiter.
Heinlein: Aus welchen Quellen stammen denn diese Internet-Seiten? Wer sind die Autoren?
Musharbasch: Das wissen wir in der Regel nicht ganz genau. Wir können an einigen Materialien wiedererkennen, dass das zum Teil die online gestellten Schulungsunterlagen aus den afghanischen Trainingscamps sind, also quasi die Schulbücher der El Kaida, die es früher nur in Afghanistan gab. Die gibt es jetzt im Internet. Zum Teil sind das aber auch ganz neue Dschihad-Enzyklopädien und Lexika sowie Anleitungen, die dort zusammengestellt werden von Sympathisanten und Aktivisten, die wahrscheinlich auch nicht von Bin Laden beauftragt werden, das zu tun, sondern die das aus eigenem Antrieb tun und die Macht des Internet in diesem Zusammenhang erkannt haben.
Heinlein: Also ganz praktische Tipps, wenn man so will, für Terroristen. Wird das Internet auch genutzt, um potenzielle Terroristen zu rekrutieren und dann auch zu radikalisieren, weil gerade ja junge Menschen das Internet nutzen?
Musharbasch: Genau. Propaganda ist natürlich ein ganz großer weiterer Bereich, für den das Internet eine riesige Rolle spielt. Das beginnt mit der Verbreitung von Kampfszenen aus dem Irak, von gefilmten Anschlägen aus Afghanistan und anderen Ländern, mit der Verbreitung von Bin-Laden-Reden und anderer. Das ganze wird mittlerweile auch ziemlich modern und attraktiv und fast im Videoclip-Format im MTV-Stil verpackt. Ein Beispiel aus der letzten Woche sind die 100 größten Anschläge in sechs Minuten aus dem Irak etwa.
Heinlein: Ist denn mit den Maßnahmen, die Generalbundesanwältin Monika Harms heute vorstellen wird, schärfere Überwachung des Internets, mehr arabisch sprechende Fahnder, dieser Bedrohung, dieser Radikalisierung Herr zu werden?
Musharbasch: Wenn man ehrlich ist nein. Das was da jetzt vorgeschlagen wird, läuft im Prinzip darauf hinaus, dass man sich ein besseres Bild davon verschafft, was dort eigentlich passiert. Es geht aber weniger darum, irgendetwas zu verhindern oder in den Griff zu bekommen. Das Internet kann man weder kontrollieren noch abschalten. Man kann natürlich einzelne Figuren, einzelne Personen mit Methoden der Strafverfolgung möglicherweise aus dem Verkehr ziehen, aber das werden immer nur Tropfen auf den ganz heißen Stein sein. Ich glaube, wir sind relativ am Anfang dieser Geschichte. Die Behörden versuchen, erst mal nur ihr Bild überhaupt zu präzisieren. Die wissen gar nicht so viel, wie man annehmen könnte. Aber dadurch etwas einzudämmen oder bevor man dadurch etwas eindämmen kann, das dauert noch eine ganze Weile.
Heinlein: Ist es überhaupt möglich für Polizei und Geheimdienste, in diese fundamentalistischen Milieus einzudringen?
Musharbasch: Im Internet ist es einfacher als im echten Leben. Sie können sich natürlich unter einem islamistisch oder islamisch anmutenden Login-Namen in bestimmten Foren herumtreiben und dann mitlesen. Dann müssen sie vielleicht auch ab und zu mal etwas schreiben, damit man sie noch ernst nimmt. Das geht relativ einfach, viel einfacher als wenn sie mit realen Menschen in eine reale Zelle versuchen einzudringen.
Heinlein: Wie kommt es denn zur Radikalisierung dieser jungen Muslime auch hier in Deutschland? Was sind die Wurzeln des Hasses auf unsere Gesellschaft, auf den Westen?
Musharbasch: Es scheint im Moment zwei Antriebsfedern zu geben, wenn wir über junge Muslime im Westen reden, die sich radikalisieren. Das eine ist, dass vor allem der Krieg gegen den Irak, aber auch schon der in Afghanistan den Eindruck erweckt hat, hier wird ganz gezielt eigentlich eine religiöse Gruppe angegriffen, nämlich der Islam als solcher. Der zweite Punkt, der dazu kommt und dort hineingreift, ist die Vorstellung, dass man hier nicht gewollt ist, dass Integration von der deutschen Mehrheitsgesellschaft abgelehnt wird, dass man nicht ernst genommen wird, dass man seit dem 11. September als Moslem ja ohnehin verdächtigt wird, Terrorist zu sein. Wenn diese beiden Mechanismen zusammenkommen, dann vielleicht noch ein Bruch in der persönlichen Biographie, dann scheint es so etwas wie ein Potenzial zu geben, das Ideologien wie die von El Kaida und dergleichen verfangen.
Heinlein: Ist also die Gleichsetzung von Moslem gleich Terrorist, wie wir sie ja in unserer Gesellschaft durchaus erleben, eine zusätzliche Gefahr? Droht eine noch tiefere Spaltung in unserer Gesellschaft?
