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"Das ist alles sehr dramatisch"

Die Hilfsorganisation CARE Deutschland beklagt eine Zuspitzung der Lage für die Flüchtlinge in der sudanesischen Krisenprovinz Darfur. Es sei "dramatisch und tragisch zu sehen, dass es immer Flüchtlinge gibt, die mehrere Wochen vor den Camps lagern müssen, bis sie betreut werden können", sagte Heribert Scharrenbroich, der Vorsitzende von CARE Deutschland.

Moderation: Doris Simon |
    Doris Simon: Das Darfur Peace Agreement, die Friedensvereinbarung für die Bürgerkriegsprovinz im Westen des Sudans, sollte der Anfang vom Ende des Dauerkonfliktes sein. Das hatte die Welt zumindest im Mai 2006 bei der Unterzeichnung gehofft. Daraus ist aber wohl nichts geworden, denn Millionen Menschen, die ihre Dörfer haben verlassen müssen, leben immer noch in Flüchtlingslagern ohne Aussicht auf Rückkehr. In Darfur selber kämpfen weiter mehrere Rebellengruppen gegen Regierungstruppen und die aus Khartum finanzierten Dschandschawid-Milizen.

    Heribert Scharrenbroich, der Vorsitzende von CARE Deutschland, hat eine Woche lang Flüchtlingslager im Sudan besucht, mit Betroffenen, mit Politikern und Vertretern von Hilfsorganisationen gesprochen. Guten Morgen. Herr Scharrenbroich!

    Heribert Scharrenbroich: Guten Morgen Frau Simon!

    Simon: Herr Scharrenbroich, nach Ihren Erfahrungen: Verschlimmerst sich die Situation in Darfur?

    Scharrenbroich: Ja, sie hat sich sehr verschlimmert seit diesem Friedensabkommen, und zwar auf Grund der Zersplitterung der Rebellengruppen, die nicht unterzeichnet haben. Das ist die Hauptursache. Der Kampf ums Weideland geht weiter. Die Flüchtlingslager wachsen rasant schnell. Das Flüchtlingslager Otasch, das wir besucht haben, ist seit September bis Ende Januar, ist die Zahl der Vertriebenen, die dort angekommen sind, von 42.000 auf über 60.000 angewachsen, also um 50 Prozent.

    Simon: Sie sagen, die Zersplitterung der Rebellen, vor allen diejenigen, die nicht das Friedensabkommen unterzeichnet haben, sind in der Ursache schuld an der Verschlimmerung des Konfliktes. Wie geht denn die Regierung in Khartum, die hat ja auch ihre Versprechen gegeben, um mit der Situation?

    Scharrenbroich: Also ich würde nicht sagen, dass die Rebellengruppen alleine schuld sind. Aber die Zersplitterung macht es schwieriger, jetzt zu Verhandlungen zu kommen, weil auf der anderen, auf der Rebellenseite keine einheitliche Stimme ist. Die Regierung in Khartum muss verantwortlich gemacht werden für das Massenmorden. Jede Regierung ist verantwortlich für Verfolgung ihrer Bürger. Und umso bedauerlicher ist, dass die Regierung in Khartum nicht bereit ist, der UNO-Resolution von Ende August zu folgen und eine massive Verstärkung der UNO-Blauhelme zu akzeptieren. Das wäre eine Möglichkeit, die Sicherheit der Bevölkerung zu verbessern, und diese Unsicherheit, die Verfolgung ist ja der Grund, warum die Flüchtlingscamps so anwachsen. Allerdings wird auch allgemein kommentiert, dass es in der Regierung verschiedene Flügel gibt und dass zur Zeit die Hardliner das Sagen haben. Deswegen ist es notwendig, dass man viel mit der Regierung spricht und auch die anderen Seiten in der Regierung unterstützt.

    Simon: Sie waren ja für CARE Deutschland im Sudan. Wie sind denn derzeit die Bedingungen, in denen Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit geleistet werden können in Darfur?

    Scharrenbroich: Es ist beachtlich, was die Hilfsorganisationen machen, in Kooperation und in Kooperation mit den Vereinten Nationen. Aber es ist dramatisch und tragisch zu sehen, dass es immer Flüchtlinge gibt, die mehrere Wochen vor den Camps lagern müssen, bis sie betreut werden können. Insgesamt gibt es eine gute Kooperation, aber zum Beispiel Lager müssen geschlossen werden, es dürfen also keine Neuankömmlinge mehr hinein, sie müssen in andere Lager umgesiedelt werden. Das ist alles sehr dramatisch, und man kann sich das gar nicht vorstellen, unter welchen Bedingungen die Menschen hausen müssen. Und da ist es notwendig, dass die Hilfsorganisationen wie CARE, CARE ist zum Beispiel zuständig in mehreren Lagern für die Bereitstellung von Wasser, sanitäre Einrichtungen oder Schulen, denn das ist ja auch wichtig, dass die Bildung fortgesetzt wird, Ernährungssicherung.

