Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


"Das ist amerikanische Politik"

Der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Michael Fuchs, meint "es ist an der Zeit, eine unabhängige Ratingagentur aufzubauen" - und zwar eine europäische. Die Euroländer seien auf einem guten Weg und stünden besser da als die USA oder England.

Michael Fuchs im Gespräch mit Mario Dobovisek | 14.01.2012
    Mario Dobovisek: In der Sprache der Finanzwelt ist das Triple-A, also das dreifache A, die Bestnote für die Kreditwürdigkeit eines Unternehmens oder auch eines Landes. Je besser die Bonität, desto niedriger sind im Normalfall die Zinsen, die für Kredite fällig werden. Es geht um bares Geld, kein Wunder also, dass die Börsenkurse schlagartig ins Minus drehten, als gestern Nachmittag Gerüchte um eine bevorstehende Herabstufung einiger Eurostaaten durch die Ratingagentur Standard & Poor's die Runde machten. Nicht ganz überraschend kamen diese, relativiert Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, warnte die Agentur doch bereits vor einem Monat mit ihrem negativen Ausblick. Herabgestuft wurden insgesamt neun der 17 Euroländer. So verloren Frankreich und Österreich ihre Topnote, Italien setzte Standard & Poor's gleich um zwei Stufen herab, damit steht es jetzt gleichauf mit Peru, Kolumbien und Kasachstan. Am Telefon begrüße ich den stellvertretenden Unionsfraktionschef Michael Fuchs. Guten Morgen, Herr Fuchs!

    Michael Fuchs: Guten Morgen, Herr Dobovisek!

    Dobovisek: Deutschland bleibt verschont, was jedoch bedeutet die Herabstufung vor allem Frankreichs als zweitgrößter Volkswirtschaft Europas?

    Fuchs: Also ich bin nicht besonders glücklich mit dieser Herabstufung, ich halte sie auch nicht wirklich für gerechtfertigt. Am Anfang dieser Woche hatte ja noch Fitch, eine weitere Ratingagentur, gesagt, Frankreich würde komplett in 2012 seinen Triple-A-Status behalten, also es gibt da auch erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ratingagenturen. Manchmal habe ich so ein bisschen die Sorge, dass die vornehmlich angelsächsischen Ratingagenturen Politik machen. Das ist nicht die Aufgabe einer Ratingagentur, denn in Frankreich zeigen sich deutliche Zeichen – wie nebenbei auch in Italien –, dass die Situation sich verbessert hat. In Italien haben wir diese Woche feststellen können, dass die neu aufgelegten Kredite wesentlich günstiger zu haben waren für Italien, also niedriger verzinslich zu haben waren. Das zeigt ja, dass sich da einiges bewegt. Und warum ausgerechnet in einer solchen Situation S&P Frankreich heruntersetzt und auch noch einige andere Länder, das wird das Geheimnis von Standard & Poor's bleiben.

    Dobovisek: Aber um dieses Geheimnis vielleicht auch noch mal zu hinterfragen: Wenn es die einzige Agentur ist, die jetzt diesen Schritt wagt – und Sie unterstellen Standard & Poor's eine politische Motivation, welche könnte das sein?

    Fuchs: Na ja, man lenkt damit natürlich etwas mehr vom angelsächsischen Raum ab. Wenn Sie sehen, dass England in diesem Jahr circa 8,5 Prozent Neuverschuldung in der Relation zum Bruttoinlandsprodukt haben wird und Frankreich 5,7, dass England aber "Triple-A stable" geratet ist, dann kann ich das nicht mehr ganz nachvollziehen. Ich hätte da ganz gerne, dass man das gleicher bewertet, das ist nicht der Fall hier.

    Dobovisek: Welche Konsequenzen könnte die Herabstufung der genannten Euroländer für den gemeinsamen Eurorettungsfonds haben?

    Fuchs: Ich glaube, die werden nicht allzu groß sein. Ich sag mal, in einer Woche hat das kein Mensch mehr auf dem Schirm, da wird die Sache wahrscheinlich runtergefahren werden. Ich bin eigentlich davon überzeugt, dass wir auf einem guten Weg sind. Die letzte Woche hat das bewiesen, sowohl Spanien als auch Italien konnten sich besser refinanzieren, die anderen Länder genauso. Es kommt eine gewisse Stabilität rein, die Beschlüsse vom 9. Dezember auf dem letzten Gipfel zeigen Wirkung, und wir sollten optimistisch an die Sache herangehen.