Musharbasch: Ja. Diese Gleichsetzung ist gewissermaßen, wenn man es auf den Punkt bringt, anscheinend eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Je öfter, je mehr Muslime das Gefühl haben, dass diese Gleichung aufgemacht wird, desto mehr von ihnen sind offenbar bereit, dann zu sagen, dann werde ich eben Terrorist, wenn ihr das ohnehin erwartet und nichts anderes von mir erwartet. Wir sollten aber nicht übertreiben. Wir reden glücklicherweise immer noch über ganz wenige Fälle.
Heinlein: Sind denn die beiden verhinderten Bahnattentäter, Jihad Hamad und sein mutmaßlicher Mittäter - sie sind beide gut ausgebildet und scheinbar integriert in unsere Gesellschaft; sie haben hier studiert -, die Prototypen des neuen El-Kaida-Terroristen?
Musharbasch: In gewisser Weise ja und in gewisser Weise nein. Nein, weil sie nicht ferngesteuert waren und nicht auf Antrieb oder auf Befehl von Bin Laden oder sonst irgendeinem größeren Netzwerk agiert haben, sondern nach allem was wir wissen auf eigene Faust. Das macht sie zum Teil dieser ganz neuen Generation. Die kann man als Teil von El Kaida begreifen, weil sie ohne El Kaida nicht vorstellbar ist, aber die Verbindungen an den Hindukusch sind eben nur noch sehr, sehr lose beziehungsweise in diesem Fall wahrscheinlich gar nicht gegeben.
Sie sind aber eben ein Beispiel dafür, weil sie bestätigen einen Trend, den wir schon länger beobachten können, nämlich dass die Radikalisierung immer schneller vonstatten geht, in diesem Fall innerhalb weniger Monate. Von der Karikaturen-Krise bis zum geplanten Anschlag ist nicht mal ein Jahr vergangen. Offenbar waren die Karikaturen der Auslöser für die Radikalisierung und das zeigt, wenn diese explosive Grundstimmung da ist, dann braucht es manchmal nur noch einen Anlass und dann geht das heutzutage in Windeseile.
Yassin Musharbasch: Ganz sicher ist das der Fall. Kalaschnikow ist in dem Sinne lange nicht mehr zum Einsatz gekommen, Laptops mit Sicherheit tagtäglich und an vielen verschiedenen Orten.
Heinlein: Welche Rolle spielt denn das Internet insgesamt für die islamistische Terrorszene? Ist es tatsächlich ein Trainingscamp, eine Art Fernuniversität, wie Wolfgang Schäuble es jetzt gesagt hat?
Musharbasch: Ja, das ist schon der treffende Begriff. Es erfüllt mehrere Funktionen. Ein Teil des dschihadistischen Internet beschäftigt sich mit der Verbreitung von Ideologie, das bedeutet mit der Erklärung, warum bestimmte Gruppen Feinde sind, warum man sie bekämpfen muss, warum das religiös gerechtfertigt ist. Ein zweiter Strang betrifft eben das Training. Es ist in gewisser Weise Ersatz für die verloren gegangenen Trainingscamps in Afghanistan. Dort finden sie also Anleitungen zum Sprengstoffmischen, für den Bombenbau, für die Organisation einer Zelle, für die Finanzierung einer Zelle und so weiter.
Heinlein: Aus welchen Quellen stammen denn diese Internet-Seiten? Wer sind die Autoren?
Musharbasch: Das wissen wir in der Regel nicht ganz genau. Wir können an einigen Materialien wiedererkennen, dass das zum Teil die online gestellten Schulungsunterlagen aus den afghanischen Trainingscamps sind, also quasi die Schulbücher der El Kaida, die es früher nur in Afghanistan gab. Die gibt es jetzt im Internet. Zum Teil sind das aber auch ganz neue Dschihad-Enzyklopädien und Lexika sowie Anleitungen, die dort zusammengestellt werden von Sympathisanten und Aktivisten, die wahrscheinlich auch nicht von Bin Laden beauftragt werden, das zu tun, sondern die das aus eigenem Antrieb tun und die Macht des Internet in diesem Zusammenhang erkannt haben.
Heinlein: Also ganz praktische Tipps, wenn man so will, für Terroristen. Wird das Internet auch genutzt, um potenzielle Terroristen zu rekrutieren und dann auch zu radikalisieren, weil gerade ja junge Menschen das Internet nutzen?
Musharbasch: Genau. Propaganda ist natürlich ein ganz großer weiterer Bereich, für den das Internet eine riesige Rolle spielt. Das beginnt mit der Verbreitung von Kampfszenen aus dem Irak, von gefilmten Anschlägen aus Afghanistan und anderen Ländern, mit der Verbreitung von Bin-Laden-Reden und anderer. Das ganze wird mittlerweile auch ziemlich modern und attraktiv und fast im Videoclip-Format im MTV-Stil verpackt. Ein Beispiel aus der letzten Woche sind die 100 größten Anschläge in sechs Minuten aus dem Irak etwa.
Heinlein: Ist denn mit den Maßnahmen, die Generalbundesanwältin Monika Harms heute vorstellen wird, schärfere Überwachung des Internets, mehr arabisch sprechende Fahnder, dieser Bedrohung, dieser Radikalisierung Herr zu werden?