    Also es ist wirklich beachtlich, was die Hilfsorganisationen leisten, wie sie auch zusammenarbeiten. Aber es muss gesagt werden, dass die Hilfsorganisationen auch behindert werden bei ihrer Arbeit durch Banditen. Allerdings auch ist die Sicherheitslage von dieser Seite her schlecht, und es ist auch zu beklagen, dass seit dem Friedensabkommen zwölf Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Hilfsorganisationen ermordet worden sind. Das muss auch klar gesagt werden: Das ist eine Menschenrechtsverletzung, dass die Hilfe, die geleistet werden soll und will, dass sie nicht geleistet werden kann.

    Simon: Herr Scharrenbroich, die Situation ist ja nun wirklich seit Jahren bekannt. Was muss denn Ihrer Meinung nach passieren, damit zum Beispiel die EU reagiert?

    Scharrenbroich: Die Verhandlungen müssen neu aufgenommen werden. Nur eine große Rebellengruppe hat diesen Friedensvertrag unterzeichnet. Es gibt Bestrebungen der sudanesischen Regierungen, das muss unterstützt werden von der Europäischen Union, von den Vereinten Nationen. Es ist auch vor allen Dingen notwendig, dass man China stärker an Bord zieht, an Bord bringt. China ist der größte Handelspartner von Sudan, ist der Hauptabnehmer des Erdöls im Sudan und kann ein gewichtiges Wort sprechen.

    Also die Bemühungen des amerikanischen Sonderbeauftragten für Darfur, Natsios, sind von der Europäischen Union zu unterstützen. Die Chinesen sind mit an Bord zu bringen, der Staatspräsident war jetzt in Khartum. Und es gibt Zeichen, dass dieser Wunsch von den Chinesen, von der Volksrepublik China anerkannt wird. Aber da muss in den Verhandlungen der Bundesregierung vor allen Dingen als EU-Präsidentschaft jetzt, muss China mit an Bord genommen werden. Und da gibt es Zeichen, dass das gelingen wird. Von daher hoffe ich, dass Vereinte Nationen, Europäische Union und China die Regierung in Khartum bewegen können, konsequenter sich zu bemühen, einen Frieden auszuhandeln, der hält, und auch die Sicherheitslage ihrer Bevölkerung zu verbessern.

    Simon: Das klingt aber so ein bisschen so, dass Sie in Ihren Gesprächen den Eindruck gewonnen haben, dass das alles eine sehr mühselige und vor allem eine Sache sein wird, die nicht schnell gehen wird?

    Scharrenbroich: Ja, das ist richtig. Es werden auch wieder Zusagen gemacht von der einen Seite der Regierung, von der anderen wieder zurückgenommen. Es gibt wahnsinnige bürokratische Hemmnisse für Menschen, für Organisationen, die helfen wollen. Und wir wollen nur hoffen, dass die Bemühungen einiger Kräfte gelingen, dass doch noch im Februar in Addis Abeba eine neue Zusammenkunft gelingt, in der die Rebellen mit einer Stimme sprechen und in der die Regierung bewegt wird sich zu bemühen, einen dauerhaften Frieden zu schließen mit allen Rebellengruppen. Das ist wichtig, und es gibt auch, zum Beispiel einerseits sagt die Regierung, ja, wir wollen, dass die Rebellen zusammenfinden und mit einer Stimme sprechen. Andererseits werden wieder Treffen der Rebellenführer sogar bombardiert. Also es gibt keine klare Linie, und es ist Aufgabe auch der Bundesregierung als EU-Präsidentschaft, die Regierung zu stärken, aufzufordern, dass sie konsequenter und offener bereit ist, auch der Politik der Vereinten Nationen zu folgen. Das heißt also, es ist doch eine Katastrophe, dass man bis Ende Juni warten will, bis ein Teil der UN-Gruppen im Land platziert werden.

    Simon: Vielen Dank. Das war Heribert Scharrenbroich, der Vorsitzende von CARE Deutschland. Er hat im Sudan eine Woche lang die Situation in Darfur erkundet. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Scharrenbroich, und danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Scharrenbroich: Ich danke auch.