    Dobovisek: Der FDP-Finanzexperte Frank Schäffler sieht das offenbar anders, er erwartet für Deutschland ein deutlich höheres Haftungsrisiko beim Eurorettungsfonds, weil die deutsche Beteiligung, so sagt er es, am Triple-A des Fonds von 40 auf fast 75 Prozent ansteige. Wird die deutsche Beteiligung von 211 Milliarden Euro ausreichen, Herr Fuchs?

    Fuchs: Die deutsche Beteiligung von 211 Milliarden wird nicht überschritten, das ist der Beschluss des Deutschen Bundestages, und der wird auch nicht dadurch, dass Herr Schäffler das sagt, verändert. Da ist nicht abzusehen, dass wir in irgendeiner Weise Veränderungen haben werden.

    Dobovisek: Aber Herr Schäffler ist schon noch in der gleichen Koalition mit Ihnen.

    Fuchs: Das mag ja sein, aber er hat sich ja nun in einigen Bereichen doch deutlich anders geäußert als die Koalition und seine Partei.

    Dobovisek: Ist die Herabstufung ein Rückschlag für die Euroretter Merkel und Sarkozy?

    Fuchs: Ich sehe das nicht so. Das ist amerikanische Politik und nichts anderes. Es wird dadurch davon abgelenkt, dass das Staatsdefizit in den USA wesentlich größer ist als das europäische Defizit. Wenn man mal die USA und die Euroländer vergleicht, ist das amerikanische Staatsdefizit wesentlich höher. Darüber wird überhaupt nicht mehr diskutiert. Die Amerikaner sind zwar bereits downgeratet worden, also runtergeratet worden, aber das ist trotzdem Business as usual. Ich gehe davon aus, dass auch die Refinanzierung für die Franzosen sich nicht wesentlich verändern wird, und damit natürlich auch EFSF und ESM nicht.

    Dobovisek: Standard & Poor's sprechen von einem unkoordinierten und unentschlossenen Handeln der Politik, sie hätten nicht genug getan, um die Schuldenkrise einzudämmen und seien sich noch immer (nicht) uneins, die Politiker –jüngst gibt es ja tatsächlich wieder offenen Streit um die Finanztransaktionssteuer und um die Fiskalunion. Ist die Herabstufung also die Quittung für ein, sagen wir Politversagen?

    Fuchs: Ich glaube, gerade das kann man jetzt nicht mehr sagen, denn wir haben im Dezember die richtigen Beschlüsse geführt. Es ist jetzt klar, dass eine Schuldenbremse in allen Ländern eingezogen wird, es ist klar, dass wir auf eine Fiskalunion hinlaufen werden. Es ist deutlich gemacht worden, dass es jetzt viel mehr Einigkeit geben muss, dass auch vertragliche Veränderungen kommen werden. Das braucht natürlich ein bisschen Zeit, aber es ist auf dem Weg, und zwar auf einem guten.

    Dobovisek: In Sachen Transaktionssteuer zum Beispiel ist ja selbst die Bundesregierung gespalten. Kanzlerin Merkel ist persönlich, wie sie sagt, dafür, die FDP will davon nichts wissen – wie sollen sich dann alle europäischen Länder einigen können und die Sache auf einen Nenner bringen können?

    Fuchs: Also ich persönlich bin bei der Transaktionssteuer dafür, dass wir versuchen, das möglichst auf eine ganz große Ebene zu heben. Da wäre mir am allerliebsten G-20. Wenn das nicht geht, muss es EU27 sein. Hier sind die Engländer gefordert, Solidarität zu zeigen. Sie können nicht die ganze Zeit Europa mitnehmen und von Europa profitieren, aber gleichzeitig nicht bereit sein, Dinge gemeinsam mit Europa zu tragen. Eine Transaktionssteuer macht nur dann Sinn, wenn möglichst viele mitmachen, denn sonst kommt es zu Ausweichmanövern. Dann kauft eben eine große Bank die Aktien beziehungsweise die Fonds nicht in einem Land, in dem es die Steuer gibt, und man kann ausweichen. Das müssen wir verhindern, denn wir wollen ja, wenn schon eine solche Steuer eingeführt wird, eine gleichmäßige Besteuerung in allen Ländern erreichen. Da ist noch Etliches zu tun, da ist Überzeugungsarbeit mit den Engländern zu machen. Ich hoffe, dass das gelingt.