Musharbasch: Wenn man ehrlich ist nein. Das was da jetzt vorgeschlagen wird, läuft im Prinzip darauf hinaus, dass man sich ein besseres Bild davon verschafft, was dort eigentlich passiert. Es geht aber weniger darum, irgendetwas zu verhindern oder in den Griff zu bekommen. Das Internet kann man weder kontrollieren noch abschalten. Man kann natürlich einzelne Figuren, einzelne Personen mit Methoden der Strafverfolgung möglicherweise aus dem Verkehr ziehen, aber das werden immer nur Tropfen auf den ganz heißen Stein sein. Ich glaube, wir sind relativ am Anfang dieser Geschichte. Die Behörden versuchen, erst mal nur ihr Bild überhaupt zu präzisieren. Die wissen gar nicht so viel, wie man annehmen könnte. Aber dadurch etwas einzudämmen oder bevor man dadurch etwas eindämmen kann, das dauert noch eine ganze Weile.
Heinlein: Ist es überhaupt möglich für Polizei und Geheimdienste, in diese fundamentalistischen Milieus einzudringen?
Musharbasch: Im Internet ist es einfacher als im echten Leben. Sie können sich natürlich unter einem islamistisch oder islamisch anmutenden Login-Namen in bestimmten Foren herumtreiben und dann mitlesen. Dann müssen sie vielleicht auch ab und zu mal etwas schreiben, damit man sie noch ernst nimmt. Das geht relativ einfach, viel einfacher als wenn sie mit realen Menschen in eine reale Zelle versuchen einzudringen.
Heinlein: Wie kommt es denn zur Radikalisierung dieser jungen Muslime auch hier in Deutschland? Was sind die Wurzeln des Hasses auf unsere Gesellschaft, auf den Westen?
Musharbasch: Es scheint im Moment zwei Antriebsfedern zu geben, wenn wir über junge Muslime im Westen reden, die sich radikalisieren. Das eine ist, dass vor allem der Krieg gegen den Irak, aber auch schon der in Afghanistan den Eindruck erweckt hat, hier wird ganz gezielt eigentlich eine religiöse Gruppe angegriffen, nämlich der Islam als solcher. Der zweite Punkt, der dazu kommt und dort hineingreift, ist die Vorstellung, dass man hier nicht gewollt ist, dass Integration von der deutschen Mehrheitsgesellschaft abgelehnt wird, dass man nicht ernst genommen wird, dass man seit dem 11. September als Moslem ja ohnehin verdächtigt wird, Terrorist zu sein. Wenn diese beiden Mechanismen zusammenkommen, dann vielleicht noch ein Bruch in der persönlichen Biographie, dann scheint es so etwas wie ein Potenzial zu geben, das Ideologien wie die von El Kaida und dergleichen verfangen.
Heinlein: Ist also die Gleichsetzung von Moslem gleich Terrorist, wie wir sie ja in unserer Gesellschaft durchaus erleben, eine zusätzliche Gefahr? Droht eine noch tiefere Spaltung in unserer Gesellschaft?
Musharbasch: Ja. Diese Gleichsetzung ist gewissermaßen, wenn man es auf den Punkt bringt, anscheinend eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Je öfter, je mehr Muslime das Gefühl haben, dass diese Gleichung aufgemacht wird, desto mehr von ihnen sind offenbar bereit, dann zu sagen, dann werde ich eben Terrorist, wenn ihr das ohnehin erwartet und nichts anderes von mir erwartet. Wir sollten aber nicht übertreiben. Wir reden glücklicherweise immer noch über ganz wenige Fälle.
Heinlein: Sind denn die beiden verhinderten Bahnattentäter, Jihad Hamad und sein mutmaßlicher Mittäter - sie sind beide gut ausgebildet und scheinbar integriert in unsere Gesellschaft; sie haben hier studiert -, die Prototypen des neuen El-Kaida-Terroristen?
Musharbasch: In gewisser Weise ja und in gewisser Weise nein. Nein, weil sie nicht ferngesteuert waren und nicht auf Antrieb oder auf Befehl von Bin Laden oder sonst irgendeinem größeren Netzwerk agiert haben, sondern nach allem was wir wissen auf eigene Faust. Das macht sie zum Teil dieser ganz neuen Generation. Die kann man als Teil von El Kaida begreifen, weil sie ohne El Kaida nicht vorstellbar ist, aber die Verbindungen an den Hindukusch sind eben nur noch sehr, sehr lose beziehungsweise in diesem Fall wahrscheinlich gar nicht gegeben.
Sie sind aber eben ein Beispiel dafür, weil sie bestätigen einen Trend, den wir schon länger beobachten können, nämlich dass die Radikalisierung immer schneller vonstatten geht, in diesem Fall innerhalb weniger Monate. Von der Karikaturen-Krise bis zum geplanten Anschlag ist nicht mal ein Jahr vergangen. Offenbar waren die Karikaturen der Auslöser für die Radikalisierung und das zeigt, wenn diese explosive Grundstimmung da ist, dann braucht es manchmal nur noch einen Anlass und dann geht das heutzutage in Windeseile.