    Dobovisek: Das wird allerdings eine sehr schwierige Aufgabe werden, weil wenn dann tatsächlich nur Europa diese Transaktionssteuer einführt, gibt es weitaus andere Handelsplätze, an denen trotzdem gehandelt werden kann ohne Steuer. Und wir wissen, der Handelsplatz London ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Großbritannien. Wie also die Engländer umstimmen?

    Fuchs: Ich glaube, die Engländer müssen irgendwann erkennen, dass sie sich nicht in eine Splendid Isolation bewegen können. Also das gab es ja früher schon einmal, dass sie sich zurückziehen können auf die Insel – das wird nicht funktionieren. Ich bin der Meinung, die Engländer müssen wissen, dass sie Europäer sind und auch in Europa mitmachen müssen, das geht nicht alleine. Und sie werden auch keinen besonderen Erfolg damit haben, denn England braucht Europa, und wir brauchen auch England, und das muss man gemeinsam sehen.

    Dobovisek: Ist da die Herabstufung von Standard & Poor's möglicherweise ein heilsamer Schock zum richtigen Zeitpunkt?

    Fuchs: Ich glaube nicht, dass man das als heilsamen Schock bezeichnen kann. Ich halte das für zu diesem Zeitpunkt nicht berechtigt und wundere mich darüber, warum auch eine so große unterschiedliche Bewertung bei den Agenturen, bei den Ratingagenturen da ist. Wie ich eingangs sagte, hat Fitch genau am Anfang dieser Woche gesagt, nein, nein, dieses Jahr, in 2012 keine Herabstufung von Frankreich. Jetzt geht Standard & Poor's drei Tage später hin und stuft herab. Es wäre mir recht, wenn sich die Herrschaften einiger würden.

    Dobovisek: Wenn die Herrschaften, wie Sie sagen, sich doch nicht einig werden, braucht Europa dann eine eigene Ratingagentur?

    Fuchs: Das würde ich für sehr vernünftig halten, Herr Dobovisek. Ich glaube, es ist an der Zeit, eine unabhängige Ratingagentur aufzubauen. Was mich an den amerikanischen oder angelsächsischen Ratingagenturen stört, ist, dass sie auf der einen Seite bewerten, aber gleichzeitig auch – zum Beispiel bei Firmen und Banken – beraten. Das führt nicht unbedingt zu einer optimalen Neutralität. Mir wäre …

    Dobovisek: Aber diese Bewertung ist doch automatisch eine Beratung für Investoren, die ja die Kreditwürdigkeit brauchen, um ihre Investitionen zu tätigen. Was würde da eine europäische Agentur anders machen?

    Fuchs: Wenn es so wäre, wie ich es mir wünschen würde, nämlich dass es ein vollkommen unabhängiges Institut ist, was über Beratungsleistung kein Geld verdienen darf, dann ist das schon was anderes. Bei den amerikanischen Ratingagenturen ist es ja so, dass sie beispielsweise eine Bank mit ihren Produkten beraten, aber gleichzeitig diese Produkte dann bewerten. Das halte ich für schwierig, weil es nicht zu einer notwendigen Neutralität führt. Mir wäre es lieber, wir hätten so was Ähnliches wie eine Stiftung Warentest in Europa, die dann eben Finanzprodukte, aber auch Länder bewertet. Das wäre objektiver – kostet viel Geld, muss man einrichten, aber ich meine, das sollte es wert sein. Und ich würde mir wünschen, dass auf EU-Ebene so schnell wie möglich eine solche Ratingagentur nach oben gezogen wird, die aber völlig unabhängig auch von der Politik bewerten muss.

    Dobovisek: Michael Fuchs, stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag, vielen Dank für Ihre Einschätzungen!

    Fuchs: Danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Mehr zum Thema